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       # taz.de -- Proteste in Brasilien: Jede Menge neue Forderungen
       
       > Die Politik reagiert auf die Demonstrationen. Doch die Proteste in
       > Brasilien gehen weiter. Zentrale Themen: demokratischere Medien und
       > Polizeigewalt.
       
   IMG Bild: Zusammenstöße mit der Polizei in Belo Horizonte.
       
       RIO DE JANEIRO taz | Das Halbfinale des Confed Cups hat die Demonstranten
       in Brasilien zurück auf die Straße geholt. 50.000 Menschen demonstrierten
       am Mittwoch allein in Belo Horizonte, wo Gastgeber Brasilien den Nachbarn
       Uruguay mit 2:1 besiegte. Die Menge zog friedlich vor das neue Stadium, wo
       es zu Straßenkämpfen an den Absperrgittern kam. Ein Demonstrant starb im
       Krankenhaus, nachdem er während des Polizeieinsatzes von einer
       Straßenüberführung herunterfiel. Er ist damit das fünfte Todesopfer seit
       Donnerstag voriger Woche. Auch in anderen Städten gingen jetzt wieder
       Tausende auf die Straßen.
       
       Die Protestwelle rollt trotz erster Ermüdungszeichen der Demonstranten und
       Entgegenkommens seitens der Politik weiter. Neue Forderungen kommen auf.
       Nach Kritik an einseitiger Berichterstattung der privaten Medien wird jetzt
       die „Demokratisierung der Kommunikation“ gefordert. Demos zum rechten
       Leitmedium „Globo“ sind geplant. Es geht gegen das Pressemonopol in Händen
       weniger Familien und um Frequenzen für Basissender nach Vorbild der neuen
       Gesetze in Argentinien oder Ecuador.
       
       Auch die Polizeigewalt, die viele erst auf die Straße gebracht hat, wird
       immer öfter thematisiert. Viele bekommen jetzt mit, wie die Polizei in den
       Armenvierteln vorgeht, weit weg von Fernsehkameras und großen
       Demonstrationen. Neun Menschen erschoss eine Spezialeinheit Montagabend in
       Rio, als sie nach einer Demonstration die Favela Maré stürmte. Auch ein
       Polizist starb bei dem Einsatz, der sich angeblich gegen Drogenhändler
       richtete, welche die Demo für Gewalttaten missbrauchen wollten.
       
       Im Mittelpunkt stehen nach wie vor die unzureichenden öffentlichen
       Dienstleistungen, die Korruption sowie der Unmut über die Geldverschwendung
       für WM und Olympische Spiele. An Erfolgen mangelt es der Protestbewegung
       nicht.
       
       ## Reform des politischen Systems ist schwierig
       
       Nachdem Präsidentin Dilma Rousseff am Montag zahlreiche Verbesserungen
       angekündigt hatte, haben es die sonst behäbigen Politiker auf einmal eilig.
       Einen Gesetzesvorschlag, der die Strafen für Korruption empfindlich erhöht
       und seit zwei Jahren in der Schublade schlummert, segnete der Senat im
       Schnellverfahren ab. Das Parlament beschloss, dass künftig 75 Prozent der
       Einnahmen aus der Erdölproduktion in die öffentliche Bildung investiert
       werden muss. Das restliche Viertel soll in das öffentliche
       Gesundheitssystem fließen.
       
       Komplizierter gestaltet sich die Reform des politischen Systems, dem
       wichtigsten Vorstoß der Präsidentin. Ihren Vorschlag, eine
       verfassunggebende Versammlung einzuberufen, zog Rousseff wegen juristischer
       Bedenken zurück. Aber sowohl der Kongress wie die Justiz signalisierten
       Zustimmung zu einem Referendum, in dem die Bevölkerung gefragt werden soll,
       welche Veränderungen sie wünscht.
       
       Laut Erziehungsminister Aloizio Mercadante soll die Volksabstimmung „so
       schnell wie möglich“ stattfinden, damit die Reformen noch vor der nächsten
       Wahl im Oktober 2014 in Kraft treten können. Das herrschende
       Parteiensystem, mangelnde Wahlkampffinanzierung sowie der Kauf politischer
       Gefälligkeiten gelten als Ursachen zahlreicher Korruptionsfälle in
       Brasilien.
       
       ## Umstrittener Verfassungszusatz abgelehnt
       
       Schon zuvor kam das Parlament einer der umstrittensten Forderungen nach:
       Mit nur 9 Gegenstimmen wurde die sogenannte PEC 37 abgelehnt, ein
       Verfassungszusatz, der die Ermittlungsbefugnisse der Staatsanwaltschaft
       einschränken sollte. Die Linke ist in der Frage uneinig, einige halten die
       Staatsanwaltschaft für elitär und parteiisch, andere halten ein
       Ermittlungsmonopol der Polizei für bedenklich.
       
       Für die rechte Opposition hingegen ist die Sache eindeutig: Es ist die „PEC
       der Straffreiheit“, mit der sich Regierungspolitiker Ermittlungen wegen
       korrupter Machenschaften entziehen wollen. Da es sich um eine Initiative
       der regierenden Arbeiterpartei PT handelt, mobilisieren Rechtsparteien und
       Presse seit Langem gegen PEC 37. Verknüpft mit dem Leitthema Korruption
       nahmen viele Demonstranten das Thema auf.
       
       Kaum ein Politiker traut sich momentan, gegen die Forderungen der
       Demonstranten zu stimmen. Niemand möchte seinen Namen auf den Schildern der
       Demonstranten lesen. Manche Oberkorrupte wie Senatspräsident Renan
       Calheiros, auf den es schon viele Schilder abgesehen haben, fallen gar als
       Initiatoren von Gesetzen auf, die keinesfalls ihren Interessen entsprechen,
       wie etwa die jetzt beschlossene Richtlinie, dass bei Abstimmungen über
       einen Mandatsentzug von Kollegen keine geheime Wahl mehr zulässig ist.
       
       27 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
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