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       # taz.de -- US-Journalist über NSA: „Sie haben die Gedanken“
       
       > Die NSA dreht durch, denn Snowden hatte als System-Administrator eine Art
       > großen Schlüsselbund. Der Journalist James Bamford über die mächtigste
       > Abhörbehörde der Welt.
       
   IMG Bild: General Keith Alexander (schütteres Haupthaar, re.), Chef der NSA, auf verschlungenen Wegen.
       
       taz: Herr Bamford, was hat Sie bei den Enthüllungen über den
       US-Geheimdienst NSA am meisten überrascht? 
       
       James Bamford: Am meisten hat mich überrascht, dass Edward Snowden diese
       Dokumente überhaupt aus der NSA herausschmuggeln konnte. Denn nachdem
       Bradley Manning eine Viertelmillion Dokumente an die Öffentlichkeit
       brachte, sagte die Regierung: So etwas wird uns nie mehr passieren. Und
       dann marschiert dieser Kerl mit einem großen Haufen Daten aus der
       geheimsten Behörde der Welt …
       
       Dennoch: Wer Ihre Bücher liest, die Sie seit Anfang der 80er über die
       National Security Agency geschrieben haben, kann sich nicht wirklich über
       die Tatsache wundern, dass dieser Geheimdienst ein weltweiter
       Datenstaubsauger ist. 
       
       Ich wusste in der Tat einiges über das, was nun bekannt wurde, und habe
       auch darüber geschrieben. Was mich aber schon überrascht hat, ist, dass
       nicht nur Tag für Tag die Handyverbindungsdaten jedes Einzelnen im ganzen
       Land eingesammelt werden, ohne irgendeinen Verdacht auf Straftaten; sondern
       dass der NSA der Zugang zu einer so großen Menge an Daten auch noch so
       leicht gemacht wird.
       
       Der Chef der NSA, Keith Alexander, sagt: All das ist legal. Und man habe 50
       Terroranschläge weltweit seit dem 11. September 2001 verhindert. Sind das
       keine Argumente? 
       
       Was heißt in diesem Fall legal? Der US-Kongress, der die NSA nie an etwas
       hindert, hat ein Gesetz mit allerlei Schlupflöchern verabschiedet, das es
       einem streng geheimen Gericht ermöglicht, die NSA zu ermächtigen, insgeheim
       die Telefondaten aller zu speichern. Das ist doch wie bei Kafka.
       
       Aber noch mal: Es verhindert angeblich zahlreiche Terroranschläge. 
       
       Das kaufe ich denen nicht ab. Das sagen die schon seit Jahren. Und jedes
       Mal hätte man die Anschlagspläne auch durch normale Ermittlungen vereiteln
       können, ohne auf den Rechten aller Bürger herumzutrampeln. Gleichzeitig
       sind den Diensten die Boston-Bomber entgangen, obwohl sie ständig mit
       Tschetschenien kommunizierten. Dasselbe gilt für den sogenannten
       Unterhosenbomber …
       
       … der an Weihnachten 2009 mit einer in der Hose versteckten Bombe fast ein
       Flugzeug auf dem Weg von Amsterdam nach Detroit sprengte … 
       
       … obwohl sein Vater vorher in die US-Botschaft in Nigeria gelaufen war und
       den dortigen CIA-Chef vor der Radikalisierung seines Sohnes warnte.
       
       Wie viel Macht hat die NSA? 
       
       Sehr, sehr viel. Der Direktor der NSA, [1][General Keith Alexander], ist
       die mächtigste Person in der Geschichte der US-Geheimdienste.
       
       Warum? 
       
       Vor dem 11. September war der CIA-Chef sehr mächtig, jetzt ist es der Chef
       der NSA. Alexander ist ein 4-Sterne-General, das ist der höchste
       militärische Rang. Er leitet die mit über 30.000 Mitarbeitern größte
       Geheimdienstbehörde der Welt und ist gleichzeitig auch noch Kommandeur des
       US Cyber Command. Er hat eigene Militäreinheiten unter sich und die Macht,
       kriegerische Handlungen zu befehlen – und hat dies auch schon getan, als
       die iranischen Zentrifugen angegriffen wurden …
       
       … durch ein von den USA und Israel entwickeltes Schadprogramm namens
       Stuxnet. 
       
       Der Iran hatte uns nicht attackiert, und trotzdem haben wir einen Teil
       seiner Infrastruktur zerstört. Das ist eine kriegerische Handlung. Und nun
       haben sie Vergeltung geübt und die Daten auf 30.000 Computern der
       saudischen Ölfirma Aramco zerstört und sie durch brennende amerikanischen
       Flaggen ersetzt. [2][Stuxnet] hat diese Art der Kriegsführung legitimiert,
       sodass nun auch Länder Kapazitäten für den Cyberkrieg aufbauen, die vorher
       nie daran gedacht hätten.
       
       In Deutschland kannten die meisten den Namen Keith Alexander bis vor kurzem
       noch nicht mal. 
       
       Falls General Alexander die Pennsylvania Avenue in Washington runterlaufen
       würde, würde ihn der durchschnittliche Amerikaner auch nicht erkennen. Und
       wahrscheinlich auch einige Mitarbeiter des Weißen Hauses nicht.
       
       Sie schreiben am Ende Ihres Buchs „Die Schattenfabrik“, der Geheimdienst
       habe „die Kapazität, eine totale Tyrannei“ zu errichten. 
       
       Das Zitat stammt ursprünglich nicht von mir, sondern von dem Mann, der den
       Geheimdienstkontrollausschuss des US-Senats gegründet hat. Er hat das schon
       1975 gesagt, als die Macht der NSA im Vergleich zu heute noch sehr gering
       war. Damals konnte die NSA nur Festnetztelefone und Telegramme ausspähen.
       Heute kommuniziert jeder jederzeit. Der Geheimdienst kann E-Mails mitlesen
       und, was vielleicht am beunruhigendsten ist, die Suchergebnisse von
       Suchmaschinen wie Google. Wer Zugang zu diesen Daten hat, kann sich in die
       Gedanken einer Person einklinken.
       
       Wie das? 
       
       Wenn wir im Netz etwas suchen, werden unsere Finger zu einer Verlängerung
       unseres Gehirns. Sie tippen unsere Gedanken unmittelbar in die Tastatur.
       Zum Beispiel, wenn man überlegt, eine Reise zu machen. Oder man erfährt von
       einer schlimmen Diagnose. Es gibt Dinge, die würde man niemandem
       anvertrauen, sie bewegen einen aber so sehr, dass man im Internet nach
       Antworten sucht. Wer diese Google-Suchprotokolle hat, hat die Gedanken der
       Menschen. Und das ist gefährlich für einen Geheimdienst mit so wenig
       Kontrolle.
       
       Sie schreiben seit mehr als drei Jahrzehnten über die NSA. Werden die
       Enthüllungen von Edward Snowden etwas ändern? 
       
       Möglicherweise. Die Obama-Regierung und der Kongress, die die Operationen
       der NSA unterstützen, würden normalerweise versuchen, eine Enthüllung wie
       diese auszusitzen, und hoffen, dass die Leute beim nächsten Tornado in
       Oklahoma oder sonst einem Großereignis die Aufmerksamkeit verlieren. Aber
       diese Sache kann sich noch lange hinziehen, weil die Enthüllungen
       tröpfchenweise erfolgen.
       
       Der britische Guardian veröffentlicht fast täglich neue Details. 
       
       Snowden hatte viel Zeit zu überlegen, was er will. Und heutzutage passt
       viel Material auf eine Festplatte. Was es für die NSA noch schlimmer macht,
       ist die Bandbreite dessen, was er mitgenommen hat.
       
       Sogar geheime Dokumente eines britischen Partnerdienstes sind darunter. 
       
       Snowden hatte als System-Administrator eine Art großen Schlüsselbund, der
       ihm vielen Türen geöffnet hat. Die müssen durchdrehen bei der NSA.
       
       Ist Snowden ein Held oder ein Verräter? 
       
       Für mich ist er ein Held. Er hat Dinge öffentlich gemacht, die die
       Regierung nicht tun sollte. Dinge, die in meinen Augen illegal sind. Er hat
       sein ganzes restliches Leben drangegeben und wird es womöglich im Gefängnis
       verbringen. Ich glaube Snowden, wenn er sagt, er habe das aus
       altruistischen Motiven getan. Ähnlich wie Daniel Ellsberg, der die streng
       geheimen Pentagon Papers ans Licht brachte und enthüllte, wie die USA in
       Vietnam einen furchtbaren Krieg anfingen.
       
       30 Jun 2013
       
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