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       # taz.de -- Ausstellung "Kaboom": Die befreite Kunst
       
       > Einflüsse des Comics auf die bildende Kunst zeigt die Bremer Weserburg:
       > Die Ausstellung macht Spaß, schockt und vermag, den tösenden Abgang des
       > Direktors zu übertönen.
       
   IMG Bild: Auf Knieen zum Times Square: William Pope L.s Superman-Performance "The Great White Way".
       
       BREMEN taz | Es ist das Geräusch einer befreienden Explosion: „Kaboom!“
       heißt die neue Ausstellung im Museum Weserburg, die gestern Abend eröffnet
       wurde, „Comic in der Kunst“. Und, um gleich Missverständnissen vorzubeugen,
       „das ist keine Comic-Ausstellung“, stellt Kurator Ingo Clauss klar.
       
       Die Schau widmet sich vielmehr der Auseinandersetzung der bildenden Kunst
       mit diesem Teilbereich der Kulturindustrie. Sie zeigt die Strategien und
       Inhalte, die Formen und Erzählweisen, die sie von ihrer nach hegelianischer
       Zählung achten und bislang jüngsten Schwester gelernt, übernommen und in
       der Auseinandersetzung mit ihr neu entwickelt hat.
       
       Clauss hat sie, inhaltlich passend, als direkt ansprechende, teilweise
       ruppig konfrontative Schau konzipiert: Sie macht deutlich, dass der
       bildnerische Blick stets besonderes Interesse an der dunklen Seite der
       Comic-Kunst hatte, dass es ihre Möglichkeiten, im sarkastischen Witz vom
       Niedlichen ins Unheimliche zu kippen sind, die ihm Nahrung geben – etwa
       wenn Bildhauer John Isaacs unter der kuschelblöden Bunnymaske einen brutal
       blickenden kahlen Männerschädel auftauchen lässt. Und sie verfügt, gerade
       in den wunderbar-abscheulichen Nazi- und Porno-Bildern des Isländers ERRÓ
       auch über erhebliches Schock-Potenzial, sprich: Es ist eine laute
       Ausstellung, ein echtes Lebenszeichen.
       
       ## Die Kunst ist auch noch wichtig
       
       Zum Glück. Denn so hat die Kunst die Chance zu sagen: Mich gibt’s auch
       noch! Ich bin hier wichtig. Und so den knalligen Abgang von Carsten Ahrens
       zu Beginn der Woche zu übertönen: Dass die großen deutschen Feuilletons
       dieses Ereignis bislang komplett ignoriert hatten, ist ein recht
       drastischer Beleg dafür, wie wenig seiner einst europäischen Strahlkraft
       dem ersten deutschen Sammlermuseum nach sieben Jahren unter Ahrens
       glückloser Leitung noch geblieben war.
       
       Es lässt zudem Zweifel an der Eignung des Stiftungsrates und seines
       Vorsitzenden Klaus Sondergeld aufkommen, der – in aller Stille (taz
       berichtete) – im Mai mit dem nun schwindenden Hausherrn einen neuen Vertrag
       geschlossen hatte, kurz vor dem Auslaufen, über fünf weitere Jahre.
       
       Das wird sich auf die Abfindung auswirken, eine Größenordnung von einer
       halben Million Euro erscheint am Horizont, für den armen Ahrens. In der
       Bild freilich fabulierte der Kulturjournalist Axel Brüggemann munter
       drauflos, der sei Opfer einer Intrige und von Bürgermeister Jens Böhrnsen
       (SPD) persönlich geschasst worden.
       
       „Das ist unwahr“, so der Sprecher des Kulturressorts, Heiner Stahn, auf
       Nachfrage. „Allein der Stiftungsrat entscheidet über die Personalien der
       Weserburg.“ Dem aber gehört Böhrnsen nicht mal an, genauso wenig wie seine
       Staatsrätin Carmen Emigholz, auch wenn Bremen das Museum jährlich mit einer
       guten Million Euro bezuschusst.
       
       ## Beschwingtes Team ohne Chef
       
       Immerhin, Sondergelds aktuelle Lageeinschätzung, die er am Dienstag gegeben
       hatte, wird durch die aktuelle Ausstellung eindrucksvoll bestätigt: „Das
       Museum“, informierte der ehemalige Senatssprecher die Kulturdeputation,
       „ist in seiner Arbeitsfähigkeit in keiner Weise beeinträchtigt.“ Selten in
       der Tat hat man das Weserburg-Team so sehr als Team und in so gelöster,
       fast beschwingter Stimmung erlebt, auch in den Tagen des Gründungsdirektors
       Thomas Deecke nicht: Man hat den Wert der Gemeinsamkeit entdeckt, betont
       die gute Zusammenarbeit mit der Leiterin des Studienzentrums für
       Künstlerpublikationen, Anette Thuman-Jajes, und weist ausführlich auf
       dessen von Bettina Brach kuratierte parallele Ausstellung – zum Comic im
       Künstlerbuch – hin.
       
       Kurator Clauss tanzt fast durch die Säle, während er die einzelnen Arbeiten
       erläutert: Das große Akrylgemälde „gold“ des jüngst verstorbenen
       Luxemburger Michel Majerus, das Manga-Optik und Schriftinszenierung
       zitiert, oder Simon Allens dekonstruierendes Tim und Struppi-Fries. Und der
       geschäftsführende Direktor Peter Friese strahlt vor Glück darüber, wie
       intelligent der Kollege die Exponate geordnet hat, durch Blickbezüge,
       paradigmatisch, und eben nicht anhand einer reichlich gestrigen,
       erzkonventionellen linearen Kunstgeschichtsschreibung. Die hatte Ahrens in
       einem ansonsten vor allem substanzarmen Konzeptentwurf – er selbst hatte
       ihn treffend als „Leerform“ bezeichnet – zur Grundlage einer
       Dauerausstellung des Hauses machen wollen.
       
       Wie bildende Künste den Comic, wie diese ein Medium der historischen
       Rückgriffe und futuristischen Visionen, als Herausforderung auffassen,
       dafür steht indes geradezu emblematisch William Pope L.’s
       Superman-Performance „The Great White Way“ von 2001: Sie ist als Video und
       als Relikt der Aktion auf dem Weg von der Freiheitsstatue bis zum Times
       Square in der Ausstellung präsent.
       
       Der schwarze Künstler hat diese 22 Meilen im blauroten Kostüm des weißen
       Übermenschen zurückgelegt – robbend, auf dem Bauch, die Knie und
       Oberschenkel über den Asphalt schleifend. Ein Fernseher, der am Boden
       steht, zeigt das Video der Aktion. Und das aufgescheuerte
       Superhelden-Outfit liegt, wie eine Reliquie, in einer Vitrine, in der Mitte
       des Raums.
       
       15 Jun 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benno Schirrmeister
       
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