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       # taz.de -- Die Wahrheit: Trampen auf russisch
       
       > Es donnerte, und eine tintenschwarze Gewitterwolke verschlang den Himmel.
       > Wir blickten uns panisch um ...
       
   IMG Bild: Nicht jeder kann mit Bohrmaschinen.
       
       Es donnerte, und eine tintenschwarze Gewitterwolke verschlang den Himmel.
       Wir blickten uns panisch um, aber wir wussten ja seit Stunden, dass
       nirgendwo in Sichtweite ein Haus stand. „Toll“, sagte ich, als mir die
       ersten Tropfen auf den Kopf klatschten, „wenn wir erst mal pitschnass sind,
       nimmt uns erst recht keiner mehr mit.“
       
       Doch Raimund blieb stoisch am Straßenrand stehen und meinte, dass wir doch
       gute Chancen hätten, wieder trocken zu sein, wenn der nächste Wagen
       vorbeikomme, da in dieser gottverlassenen Gegend ja sowieso nur alle zwei
       bis drei Stunden ein Auto auftauche.
       
       Er war morgens mit seinem alten kreischorangen Gestängerucksack bei mir
       aufgekreuzt. „Lass uns mal wieder losziehen“, sagte er: „Den Daumen
       raushalten und ab in den Süden!“ Ich seufzte. Ich hatte zwei Wochen frei
       und wollte meine Wohnung renovieren. „Raimund“, sagte ich, „kein Mensch
       nimmt uns noch mit: Zwei fünfzigjährige Tramper gelten nicht als
       sympathische Abenteurer, sondern als Versager, die sich kein eigenes Auto
       leisten können.“
       
       Doch Raimund kann sehr überzeugend sein. „So, jetzt zeig ich dir, dass ich
       nichts verlernt habe“, sagte er, als wir das Gelände der Autobahnraststätte
       am Stadtrand betraten. Tatsächlich hatte er uns im Nu einen Lift besorgt:
       Er hielt einem Mann, der vor seinem Wagen stand, den Daumen hin, und der
       Mann nickte. „Nach Süden?“, fragte Raimund.
       
       Der Mann nickte wieder und bedeutete uns, im Fond Platz zu nehmen, während
       er sich hinters Steuer setzte. Das schien allerdings seinem Beifahrer nicht
       zu gefallen, der sofort in einer fremden Sprache zu schimpfen begann. Der
       Fahrer indes ließ sich nicht beirren: Er schlug die Tür zu und fuhr,
       gleichfalls in dieser fremden Sprache schimpfend, los.
       
       So brausten wir, eingehüllt in eine Beschimpfungswolke, dahin. „Was
       sprechen die beiden, Russisch?“, flüsterte ich. „Keine Ahnung – Hauptsache,
       sie bringen uns in den Süden“, erwiderte Raimund. Plötzlich aber schwiegen
       sie. Der Fahrer zuckte die Schultern und bog von der Autobahn ab. „Nein,
       stopp!“, riefen wir, doch die beiden reagierten nicht.
       
       Wir gurkten durch eine menschenverlassene Gegend, blieben schließlich
       stehen. „Raus!“, brummten sie, zerrten uns samt unserer Rucksäcke ins Freie
       und ließen uns zurück: Irgendwo im Nirgendwo, wo stundenlang kein Wagen
       vorbeikam und schließlich auch noch ein Gewitter über uns hereinbrach.
       
       Als der Regen schwächer wurde, tauchte in der Ferne ein Auto auf. Raimund
       gestikulierte wild, und das Fahrzeug hielt tatsächlich. „Das gibt’s doch
       …“, stammelte ich, aber schon sprangen zwei junge Männer heraus, hielten
       uns erst zwei Polizeimarken, dann zwei Pistolen vor die Nasen, tasteten uns
       ab und ließen sich unsere Ausweise geben.
       
       „Das sind sie nicht, das sind nicht mal Russen!“, sagte einer von ihnen,
       und so hetzten sie zurück zu ihrem Auto und brausten davon, während der
       Regen wieder zunahm und Raimund ihnen verzweifelt ein paar Schritte
       nachlief und kreischte: „Doch! Wir sind Russen! Druschba! Nastrowje! Nehmt
       uns mit!“
       
       18 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Joachim Schulz
       
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