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       # taz.de -- Hetero-Wahn in Russland: Wo Homophobie noch Mainstream ist
       
       > Die Staatsduma verabschiedet ein Verbot von „Homosexuellen-Propaganda“.
       > Fortan leben russische Schwule und Lesben an der Grenze der Legalität.
       
   IMG Bild: Küssen verboten? Das Gesetz gegen „nicht traditionelle sexuelle Einstellungen“ ist schwammig formuliert.
       
       MOSKAU dpa | Brutal foltern zwei Männer ihr Opfer: Mit Bierflaschen quälen
       sie den 23-Jährigen, dann erschlagen die Peiniger ihn mit einem Stein und
       zünden die Leiche an. Die schaurige Bluttat in der südrussischen Stadt
       Wolgograd jagt Homosexuellen im größten Land der Erde Angst ein - denn die
       Behörden sind überzeugt, dass die Mörder aus Schwulenhass handeln.
       
       Die zunehmende Zahl von Übergriffen sei Folge der homophoben Kremlpolitik,
       klagt der Schwulenaktivist Nikolai Alexejew. Doch statt Schwule und Lesben
       besser zu schützen, greife der Staat nun sogar selbst ins Privatleben ein,
       kritisieren Bürgerrechtler. Mit großer Mehrheit stimmt das Parlament in
       Moskau am Dienstag für ein umstrittenes Verbot von
       „Homosexuellen-Propaganda“.
       
       Das Gesetz diene dem Kinderschutz, behauptet Initiatorin Jelena Misulina
       von der Regierungspartei Geeintes Russland – und erntet landesweit
       Zustimmung. 88 Prozent unterstützen in einer Umfrage des das Vorhaben, das
       in der Touristenmetropole St. Petersburg und einigen anderen Regionen
       bereits seit mehr als einem Jahr umgesetzt wird. Fast die Hälfte der Russen
       fordert demnach sogar, Homosexualität wieder unter Strafe zu stellen. Das
       Gesetz gilt auch als Zugeständnis an die Kirche, einer wichtigen
       Machtstütze von Präsident Wladimir Putin.
       
       Die orthodox geprägte russische Gesellschaft lehnt Homosexualität als
       ansteckende Krankheit westlicher Verkommenheit strikt ab. Homosexuelle
       seien Päderasten, streuen ultraorthodoxe Gläubige. Auch Kremlchef Putin,
       der von der einflussreichen Kirche gestützt wird, wettert gegen das jüngst
       beschlossene Adoptionsrecht für homosexuelle Paare in Frankreich.
       
       ## „Menschen erster und zweiter Klasse“
       
       Als nächstes will die Staatsduma Schwulen und Lesben die Adoption
       russischer Kinder gesetzlich verbieten. „Die Duma teilt Menschen in
       Kategorien ein, in Menschen erster und zweiter Klasse“, schimpft die
       Aktivistin Jelena Kostjutschenko. Eine „Waffe gegen die Medien“ sei das
       neue Gesetz zudem, sagt die Journalistin. Internetseiten könnten ohne
       Gerichtsbeschluss gesperrt werden. „Wir werden nicht mehr über
       Homosexualität berichten dürfen, wie im Iran.“
       
       Was konkret bestraft wird, ist allerdings noch unklar. Das neue Gesetz ist
       schwammig formuliert - mit Absicht, meinen Kritiker. Mit hohen Geldbußen
       bis zu umgerechnet 25 000 Euro bestraft werden sollen künftig
       Informationen, die „darauf abzielen, nicht traditionelle sexuelle
       Einstellungen bei Minderjährigen zu formen“.
       
       Klar aber ist nach Ansicht von Kommentatoren: Verboten sind öffentliche
       Äußerungen über Homosexualität, schwulen und lesbischen Organisationen
       drohe das Aus. Damit sei auch die Aufklärung über HIV stark gefährdet.
       Aktivistin Kostjutschenko warnt, die Selbstmordrate unter homosexuellen
       Jugendlichen werde weiter steigen.
       
       ## Legal aber verborgen
       
       Obwohl Homosexualität seit 1993 in Russland legal ist, leben Schwule und
       Lesben meist im Verborgenen: Händchenhalten oder Küsse in der
       Öffentlichkeit sind verpönt. Im Untergrund existiert zwar etwa in Moskau
       eine lebendige Clubszene, die toleriert wird. Auf ein Coming-Out aber
       reagieren Familie und Freunde noch immer meist mit Unverständnis, wenn
       nicht mit Hass und Verachtung.
       
       Regelmäßig verbieten die Behörden zudem Homo-Paraden nach westlichem
       Vorbild. Moskau brauche „solche Veranstaltungen“ nicht, betont das
       Bürgermeisteramt. Als mehrere Menschen vor der Duma gegen das Verbot von
       „Homosexuellen-Propaganda“ protestieren, werden sie von Gegnern mit faulen
       Eiern beworfen.
       
       Kritiker werfen dem Kreml aber auch vor, mit dem demonstrativen Vorgehen
       gegen Schwule und Lesben den Hass vieler Unzufriedener von Themen wie
       Korruption oder Justizwillkür ablenken zu wollen. Schließlich hätten
       Minderheiten schon immer ein gutes Ziel abgegeben.
       
       11 Jun 2013
       
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