URI: 
       # taz.de -- Kommentar Snowden und Diplomatie: Die Kavallerie bleibt in der Kaserne
       
       > Es liegt im deutschen Interesse, zu erfahren, was Snowden zu erzählen
       > hat. Deshalb sollte er hier Schutz finden – wird es aber nicht. Die
       > Machtfrage ist beantwortet.
       
   IMG Bild: Die Kanzlerin wird vom wichtigsten Verbündeten bespitzelt? Kaum eine Belastung fürs Verhältnis
       
       Wenn der Theaterdonner verklungen ist, dann wird sich wenig geändert haben.
       US-Geheimdienste werden weiterhin Verbündete bespitzeln – wer könnte sie
       daran hindern? –, andere Dienste wie der BND werden bedauern, dass sie
       nicht über dieselben Möglichkeiten verfügen, aber dankbar sein für alle
       Daten, die ihnen die USA zur Verfügung stellen. Die westlichen Regierungen
       werden diplomatische Formulierungen benutzen, in denen viel von Vertrauen
       die Rede sein wird. Die Kavallerie bleibt in der Kaserne. Und dennoch hat
       Edward Snowden die Welt verändert.
       
       Seit den Anschlägen vom 11. September hat bei jeder Debatte über das
       richtige Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit immer nur und immer
       wieder die Freiheit verloren. Mit dem Hinweis auf die Gefahren des
       internationalen Terrorismus ließ sich seither jede Verletzung dessen
       rechtfertigen, was früher mit dem altmodischen Begriff „Datenschutz“
       bezeichnet wurde. Es schien keine Grenzen mehr für das zu geben, was
       hingenommen wurde – und wird.
       
       Angesichts der Fülle der Informationen, die EU-Staaten ganz freiwillig an
       die USA liefern, sind Geheimdienste eigentlich überflüssig. Im
       Flugdatenabkommen wurde vereinbart, jede Menge privater Daten über
       Passagiere an die USA weiterzureichen. Viel mehr können Dienste auch nicht
       herausfinden. Aber bisher ließ sich die Behauptung nicht widerlegen, jede
       Bespitzelung diene nur dem hohen Ziel der Verhinderung von Gewalttaten. Das
       ist anders geworden.
       
       Angela Merkel lässt sich gewiss manches vorwerfen, aber klandestine
       Beziehungen zu Terroristen dürften ihr nicht einmal Paranoiker
       unterstellen. Wenn ihr Telefon angezapft wird, dann sollen politische
       Informationen gesammelt werden, nichts sonst.
       
       ## Wer kommt nach Snowden?
       
       Auch bei den Lauschangriffen auf EU-Institutionen geht es nicht um
       Gefahrenabwehr, sondern eher um Wirtschaftsspionage. Dem Argument, alle
       Aktivitäten von Geheimdiensten seien spätestens seit dem 11. September
       gerechtfertigt, wird künftig nicht mehr ohne weiteres Glauben geschenkt
       werden. Das ist das Verdienst von Edward Snowden.
       
       Und nicht sein einziges. Wenn vom Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit
       und Freiheit die Rede ist, dann wird künftig auch die Tatsache
       berücksichtigt werden müssen, dass ein einziger Mann – in der Hierarchie
       nicht einmal hoch angesiedelt – es geschafft hat, die ganze Welt mit seinen
       Informationen in Aufruhr zu versetzen. Nichts von dem, was er sagte, wurde
       bisher dementiert. Die ausufernden Aktivitäten von Geheimdiensten scheinen
       die Verwundbarkeit von Staaten nicht etwa zu verringern, sondern sogar zu
       erhöhen. Wer kommt nach Snowden?
       
       Es ist nachvollziehbar, dass die USA den Verräter gerne vor Gericht stellen
       wollen. Kein Staat der Welt, ob demokratisch oder nicht, erlaubt die
       Weitergabe von Geheimnissen. Das bedeutet aber nicht, dass andere Länder
       sich die Sichtweise der Verratenen zu eigen machen müssen. Man stelle sich
       vor, ein iranischer Geheimdienstler käme in den Westen und erzählte dort
       alles über die Atompläne seines Landes. Ist es vorstellbar, dass er nach
       Teheran ausgeliefert würde? Nein. Das ist nicht vorstellbar.
       
       ## Kleinkariert und albern
       
       Bei der Frage, ob Informanten geschützt werden, geht es vor allem darum, ob
       dieser Schutz im eigenen Interesse liegt. Es liegt im deutschen Interesse,
       all das zu erfahren, was Snowden zu erzählen hat. Ob und von wem die
       Bundeskanzlerin ausgespäht wird – das sollten deutsche Stellen schon
       erfahren. Wenn sie selbst nicht imstande sind, es herauszufinden, dann
       haben sie Anlass zur Dankbarkeit, wenn es ihnen jemand anderes erzählt.
       
       Schon allein deshalb sollte Edward Snowden hier Schutz finden, wenn er das
       wünscht. Alle Erörterungen über rechtliche Voraussetzungen für einen
       Asylantrag sind kleinkariert und albern. Als ob es einem Staat nicht
       möglich wäre, jemanden ohne Rücksicht auf Verfahrensfragen aufzunehmen! Auf
       welcher rechtlichen Grundlage wurde denn der sowjetische Schriftsteller
       Alexander Solschenizyn 1974 in Westdeutschland willkommen geheißen? Sein
       Aufenthalt lag im westdeutschen Interesse. Rechtsfragen spielten keine
       Rolle.
       
       Aber es ist vorhersehbar, dass Snowden in Deutschland nicht aufgenommen
       werden wird. Das wäre eine zu große Belastung für das transatlantische
       Verhältnis. Offenbar eine größere Belastung als die Tatsache, dass die
       deutsche Regierungschefin vom wichtigsten Verbündeten bespitzelt wird. Die
       Machtfrage ist gestellt – und beantwortet.
       
       3 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Gaus
       
       ## TAGS
       
   DIR USA
   DIR Asyl
   DIR Deutschland
   DIR Edward Snowden
   DIR Politik
   DIR Asyl
   DIR USA
   DIR USA
   DIR Edward Snowden
   DIR NSA
   DIR Prism
   DIR Edward Snowden
   DIR Friedrich
   DIR Russland
   DIR USA
   DIR NSA
   DIR Internet
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Die Odyssee von Edward Snowden: Auch Bolivien stellt Asyl in Aussicht
       
       Mögliche Zufluchtsorte für den wegen Geheimnisverrats von den USA gesuchte
       Edward Snowden. Drei lateinamerikanische Länder würden ihn aufnehmen.
       
   DIR USA registrieren Briefverkehr: Mal eben den Empfänger scannen
       
       Laut „New York Times“ scannen die US-Behörden alle Postsendungen im Land –
       und gewinnen unendlich viele Daten. Wie lange sie sie speichern, ist offen.
       
   DIR Kommentar Verweigerung Überflugrecht: Willfährige Hampelmänner
       
       Der Irrflug der bolivianischen Präsidentenmaschine ist ein unglaublicher
       Vorgang. Die Affäre Snowden insgesamt zeigt auf peinliche Weise die
       Unfähigkeit der EU.
       
   DIR Eklat auf Wiener Flughafen: Europa jagt das Snowden-Phantom
       
       Mehrere Nato-Länder sperrten den Luftraum für ein Flugzeug des
       bolivianischen Präsidenten. Snowden sollte an Bord sein. War er aber nicht.
       
   DIR Der NSA-Skandal und die Folgen: Aufreger Wirtschaftsspionage
       
       Der Verfassungsschutz warnt schon lange, dass sich Firmen zu wenig vor
       Industriespionage schützen. Die USA hatte man dabei bisher nicht im Blick.
       
   DIR NSA-Abhörskandal und der BND: Opposition verlangt Antworten
       
       Die SPD bezweifelt, dass die Regierung im Fall der NSA-Spitzeleien
       ahnungslos war. Und beruft das Parlamentarische Kontrollgremium ein.
       
   DIR Snowden und Boliviens Präsident: Verbreitung einer „enormen Lüge“
       
       Boliviens politische Führung ist verstimmt. Präsident Evo Morales musste
       auf dem Weg in die Heimat in Wien zwischenlanden – angeblich sei Edward
       Snowden an Bord.
       
   DIR Asylantrag in Deutschland: Abfuhr für Snowden
       
       Mit einem knappen Satz lehnt die Bundesregierung den Antrag des berühmten
       Whistleblowers ab. Innenminister Friedrich hätte auch anders entscheiden
       können.
       
   DIR Asylsuche von Edward Snowden: Keine Bleibe in Russland
       
       Whistleblower Edward Snowden bittet in zahlreichen Ländern um politisches
       Asyl – auch in Deutschland. Den Antrag in Russland hat er jetzt
       zurückgezogen.
       
   DIR NSA bespitzelt Deutschland: Anlasslose Überwachung
       
       Warum es nicht egal ist, dass der US-Geheimdienst NSA und andere Behörden
       so viele Informationen sammeln. Eine Handreichung.
       
   DIR NSA-Abhörskandal: USA will auf Vorwürfe reagieren
       
       Während der Chef des US-Geheimdienstes Aufklärung im Abhörskandal
       verspricht, werden neue Details bekannt: Der NSA soll auch in weiteren
       Ländern mitgehört haben.
       
   DIR taz-Grafik zur Internet-Überwachung: Die Welt der Datenspione
       
       Alle paar Tage liefert der Whistleblower Snowden neue Erkenntnisse über die
       Überwachung des Internets durch Geheimdienste. Wir zeigen den Datenfluss.