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       # taz.de -- Ausstellung über Allen Ginsberg: In der Tiefe des Meeres
       
       > Der dicke Mann mit Bart und Brille: Eine ausufernde immaterielle Schau im
       > ZKM Karlsruhe wirft neue Blicke auf einen großen Schriftsteller.
       
   IMG Bild: Er kultivierte eine Art Sprechgesang: Allen Ginsberg 1960 im Washington Square Park.
       
       Die Schau verhält sich wie ein elektronischer Lesesaal. Vor Leinwänden,
       Flatscreens und Computermonitoren stehen bequeme rote Sofas. Darauf
       flimmern Dokumentarschnipsel, Kurzfilme, Fotografien. [1][„Beat
       Generation/Allen Ginsberg“] ist als „visuelle und akustische Anthologie“
       angelegt, wie ihr Kurator Jean-Jacques Lebel sagt, als Materialsammlung
       ohne Material sozusagen.
       
       Wo es keine Materie gibt, da kann es auch keine Originale geben. Im Falle
       eines Schriftstellers wie Ginsberg keine Vitrinen mit alten
       Originalausgaben, keine Handschriften auf vergilbtem Papier, kein Hut und
       keine Schreibmaschine. Und so kommt es schließlich, dass das Prinzip der
       Reproduzierbarkeit sich vom Kunstwerk auf eine ganze Ausstellung ausweitet.
       
       Ist man es bislang gewohnt gewesen, aufwendige Ausstellungen auf Tour gehen
       zu lassen, von einem Museum zum anderen, so gibt es bei dieser Ausstellung
       die Besonderheit, dass sie am 15. Juni gleich vier Mal eröffnete: im Centre
       Pompidou Metz, im Fresnoy im nordfranzösischen Tourcoing, in den Champs
       Libres in Rennes und schließlich im ZKM in Karlsruhe.
       
       Trotzdem stellt sich die Frage, ob man eine oder gar vier Ausstellungen zu
       Allen Ginsberg wirklich braucht. Ist nicht alles schon gesagt worden, zu
       dem dicken Mann mit Bart und Brille? Zum schwulen Kommunisten und
       buddhistischen Juden? Zum experimentellen Dichter, der in „Howl“ das
       biblische Monster als den Geist der modernen kapitalistischen Welt
       beschwor?
       
       ## Vorläufer des Rap
       
       Für „Howl“ ist Ginsbergs Vortragsart zentral. Er kultivierte eine Art
       Sprechgesang, der entfernt an Rap erinnert. 2010 erschien ein Film, der den
       Gerichtsprozess um „Howl“, das als anstößig empfunden wurde, zum Gegenstand
       hatte. Ginsberg wird als Begründer der Beat-Generation gefeiert. Ihre
       Geschichte ist inzwischen längst zur Legende geronnen, die als Block im
       Regal zwischen Che Guevara und Andy Warhol liegt. Lässt sich über Ginsberg
       überhaupt noch etwas Neues erfahren? Verdecken einem nicht all die
       populären Ginsberg-Bilder die Sicht?
       
       Der Kurator der Schau, der 1936 in Paris geborene Künstler und Autor
       Jean-Jacques Lebel, gibt einen sehr direkten Einblick in die Geschehnisse.
       Etwa zeitgleich zu Ginsberg in Amerika entwickelte Lebel das Happening,
       Aktionen zwischen Kunst und Politik in Frankreich. Er war mit Ginsberg gut
       befreundet und übersetzte viele seiner Bücher ins Französische.
       
       Ginsberg liebte epische Breite. 1990 überfiel ihn das Bedürfnis, in aller
       Ausführlichkeit über sein widerständiges Leben, seinen
       politisch-agitatorische Arbeit, seine Schriftstellerei und seine vielen
       Freundschaften mit Berühmtheiten wie Jean Genet, Bob Dylan oder Timothy
       Leary auszuholen. Lebel drehte einen vierstündigen Interviewfilm.
       
       Diese Dokumentation läuft nun in den immateriellen Ausstellungen. Als
       Zuschauer wird man recht unvermittelt in die Tiefen dieses endlosen Meeres
       geworfen, das voll ist von Diskursen und Erzählungen, die man zunächst
       nicht versteht und für die man etwas Zeit braucht. Vier Stunden, im besten
       Falle.
       
       ## Von New Mexiko bis Tanger
       
       Es sind ausschweifende Geschichten von kollektiven Abenteuern, Porträts
       bekannter und weniger bekannter Weggefährten, Berichte von langen Reisen
       von New York über New Mexiko und Tanger nach Paris. Ginsberg nimmt sich
       Zeit, von seinen Liebesbeziehungen zu erzählen, von seinen Sehnsüchten,
       Experimenten mit Drogen und der Sinnsuche im Buddhismus.
       
       Auf einem weiteren Monitor laufen dokumentarische Filmsequenzen. So etwa zu
       den „Days of Rage“ in Chicago 1968. Die Demokraten richteten dort ihren
       Parteitag aus und aus Protest gegen den Vietnamkrieg gehen mehr als 10.000
       Menschen auf die Straße. Die Yippie-Bewegung wart daran beteiligt, ebenso
       der Politaktivist Abbie Hoffman und, – auch Allen Ginsberg. Mit auf der
       Demo wurde ein Schwein geführt: als Präsidentschaftskandidat der
       Gegenbewegung.
       
       Ein anderer Bildschirm zeigt Aufnahmen von Ginsberg-Performances, etwa ein
       Auftritt von ihm und Philip Glass 1992. Repetitiv führen sie gemeinsam
       Ginsbergs „Wichita Vortex Sutra“ auf, für meditatives Klavier und
       Rezitation. Der Buddhismus ist nicht weit.
       
       Ginsberg war stets auch als Darsteller, Drehbuchautor und Realisator an
       einigen Filmen beteiligt. Auch in die wird man in der Vierfachschau
       hineingeworfen. Ebenso in Joans Mekas „Scenes from Allen’s last three days
       on Earth“ von 1997. Gedreht wurde der Film während der Trauerfeier in
       Ginsbergs New Yorker Loft. Hauptdarsteller ist seine Leiche.
       
       Die Presse kritisierte die Ausstellung vielfach als beliebig und
       kontextfrei. Manchmal aber ist der Kontext tödlich für das Wiederverstehen
       eines Werkes. Wer Kontext will, soll sich ein Buch kaufen. Vielleicht die
       kritische Biografie von Michael Schumacher. Für einen neuen Zugang gibt es
       diese Ausstellung. Schön ist diese Weite, schön ist es, ohne Überblick sein
       zu dürfen.
       
       „Beat Generation/Allen Ginsberg“, noch bis 1. September, Zentrum für Kunst
       und Medientechnologie, Karlsruhe
       
       8 Jul 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://on1.zkm.de/zkm/stories/storyReader$8324
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Radek Krolczyk
       
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