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       # taz.de -- Asylantrag in Deutschland: Abfuhr für Snowden
       
       > Mit einem knappen Satz lehnt die Bundesregierung den Antrag des berühmten
       > Whistleblowers ab. Innenminister Friedrich hätte auch anders entscheiden
       > können.
       
   IMG Bild: Edward Snowden ist überall – zumindest auf den Bildschirmen
       
       BERLIN taz | Es ist ein Satz mit gerade mal acht Wörtern, ohne Begründung,
       ohne Argument. Knapper lässt sich eine Hoffnung nicht beenden. „Die
       Voraussetzungen für eine Aufnahme liegen nicht vor.“ Diesen Satz
       verschickten das Auswärtige Amt und das Innenministerium in einer Mail am
       Dienstagabend.
       
       Damit ist klar: Deutschland wird Edward Snowden nicht aufnehmen, die
       Bundesregierung lehnt den Asylantrag des berühmt gewordenen Whistleblowers
       ab. Snowden, dessen Enthüllungen die Überwachungswut der USA-Geheimdienste
       öffentlich gemacht haben, darf nicht auf Unterstützung durch das Kabinett
       von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hoffen.
       
       Mit der Absage endet ein Tag, der teils wie ein politischer Krimi anmutet.
       Er beginnt am frühen Dienstagmorgen – mit dem Hilferuf eines Gejagten. Um
       1.30 Uhr Weltzeit veröffentlicht die Plattform Wikileaks zwölf dürre Zeilen
       im Internet.
       
       Edward Snowden habe mehrere Staaten um Asyl gebeten, heißt es in der
       Erklärung. In den Anträgen schildere er das Risiko einer Verfolgung, die er
       in den USA zu erwarten habe. Auch Deutschland nennt Snowden als Staat, bei
       dem er gern Zuflucht suchen würde.
       
       ## Politische Zwickmühle
       
       Die Nachricht elektrisiert den politischen Betrieb in Berlin. Ausgerechnet
       Snowden. Der Mann, dessen Infos eine beispiellose Aushorchaffäre enthüllte.
       Sein Wunsch bringt die Bundesregierung in eine Zwickmühle. Gewährt sie ihn,
       belastet dies das eh schon stark strapazierte Verhältnis zu den USA. Lehnt
       sie ihn ab, verweigert sie einem Mann Schutz, der vielen jetzt schon als
       moderner Held gilt.
       
       Snowden ist zum Symbol geworden. Ihm verdanken die Deutschen die
       Erkenntnis, dass die National Security Agency, kurz: NSA, ihre private
       Kommunikation umfänglich ausspähte. Rund eine halbe Milliarde Telefonate,
       E-Mails oder SMS im Monat speicherte der US-Geheimdienst laut einem
       Spiegel-Bericht jeden Monat. Stimmen die Berichte, ist es der wichtigste
       Geheimdienstskandal seit Jahrzehnten.
       
       Der Asylantrag ist deshalb nicht nur die Bitte eines Verfolgten. Er ist
       viel mehr, ein brisantes Politikum.
       
       Snowdens Rechtsbeistand faxt das Dokument an die deutsche Botschaft in
       Moskau, dort kommt es am Morgen an, ein paar Stunden nach der
       Wikileaks-Mitteilung. Ein paar formlos gehaltene Zeilen genügen – oft
       beantragen Menschen Asyl, die kein Deutsch beherrschen. Das Papier
       alarmiert die Diplomaten, die Botschaft meldet den Vorgang nach Berlin.
       
       ## Friedrich zieht Fall an sich
       
       Die Verwaltungsmaschine beginnt zu arbeiten. In Deutschland sind Asylfragen
       eigentlich Sache des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg,
       doch dort gibt man sich bedeckt. Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU)
       hat den Fall sofort an sich gezogen.
       
       Snowden ist Chefsache. Allen Beteiligten ist klar, welchen Sprengstoff die
       Nachricht aus Moskau birgt.
       
       Friedrich äußert sich am Dienstagmittag, er besucht eine Veranstaltung der
       Hessen-CDU in Wiesbaden. Das Thema lautet „Cybersicherheit“ – ausgerechnet.
       Snowden könne kein Asyl im eigentlichen Sinne beantragen, sagt der
       Minister. Denn dazu müsse er in Deutschland sein.
       
       Das Grundrecht auf Asyl ist in Artikel 16a der Verfassung geregelt, es
       gewährt politisch Verfolgten Schutz. In der Tat kann es nur in Anspruch
       genommen werden, wenn man sich auf deutschem Boden befindet. Oder zumindest
       nah dran: Wer im Transitbereich des Flughafens Frankfurt steht oder von der
       Bundespolizei an der Grenze aufgegriffen wird, darf auch Asyl beantragen.
       
       ## Der zweite Weg
       
       All das ist jedoch bei Snowden nicht der Fall. Er soll sich nach wie vor im
       Transitbereich des Moskauer Flughafens aufhalten.
       
       Es gibt jedoch einen zweiten Weg: Die Paragrafen 22 und 23 des
       Aufenthaltsgesetzes regeln die Aufnahme von Ausländern aus
       „völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen“. Ein Aufenthalt
       kann demnach erlaubt werden, wenn das Innenministerium „zur Wahrung
       politischer Interessen der Bundesrepublik“ die Aufnahme erklärt.
       
       Politisches Interesse, das kann so ziemlich alles sein. Das Gesetz gibt
       also Minister Friedrich persönlich die Macht, über Snowden zu entscheiden.
       Ein Federstrich genügt, um ihn nach Deutschland zu holen. Oder eben nicht.
       
       Das Auswärtige Amt prüft den Tag über, ob humanitäre Gründe gegeben sind.
       Doch die Diplomatieprofis erarbeiten nur eine Vorlage. Denn die letzte
       Entscheidung liegt bei Friedrich. „Am Ende glaube ich nicht, dass ein
       völkerrechtliches und humanitäres Argument zählen kann“, prognostiziert der
       Minister am Nachmittag.
       
       Deutet er da schon an, dass ihm eine Aufnahme Snowdens zu heikel ist?
       
       ## Skepsis bei Juristen
       
       Die skeptische Einschätzung teilen selbst Stimmen von SPD und Grünen, es
       sind eher die Juristen, die Bedenken anmelden. Die USA sind weltweit der
       wichtigste Verbündete Deutschlands, ein Rechtsstaat, mit dem es diverse
       Auslieferungsabkommen gibt.
       
       Viele Fragen sind offen: Wird Snowden tatsächlich politisch verfolgt? Kann
       ein US-Bürger humanitäre Gründe anführen, die ausreichen, um ihn nicht an
       eine geachtete Demokratie auszuliefern? Und auch das: Kann man Snowden
       glauben?
       
       Schließlich beruht die ganze Aufregung auf mutmaßlichen Fakten, die er
       selbst an Medien weitergegeben hat. Selbst in der Opposition tut man sich
       am Nachmittag schwer mit endgültigen Aussagen. „Es ist unmöglich, allein
       mit Zeitungswissen ausländerrechtliche Fragen juristisch zu bewerten“,
       heißt es etwa in der SPD-Fraktion.
       
       Bei der CDU-Veranstaltung in Hessen sagt Minister Friedrich einen
       entscheidenden Satz. „Am Ende wird es möglicherweise eine politische Frage
       sein.“ Das heiß übersetzt: Bei unklarer Sachlage bleibt es seine
       Entscheidung, ob Deutschland Snowden aufnimmt. Friedrich hat das letzte
       Wort, so, wie es das Aufenthaltsgesetz vorsieht.
       
       ## Grüne fordern Aufnahme
       
       Der SPD merkt man die Vorsicht bei der Bewertung an. „Wie bei jedem anderen
       Asylantrag auch ist zu prüfen, ob Edward Snowden politisch verfolgt wird“,
       sagt etwa Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann gegen Mittag. Prüfen,
       das ist eine zahme Formulierung für den der Zuspitzung nicht abgeneigten
       Oppermann. Der Jurist kennt die Fallstricke eines Aufnahmeverfahrens.
       
       Die Grünen gehen weiter. Ihre Spitzenkandidaten, Katrin Göring-Eckardt und
       Jürgen Trittin, fordern am Nachmittag Kanzlerin Angela Merkel in einem
       Brief auf, den Whistleblower mithilfe des Paragrafen 22 aufzunehmen. In dem
       mit „Schutz für Edward Snowden“ überschriebenen Papier verweisen sie
       darauf, dass seine Informationen deutsche Bürger „auf unerhörte Eingriffe
       in ihre Grundrechte aufmerksam gemacht“ hätten.
       
       Der CSU-Innenminister hat das offensichtlich anders gesehen.
       
       2 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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