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       # taz.de -- Debatte Arabellion: Die große Ungeduld
       
       > Weder in Deutschland noch in Mittel- und Osteuropa verlief die
       > Demokratisierung geradlinig. Für Ägypter mag das frustrierend sein, aber
       > es gehört dazu.
       
   IMG Bild: Vermutlich wird sich ihre Lage erstmal verschlechtern: Demonstrantin in Kairo
       
       Schon mal einen Frühling im Nahen Osten erlebt? Das ist kein sanftes
       Erblühen mit zarten Knospen und lauen Winden. Meist bringt er Sandstürme,
       Unwetter und sintflutartige Regenfälle mit sich. In Europa und den USA wird
       angesichts der dramatischen Ereignisse in Ägypten, der brutalen Gewalt in
       Syrien und der Rückschläge in den anderen Ländern des Arabischen Frühlings
       die Frage laut: War’s das jetzt mit der Arabellion?
       
       Nein, sie ist nicht vorbei. Die Aufstände sind eine historische Zäsur. Der
       Arabische Frühling entspricht schlicht den lokalen Wetterverhältnissen.
       Realistischerweise kann niemand erwarten, dass die autoritären Systeme
       nahtlos in Demokratien übergehen. Es fehlt nicht an gutem Willen, aber es
       fehlt an Demokraten. Hinzu kommen die gut organisierten Islamisten mit
       ihrer disziplinierten Anhängerschaft, die wichtige politische Player sind,
       deren demokratische Überzeugung aber in Zweifel steht.
       
       Die Lage ist kompliziert und frustrierend für die Beteiligten, aber auch
       typisch für Länder im Umbruch. Der Prozess der Demokratisierung ist immer
       von Instabilität begleitet, von Rückschlägen und Enttäuschungen. Die
       Rebellion in der arabischen Welt ist durchaus vergleichbar mit den
       Umbrüchen in Mittel- und Osteuropa. Auch dort erblühte nicht gleich die
       Demokratie. Stattdessen nahmen zunächst Armut, Kriminalität und Gewalt zu.
       
       In Russland träumt man noch immer und rund 30 Jahre nach Glasnost und
       Perestroika von einer lupenreinen Demokratie. In Ostdeutschland brannten
       nach dem Mauerfall Flüchtlingsunterkünfte und erstarkte erst einmal der
       Rechtsradikalismus.
       
       ## Jetzt bitte nicht arrogant werden
       
       Sollte man sich also die Mauer, den Kalten Krieg und die Diktatur
       zurückwünschen, weil die Verhältnisse stabiler und irgendwie sicherer und
       geordneter waren? Oder wollten die Westdeutschen die bleiernen Jahre vor
       1968 zurück, nur weil aus dem Aufstand der Jugend auch die RAF
       hervorgegangen ist?
       
       Der Aufstand in den arabischen Ländern ist nicht besser und nicht
       schlechter als die Umwälzungen in anderen Ländern der Welt. Es werden
       Fehler gemacht, und das Bündnis der Aufständischen mit dem ägyptischen
       Militär ist ganz sicher einer. Und es ist unklar, ob tatsächlich
       Demokratien entstehen, wie sie uns, dem Westen gefallen. Wahrscheinlich
       wird der politische Islam eine größere Rolle spielen. Und möglicherweise
       wird sich die Situation für Frauen und Minderheiten erst mal
       verschlechtern, bevor es aufwärtsgeht. Falls es aufwärtsgeht.
       
       Aus den Rückschlägen, wie wir sie in Ägypten erleben, gleich zu schließen,
       dass die arabischen Länder nicht zur Demokratie taugen, ist anmaßend und
       ignorant. Die ersten deutschen Versuche mit der Demokratie endeten in einer
       Diktatur mit verheerenden Folgen für ganz Europa. In Deutschland hat man
       daraus Konsequenzen gezogen: Wer die Demokratie nutzen will, um die
       Demokratie abzuschaffen, wird zu Wahlen nicht zugelassen. Vielleicht wäre
       das auch ein gangbarer Weg für die arabischen Revolutionsländer, mit
       Extremisten umzugehen.
       
       Der Demokratisierungsprozess dort wird ganz sicher zehn Jahre dauern,
       vielleicht länger. Bis die demokratischen Systeme in den Revolutionsländern
       verankert sind, könnten auch Jahrzehnte ins Land gehen. Das ist eine
       Zeitspanne, für die man in unserer schnelllebigen Zeit keine Geduld mehr
       hat. Die Langsamkeit von politischen Prozessen entspricht nicht der
       Geschwindigkeit von Facebook-Likes, Shitstorms und Twitter-Gewittern.
       
       Doch wäre der Arabische Frühling bereits ein Winter, sähe es auf dem
       Tahrirplatz aus wie auf dem Platz des himmlischen Friedens in China oder in
       den Gefängnissen nach der Grünen Bewegung 2009 im Iran. Der Wille zur
       Freiheit und der Wunsch nach Mitbestimmung sind keine westliche Eigenart.
       In Ägypten, Syrien, Tunesien, Libyen und dem Jemen wird es nie mehr so sein
       wie vorher – auch wenn die Revolutionen noch unvollendet sind.
       
       6 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Silke Mertins
       
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