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       # taz.de -- Deutscher Frauenfußball vor der EM: „Die Luft ist raus“
       
       > Noch immer laborieren die Deutschen an den Folgen der verpatzten WM 2011.
       > Jetzt will das Team bei der EM etwas gutmachen.
       
   IMG Bild: Trauma: Auch Celia Okoyino da Mbabi will die schlechten WM-Erinnerungen vergessen machen
       
       BERLIN taz | Es ist verwunderlich, was derzeit in Frauenfußballdeutschland
       geschieht. Während für die einen die eigene Welt immer kleiner zu werden
       scheint, wird sie für die anderen immer größer. Ein Fußballmärchen der
       besonderen Art. „Das Ganze ist in Deutschland zuletzt in einem Maß
       geschrumpft, dass es schwer wird, es wieder nach vorne zu bringen“, sagt
       Bernd Schröder, der Trainer von Turbine Potsdam.
       
       Siegfried Dietrich, der Manager des 1. FFC Frankfurt, erklärt indes: „Ich
       bin sehr hoffnungsfroh. Der Frauenfußball wird in Deutschland immer
       attraktiver. Das ist ein Prozess. Wir wachsen Stück für Stück.“ Eine gute
       Gelegenheit dafür bietet die Europameisterschaft in Schweden (10. Juli bis
       28. Juli).
       
       Die konträren Einschätzungen der beiden Experten offenbart zumindest eines:
       Die Lage ist diffus. Seit der Weltmeisterschaft 2011 im eigenen Land, die
       dem Frauenfußball auch jenseits des Auswahlteams einen Schub verleihen
       sollte, geht es gleichzeitig bergauf und bergab. Je nachdem, wie man es
       sehen will. Schröder gibt den Skeptiker, Dietrich den Optimisten.
       
       Dietrich, der im Anschluss an die WM 2011 den Frauenfußball als „die
       Sportart dieses Jahrtausends“ lobpreiste, glaubt weiterhin an stete
       Wachstumsquoten in den nächsten 20 Jahren. Bestärkt fühlt er sich etwa
       durch den Zuschauerrekord, den jüngst das deutsche Nationalteam beim
       Freundschaftsspiel gegen Japan aufgestellt hat: „Es ist gigantisch, was man
       da in München geschafft hat.“
       
       ## Mehr gestalten statt verwalten
       
       Weitere Positivbeispiele sind für ihn die Frauenfußballableger vom VfL
       Wolfsburg, wo man gerade mit dem Triple aus Meisterschaft, Pokal und
       Champions League für Furore sorgte – sowie der FC Bayern München und SC
       Freiburg. Sie alle hätten den Wettbewerb in der Liga spannender gemacht.
       Auch vom Aufsteiger 1899 Hoffenheim verspricht er sich in dieser Hinsicht
       viel.
       
       Bernd Schröder dagegen fürchtet, dass die Nationalmannschaft ihre Basis
       verliert, wenn man allzu sehr dem Engagement der Männerklubs vertraut. „Der
       DFB verwaltet mehr, als dass er gestaltet“, klagt der 70-Jährige. Mit einem
       „Katastrophenfond“ etwa, so Schröder, hätte man dem inzwischen insolventen
       Erstligaklub Bad Neuenahr und den nach wie vor kriselnden FCR Duisburg
       helfen können.
       
       Stattdessen habe der Frauenfußball durch die Negativschlagzeilen der
       Traditionsklubs einen Imageschaden in Kauf nehmen müssen. Schröder fordert,
       der DFB müsse ein paar Jahre lang „mehr Geld in die Strukturen der Vereine
       reinschmeißen“. Dietrich hält davon wenig: „Der DFB schafft mit seinen
       180.000 Euro, die er pro Jahr an die Vereine ausschüttet, die
       Grundvoraussetzungen. Den Rest muss der Wettbewerb regeln. Jeder Verein ist
       für sich selbst verantwortlich.“
       
       ## Teure Kickerinnen und amateurhafte Strukturen
       
       Bad Neuenahr und Duisburg sind letztlich auch der Erfolg und die offensive
       Vermarktung der Nationalspielerinnen durch den DFB auf die Füße gefallen.
       Deren gestiegenem Marktwert können die weiterhin amateurhaft geführten
       Klubs nicht mehr genügen. Sie haben sich durch gestiegene Gehälter
       verschuldet. Dietrich findet das schade, aber einen notwendigen Prozess.
       Jörg-Uwe Nieland von der Sporthochschule Köln sagt: „Man ist im
       Frauenfußball an einem neuralgischen Punkt angekommen. Man muss sich
       entscheiden, ob es gut ist, dem neoliberalen Geschäftsmodell des
       Männerfußballs zu folgen.“
       
       Auf Signale vom DFB wartet man derzeit aber vergeblich. Einerseits hat man
       dem eigentlich schon insolventen FCR Duisburg etliche Brücken gebaut, um
       den Traditionsverein nächste Saison in der Liga zu halten, andererseits
       sollen kommenden Herbst Verschärfungen des Lizenzierungsverfahrens
       beschlossen werden, die es klammen Vereinen wie Duisburg noch schwerer
       machen dürften.
       
       Nieland stellt fest, dass der Verband das frühe WM-Aus 2011 und dessen
       Folgen bis heute nicht überwunden habe. Es habe ein Plan B gefehlt. Die
       großen Erwartungen wurden damals enttäuscht. Das hat dem Frauenfußball
       geschadet. Die anfänglich steigenden Zuschauerzahlen in der Bundesliga sind
       mittlerweile auf das Niveau von vor der WM gesunken. Die Zeitungen und
       TV-Sender stellten ihre Berichterstattung so abrupt ein, wie sie diese
       aufgenommen hatten. Und die beiden einzigen Fachzeitschriften – Das
       Frauenfußballmagazin und Die 11 Freundinnen – druckten 2012 jeweils ihre
       letzten Ausgaben.
       
       Letzteres Magazin war sowieso nur eine Beilage der 11 Freunde. Dessen Chef
       vom Dienst, Jens Kirschneck, erklärt: „Nach der WM sind die Werbekunden im
       Bereich Frauenfußball nicht nur weniger geworden, sondern der Markt dafür
       ist regelrecht kollabiert.“ Das Heft habe sich ausschließlich über Anzeigen
       finanziert. „Alle Beobachter sind erstaunt, dass es solch einen Einbruch
       gab“, bilanziert Nieland.
       
       Auch beim DFB ist es erstaunlich still geworden in Sachen Frauenfußball. Im
       Vorfeld der WM 2011 waren die beiden ranghöchsten Funktionärinnen beim DFB,
       Steffi Jones (damals Organisationschefin, heute DFB-Direktorin) und
       Hannelore Ratzeburg (DFB-Vizepräsidentin) omnipräsent in den Medien. In den
       Wochen vor der EM in Schweden ist wenig von Jones und Ratzeburg zu hören
       oder zu lesen. Auch eine Anfrage der taz vermag das nicht zu ändern:
       „Leider kann Steffi Jones aus terminlichen Gründen nicht für ein Gespräch
       zur Verfügung stehen“, lautet die Antwort der DFB-Presseabteilung. Und auch
       Ratzeburg sagt ab.
       
       ## Frauen haben im DFB an Macht verloren
       
       Innerhalb ihres männerdominierten Verbands haben Jones und Ratzeburg
       ohnehin nicht mehr so viel zu sagen. „Nach dem Amtsende von
       Frauenfußballförderer Theo Zwanziger haben sie definitiv an Macht
       verloren“, stellt Nieland von der Sporthochschule Köln fest. Wolfgang
       Niersbach, der Zwanziger als DFB-Präsident im März 2012 folgte, hat sich
       der Fürsorge der Männernationalmannschaft verschrieben.
       
       Das hat unter anderem kürzlich auch das jüngste Kompetenzengerangel
       zwischen DFB und der Deutschen Fußball-Liga befördert, als es um die
       Besetzung des neuen DFB-Sportdirektors ging.
       
       Bernd Schröder sagt: „Die größeren Schwierigkeiten des Frauenfußballs
       hängen schon auch mit dem Abgang von Zwanziger zusammen. Die Luft ist raus.
       Wolfgang Niersbach hat andere Probleme. Er hat genug damit zu tun, die
       Wogen zwischen DFB und DFL zu glätten. Die Frauenfußballabteilung macht
       zwar ihre Arbeit, man müsste aber mehr machen.“
       
       Siegfried Dietrich dagegen bescheinigt der neuen DFB-Führung: „Zwanziger
       hat viel angeschoben, aber es wird jetzt genauso viel getan wie vorher. Wir
       sind geradezu privilegiert, wenn man das mit anderen Sportarten
       vergleicht.“
       
       ## Neuer Ligasponsor?
       
       Frauenteamsportarten fristen hierzulande in der Tat ein tristes
       Schattendasein. Nieland hebt ebenso hervor, dass der DFB im Verhältnis etwa
       zum Eishockey infrastrukturell und personell enorm viel für seine Frauen
       leiste. Es ist auch eine Frage der Perspektive, wie hoch man welches
       Engagement einschätzt.
       
       Und neben aller Stagnation und Rückschritten gibt es eben zugleich wiederum
       Anzeichen des Vorankommens. Wie es aus gut informierten Kreisen heißt, sei
       der DFB derzeit mit einem Versicherungskonzern im Gespräch, der sich als
       Ligasponsor engagieren soll. Und des Weiteren hält sich in den letzten
       Wochen hartnäckig das Gerücht, der DFB verhandle mit Eurosport über
       wöchentliche Live-Übertragungen des Bundesliga-Spitzenspiels.
       
       Eine sportlich erfolgreiche EM des Nationalteams wäre dafür gewiss
       hilfreich. In dieser Hinsicht zeigt sich selbst der notorische Skeptiker
       Schröder auf seine ganz eigene Art optimistisch: „Wir können Europameister
       werden, weil die anderen derzeit so schlecht sind.“ Und er fügt hinzu: „Wir
       sollten die Gunst der Stunde nutzen.“
       
       9 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
       
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