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       # taz.de -- Homotaz Freundschaft: Kurze Geschichte vom Krieg
       
       > Die Heterosexuellen merken es nicht. Sie halten uns alle für gleich.
       > Manchmal stimmt das. Aber wir wissen auch: Es tobt ein Kampf der
       > Generationen zwischen uns.
       
   IMG Bild: Nicht nur Opfer sein. Gemeinsam kämpfen. Wir brauchen einander.
       
       Die Alten. Sie sind weise. So bewandert. Kennen Bücher, von denen wir nie
       gehört haben. Sehen Filme, die wir nie gesehen haben. Gehen in
       Ausstellungen, in die wir nie gehen.
       
       Die Alten. Sind arrogant. Wissen es oft besser. Erzählen Geschichten vom
       Krieg. Ruhen sich auf dem Erkämpften aus.
       
       Die Jungen. Sind vor allem jung. Also hübsch. Haben ihr Leben vor sich.
       Tanzen die Nacht auf Partys, ohne an ein Morgen zu denken. Sind gelöst.
       Unangestrengt.
       
       Die Jungen. Sind naiv. Wissen nichts. Sind apolitisch. Haben keine Ahnung
       von der Geschichte. Sind ahistorisch.
       
       Die Alten sollen uns als Vorbilder taugen. Und sie sollen mit uns ficken.
       Wir kämpfen miteinander.
       
       Sie lesen Edmund White, wir die Gay-Gratishefte. Sie sprechen von Foucault
       und Beauvoir. Wir von N*Sync. Sie gehen zu Klassikkonzerten. Wir zu
       Housepartys. Wir nutzen uns gegenseitig aus.
       
       Wir wollen von den Älteren das Wissen. Wir wollen ihre Kultur aufsaugen und
       oft nur Sex mit jemand Erfahrenen. Das gefällt den Älteren, die oft Angst
       haben, alt zu sein. Und es gefällt ihnen auch, uns Geschichten aus der Zeit
       zu erzählen, als sie selbst noch jung waren.
       
       Das Phänomen Sugar-Momma/Sugar-Daddy. Gemeinsame spontane Urlaube. Schöne
       Geschenke zwischendurch. Roadtrips im Cabrio. Sie, er zahlt für sie, ihn.
       Und Sex. Viel Sex.
       
       Vorbilder. Die Generation vor uns hatte sie. Pasolini. Foucault. De
       Beauvoir. Genet. Autor. Philosoph. Frauenrechtlerin. Dichter. Und wir?
       
       ## Wir haben nur unsere Kollegen
       
       Wir haben nur unsere Kollegen, Nachbarn, Uni-Freunde. Das reicht aber
       nicht. Sie sind uns zu nah. Wir brauchen mehr. Wir haben uns die ältere
       Generation ausgesucht. Sie sollen nicht Vorbilder sein, wie es ihre
       europäischen Intellektuellen für sie selbst sind und waren – also abgehoben
       und nicht greifbar. Sondern Vorbilder, die uns lehren, die eigene
       Sexualität zu akzeptieren. Uns Schutzraum bieten. Es uns einfacher machen.
       Stattdessen strafen sie uns.
       
       Weil wir nichts wissen. Wir wissen nichts vom Kampf um Gleichberechtigung.
       Wir wissen nichts über HIV und Aids. Wir wissen auch nichts über Sex. Für
       sie bleiben wir ignorant. In ihrer Welt wollen wir nur spielen.
       
       Aber sind auch wir nicht älter geworden? Wir lesen die Bücher ihrer
       Vorbilder, schauen die Filme ihrer Idole. Hören die Musik ihrer Ikonen. Wir
       wollen auf Augenhöhe sein. Wir sind es nicht. Die Älteren strafen uns
       weiter. Sie sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Sie wollen ihre
       Ruhe. Wir wollen aber ausgerechnet jetzt kämpfen. Dafür, so zu sein, wie
       wir möchten. Ohne Anpassung an das, was Mehrheitsgesellschaft heißt. Sie
       wollen Frieden. Wir Krieg.
       
       Den haben wir auch. Alte gegen Junge. Wir belächeln sie, weil sie ihre
       Ideale verraten haben. Sie wollen heiraten, Schrebergarten, nicht mehr
       ficken. Wir wollen politisch aktiv sein, auf die Straße gehen. Und eben
       ficken.
       
       Nicht alle Jungen. Natürlich. Viele von uns gingen mit ihnen. Haben sich
       nicht emanzipiert. Wollen nicht kämpfen. Wofür auch? Sie haben doch alles.
       Einen Gay-Lifestyle. Sie spüren gar keine Diskriminierung. Lieber bleiben
       sie in ihrer Beziehung. Zu zweit. Monogam.
       
       ## Keine Sugar-Mommas mehr
       
       Das gefällt den Alten. Diese Jungen werden ihre Partner. Aber die Alten
       sind keine Sugar-Mommas/Daddys mehr. Beziehung auf Augenhöhe mit dreißig
       Jahren Unterschied. Und trotzdem genügt ihnen das nicht. Sie wissen immer
       noch alles besser, erzählen immer noch Geschichten aus dem Krieg. Es ist
       niemals recht. Und es stimmt ja auch.
       
       Wir wissen auch nicht alles. Wir müssen uns einfinden – vor allem in unsere
       sexuelle Identität. Wir argumentieren entweder antiidentitär oder
       homonormativ – wollen auch normal sein, uns anpassen. Familie sein.
       
       Ihr wollt die Gleichstellung, die Ehe, und wir sind mit euch auf die Straße
       für eure Recht gegangen, obwohl wir nicht hundertprozentig daran glauben.
       Wir wollen über andere, zeitgemäßere Familienmodelle diskutieren. Wir gehen
       trotzdem mit euch mit. Für die größere Sache. Ihr wollt das aber nicht
       sehen.
       
       Wie am Anfang. Wie schon damals bei den Stonewall-Riots in New York am 28.
       Juni 1969. Die die keinen Bock mehr auf die Polizeigewalt hatten, waren die
       schwarzen und hispanischen Dragqueens. Genau die, die sich nicht anpassen
       wollen, sind die Vorkämpfer_innen für uns alle. Aber ihr nennt uns
       ahistorisch.
       
       Eigentlich bedeutet das alles nichts. Sollte nichts bedeuten. Wahre
       Subversion wäre, wenn wir gemeinsam kämpfen. Wir müssen nicht politisch
       einig sein. Nicht immer. Wir müssen uns auch nicht miteinander
       identifizieren. Es geht um Respekt. Die alten Kämpfe sind nicht mehr die
       unsrigen. Wir haben eigene zu bestehen und – vor allem – einen gemeinsamen.
       Wenn das Streiten für das Öffnen der Ehe in Frankreich für eins steht, dann
       genau dafür. Nicht nur Opfer sein. Gemeinsam kämpfen. Wir brauchen
       einander. Wir sollten Freunde sein.
       
       ## ■ , 30, ist taz-Redakteur und lebt in Berlin. Er staunt oft selbst, wie
       lieb er inzwischen seine Zweierbeziehung gewonnen hat.
       
       3 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Enrico Ippolito
       
       ## TAGS
       
   DIR Homosexualität
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Homosexualität
   DIR Transgender
   DIR Ehe
   DIR Kroatien
   DIR Homosexualität
   DIR Sotschi 2014
   DIR Ole von Beust
       
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