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       # taz.de -- Wissenschaftler über Familienpolitik: „Wahlfreiheit wurde nicht untersucht“
       
       > Wissenschaftler rebellieren gegen Ministerin Kristina Schröder (CDU): Sie
       > stelle Ergebnisse verzerrt dar, um eine inkonstistente Politik zu
       > rechtfertigen.
       
   IMG Bild: Inkonsistent aber durchaus vorhanden: die politische Agenda Kristina Schröders.
       
       taz: Herr Bonin, Sie sind sauer auf Bundesfamilienministerin Kristina
       Schröder (CDU). Warum? 
       
       Holger Bonin: Mein Institut hat zusammen mit anderen
       Forschungseinrichtungen die Familienpolitik der Regierung evaluiert. Das
       Bild fällt sehr differenziert aus. Wie Kristina Schröder die Ergebnisse
       interpretiert, hat mich dann doch sehr überrascht.
       
       Haben Sie ein Beispiel? 
       
       Die Ministerin interpretiert das Ehegattensplitting als Beitrag zur
       Wahlfreiheit. Für mich ist unklar, wie unsere Ergebnisse diesen Schluss
       nahelegen sollen. Untersucht haben wir, ob das Ehegattensplitting die
       Vereinbarkeit von Beruf und Familie befördert. Diesem Ziel wirkt das
       Ehegattensplitting eher entgegen, weil es einen Anreiz dafür schafft, dass
       Frauen dem Erwerbsleben fernbleiben.
       
       Kristina Schröder hält dagegen. Sie argumentiert: Die Politik gibt die
       Ziele vor. Die Wissenschaft kann nur Hinweise darauf geben, welche Mittel
       diesem Ziel angemessen sind. 
       
       Genauso sind wir vorgegangen: Das Ministerium hatte konkrete Kriterien
       benannt, nach denen wir die familienpolitischen Leistungen der Regierung
       untersuchen sollten. Wahlfreiheit war keines davon.
       
       Was waren die Kriterien, nach denen Sie evaluiert haben? 
       
       Ein Kriterium lautete: Inwiefern tragen die einzelnen Maßnahmen dazu bei,
       die Geburtenziffer zu erhöhen? Jetzt will Kristina Schröder davon nichts
       mehr wissen und sagt, für mehr Geburten zu sorgen sei nicht Aufgabe der
       Familienpolitik. Stattdessen ist auf einmal die Rede von Wahlfreiheit.
       
       Darf Wahlfreiheit denn kein Ziel der Familienpolitik sein? 
       
       Die Zielvorgaben sind Aufgabe der Politik. Allerdings habe ich den
       Eindruck, dass die Wahlfreiheit einfach nur beschworen wird, um eine
       inkonsistente Politik zu rechtfertigen. Die eine Leistung soll Müttern die
       Erwerbstätigkeit erleichtern, eine andere schafft einen Anreiz, zu Hause
       beim Kind zu bleiben. Beide Ziele widersprechen sich, aber man kann einfach
       behaupten, sie dienten dem übergeordneten Ziel der Wahlfreiheit.
       
       Rechnen Wissenschaftler nicht damit, dass die Politik Ergebnisse nach Gusto
       interpretiert? 
       
       Das kommt darauf an. In der Arbeitsmarktpolitik habe ich das bislang in der
       Schärfe noch nicht erlebt. Ein Beispiel: Wir haben den Ausbildungsbonus
       untersucht, eine Subvention, um schwer vermittelbare Jugendliche in die
       Lehre zu bringen. Unsere Studien haben gezeigt, dass das nicht viel bringt.
       Inzwischen wurde der Bonus wieder abgeschafft. Ich habe durchaus das
       Gefühl, mit meiner Arbeit etwas bewegen zu können.
       
       Ist die Familienpolitik einfach noch nicht so weit? 
       
       Es ist eine positive Sache, dass die Politik überhaupt eine
       Gesamtevaluation familienpolitischer Leistung in Angriff genommen hat. Und
       ich habe den Eindruck, dass die Ministerien unsere Ergebnisse durchaus zur
       Kenntnis nehmen und sie für die Arbeitsebene durchaus von Bedeutung sind.
       Es wäre aber wünschenswert, wenn auf der Basis der Studienergebnisse nun
       eine Debatte über den Reformbedarf begänne.
       
       Wie geht die Politik mit für sie missliebigen Studienergebnissen um? 
       
       In den Verträgen findet sich in der Regel eine Freigabeklausel. Das
       Ministerium muss der Veröffentlichung zustimmen. Unser Institut hat sich
       verpflichtet, nur Aufträge anzunehmen, wenn die Veröffentlichung
       gewährleistet ist. Bisher war das kein Problem. Die Frage ist nur, wie
       prominent eine Studie von der Politik öffentlich gemacht wird.
       
       1 Jul 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Kramer
       
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