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       # taz.de -- Kommentar EU-Beitritt der Türkei: Brüsseler Produkte
       
       > Noch nie sind die Werte, auf denen die EU angeblich basiert, in der
       > Türkei so offensiv eingefordert worden wie jetzt. Es wäre Zeit gewesen,
       > Flagge zu zeigen.
       
   IMG Bild: Flaggen überm Taksimplatz: Die EU und die Türkei Seite an Seite.
       
       Der Beschluss der EU zu den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist ein
       typisches Brüsseler Produkt: Man kann ihn interpretieren, wie man möchte,
       aber das Schlimmste – ein völliger Bruch mit der Türkei – wurde abgewendet.
       Während die türkische Regierung sagt, jawohl, Verhandlungskapitel wurde
       eröffnet, sagt Westerwelle, vor den Bundestagswahlen wird es keine
       Gespräche geben.
       
       Das ist wie so oft eine Mogelpackung – aber keine aktive Außenpolitik.
       Dabei wäre jetzt, nach Jahren des Stillstands, der Zeitpunkt gewesen,
       Flagge zu zeigen.
       
       Die halbe Türkei ist auf den Beinen, noch nie hat es am Bosporus eine
       Demokratiebewegung gegeben wie jetzt. Noch nie sind die Werte, auf denen
       die EU angeblich basiert, so offensiv eingefordert worden wie in den
       letzten drei Wochen. Aber ein echtes Bekenntnis der EU zu den Menschen, die
       für Demokratie und Freiheit auf die Straße gehen, blieb aus.
       
       Zwar gab es Kritik am autokratischen Ministerpräsidenten Erdogan und der
       Prügelpolitik seiner Regierung, doch die blieb weitgehend folgenlos. Drei
       Monate Verschiebung der Gespräche wegen Gezi-Park, schrieb die liberale
       türkische Zeitung Radikal; tatsächlich ist es nicht mal das. „Drei Monate
       Verschiebung wegen Bundestagswahl“, das wäre treffender gewesen.
       
       Wenn die EU die Demokratiebewegung in der Türkei wirklich unterstützen
       wollte, dann müsste sie Erdogan und seine islamische AKP zwingen, Farbe zu
       bekennen. Nicht, indem sie die Eröffnung eines belanglosen Kapitels über
       Regionalpolitik in Aussicht stellt, sondern indem sie die türkische
       Regierung zwingt, beim Thema Meinungsfreiheit oder rechtsstaatlichen
       Verfahren in politischen Prozessen ihr Verhalten europäischen Normen
       anzupassen.
       
       Das ginge natürlich nur, wenn man einen Beitritt der Türkei wirklich
       wollte.
       
       Die türkische Protestbewegung hat die Unterstützung aus dem Ausland, von
       ausländischen Medien über prominente Einzelpersonen bis hin zu
       zivilgesellschaftlichen Kontakten, sehr begrüßt, gleichzeitig aber wenig
       auf die EU als Institution gesetzt. Weder in den allabendlich
       stattfindenden Bürgerforen noch in den sozialen Medien ist von der EU groß
       die Rede. Da von der EU nach dem Beschluss nichts zu erwarten ist, ist es
       umso wichtiger, dass wenigstens die europäische Zivilgesellschaft ihren
       FreundInnen in der Türkei zur Seite steht.
       
       25 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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