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       # taz.de -- Kommentar Merkel und NSA-Schnüffelei: Nur scheinbar stark
       
       > Warum wussten Merkels Geheimdienste nichts von den US-Schnüfflern? Oder
       > war doch schon alles vorab bekannt – auch im Kanzleramt?
       
   IMG Bild: Barack Obama und die Kanzlerin: Falsches Spiel hinterm Rücken, oder tut Merkel nur so, als wenn sie nichts wusste?
       
       Ein Charakterzug der Bundeskanzlerin ist, dass sie Eskalationen jedweder
       Art vermeidet. Selbst ein drohender Staatsbankrott in Europa erscheint in
       Angela Merkels Rhetorik wie ein nicht unwichtiger, aber handhabbarer
       Verwaltungsvorgang.
       
       Diese permanente sprachliche Deeskalation erklärt einen großen Teil ihres
       Erfolgs. Merkel suggeriert den Bürgern Sicherheit: Wer cool bleibt, ist
       überlegen – und bleibt Herrin des Verfahrens.
       
       Daher ist der scharfe Ton, mit dem Merkel ihren Sprecher die
       Überwachungswut amerikanischer Geheimdienste kritisieren lässt, mehr als
       bemerkenswert. „Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg.“ Diese Metapher ist
       schief, weil es ja um die Bespitzelung befreundeter Staaten geht und nicht
       um zwei verfeindete, sich belauernde Machtblöcke.
       
       Doch sie drückt aus, wie groß der Ärger der Kanzlerin sein muss. In der
       fein nuancierten Sprache der Diplomaten ist ihre Stellungnahme eine scharfe
       Zurechtweisung. Kurz nach dem Besuch des US-Präsidenten in Berlin muss die
       Kanzlerin feststellen, wie wenig ihr Obama über die wirklich wichtigen
       Dinge erzählt.
       
       Doch wie das oft so ist mit empörten Gesten: Merkels Ordnungsruf über den
       Atlantik soll Stärke signalisieren, aber er drückt vor allem Hilflosigkeit
       aus. Wenn die Medienberichte über die beispiellose Spitzeloffensive
       stimmen, dann klärt die Affäre über bittere Wahrheiten auf.
       
       Für die USA ist Deutschland längst kein so geliebter Premiumpartner mehr,
       wie es viele in der Regierung immer noch glauben, sondern ein Spähobjekt
       unter vielen. Entsprechend naiv wäre es anzunehmen, dass sich die National
       Security Agency (NSA) von der Wut einer deutschen Regierungschefin
       beeindrucken ließe.
       
       Viel wichtiger ist aber die Erkenntnis, dass Geheimdienste autonom
       agierende Paralleluniversen sind. Demokratisch gewählte Regierungen haben
       auf sie nur begrenzt Einfluss.
       
       Und hier kommen mehrere – für Merkel sehr brisante – Fragen ins Spiel:
       Wusste der Bundesnachrichtendienst nichts von den Spähattacken? Wenn dies
       der Fall war, fragt man sich, warum der deutsche Staat viel Geld für einen
       Geheimdienst ausgibt, der seine Aufgaben offenbar nicht beherrscht.
       
       Nicht weniger unschön sind andere Lesarten. Falls der BND eingeweiht war,
       wird aus dem amerikanischen Übergriff auch eine deutsche Affäre. Denn dann
       wäre zu klären, warum der Dienst die Kanzlerin und die Bundesregierung
       nicht warnte.
       
       Oder, noch schlimmer: Merkel wurde gewarnt. Und sie weiß mehr über die
       Spähoffensive, als sie zugibt. Jede dieser Varianten ist für eine
       Kanzlerin, die einen Bundestagswahlkampf vor sich hat, sehr unerfreulich.
       Die empörte Hilflose wird es bereits ahnen.
       
       2 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrich Schulte
       
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