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       # taz.de -- Persönlichkeitsrechte für Tiere: Wann wird ein Etwas zum Wer?
       
       > Meldungen über besondere Leistungen von Tieren gibt es viele. Leider
       > werden daraus nicht die richtigen Konsequenzen gezogen.
       
   IMG Bild: Na, Teechen? Manche Tiere sind den Menschen ähnlicher als man gemeinhin denkt.
       
       Persönlichkeitsrechte für Tiere – klingt das für Sie absurd? Macht uns
       nicht die Tatsache, dass wir Menschen Personen sind, zur Krönung der
       Schöpfung, und trennt uns nicht gerade dies vom Rest der Tierwelt? Folgt
       man den Erkenntnissen moderner Verhaltensbiologie und der
       Neurowissenschaften, dann lautet die Antwort: Nein.
       
       Doch keine Angst, wir Menschen bleiben einzigartig, denn unsere Fähigkeit
       zu komplexem kooperativen Handeln hat uns extrem erfolgreich sein lassen
       und erklärt, warum wir Städte bauen und Raketen auf den Mond schießen.
       Errungenschaften, die wir als Gemeinschaft hervorgebracht haben und die uns
       über Generationen erhalten bleiben.
       
       Doch wir sind nicht die einzigen Wesen auf „unserem“ Planeten, die sich zu
       Personen entwickelt haben. Bei einigen Tierarten handelt es sich
       zweifelsfrei um mitfühlende, selbstbewusste Individuen mit einer
       Vorstellung von Raum und Zeit und der Fähigkeit zu strategischem Denken und
       planvollem Handeln. Sie leben in ihrer eigenen Kultur, haben ein
       lebenslanges Gedächtnis und vermutlich die Fähigkeit, im Rahmen einer
       einfachen Grammatik miteinander zu kommunizieren.
       
       Sie nutzen Werkzeuge und scheinen so etwas wie einen guten Geschmack oder
       ein Bewusstsein für Mode zu haben. Darüber hinaus können sie sich
       empathisch verhalten, und es wurden einfache Formen von Gerechtigkeitssinn
       und Fairness entdeckt. In den grundlegenden Fähigkeiten, die uns Menschen
       zu Personen machen, steht uns somit eine ganze Reihe von Tieren in nichts
       nach.
       
       ## Was erhebt uns noch über das Tier?
       
       Fast wöchentlich erscheint eine neue Meldung über beeindruckende tierische
       Leistungen in unsere Medien. Was fehlt, sind die Schlüsse, die daraus zu
       ziehen sind. Wenn uns einige hochentwickelte Tiere in den Charakteristika
       einer Person in nichts nachstehen, müssen ihnen konsequenterweise auch
       gleiche Rechte zugestanden werden. Was erhebt uns noch über das Tier und
       was sind die Konsequenzen, wenn wir in anderen Tierarten Personen erkennen,
       wenn ein Etwas zum Wer wird?
       
       Ein Wer hat ein Recht auf sich selbst, ein Recht auf Leben, Freiheit und
       Sicherheit. Es ist höchste Zeit, dass die Erkenntnisse über die
       Persönlichkeit von Tieren endlich unsere Moralvorstellungen und damit unser
       Handeln mitbestimmen. Der Schutz von hochentwickelten Tieren darf nicht
       länger auf Populationsebene stattfinden und erst ernst genommen werden,
       wenn eine Tierart kurz vor dem Aussterben steht. Nein, Tiere, die sich auf
       das Niveau einer Person entwickelt haben, haben genauso wie wir ein Recht
       auf sich selbst und auf ihren Lebensraum.
       
       Aus meiner Sicht ist dies keine Frage der Einstellung oder des Glaubens,
       sondern der Logik und wissenschaftlicher Erkenntnisse. Hier nur eines der
       Beispiele: Wenn sich zum Beispiel ein Elefant und ein zweijähriges
       menschliches Kind im Spiegel erkennen, ein einjähriges Kind oder ein Hund
       aber nicht, dann haben eben nur Elefanten und ältere Kinder den Test auf
       Selbstbewusstsein bestanden. Das ist Wissenschaft und kein überdrehter
       Tierschutz.
       
       ## Prozess der moralischen Entwicklung hat begonnen
       
       Doch glücklicherweise hat der Prozess der moralischen Entwicklung begonnen.
       So hat vor einigen Tagen die indische Regierung einen bemerkenswerten
       Schritt getan. In einer Anweisung hat das Ministerium für Umwelt und Wälder
       (Ministry of Environment and Forest) kurzerhand Delfinarien verboten.
       
       Interessant war die Begründung. Die Regierung bezog sich auf die sogenannte
       Helsinki-Deklaration. In ihr haben sich namhafte Wissenschaftler dafür
       ausgesprochen, Wale und Delfine als „nichtmenschliche“ Personen zu
       betrachten. Die Regierung folgert daraus, dass es ethisch nicht vertretbar
       sei, die Tiere in Gefangenschaft zu halten.
       
       Eine Einstellung, von der wir in Deutschland meilenweit entfernt sind. So
       hatte ich vor zwei Wochen die Ehre, als Sachverständiger über artgerechte
       Haltung von Delfinen im zuständigen parlamentarischen Ausschuss in Berlin
       zu referieren: Ethische Fragen blieben da unberücksichtigt.
       
       Dennoch, die ihren dritten Jahrestag feiernde Helsinki-Deklaration zu
       Walrechten zeigte in Indien erstmals praktische Auswirkungen, und die
       Entscheidung der indischen Regierung wird vielleicht als ethischer
       Meilenstein in den Geschichtsbüchern erwähnt werden.
       
       Karsten Bensing ist Wissenschaftler der Whale and Dolphin Conservation
       (WDC), einer NGO mit Sitz in München. Er hat an der FU Berlin über die
       Interaktion zwischen Delfinen und Menschen promoviert. In seiner Freizeit
       ist er Forschungstaucher.
       
       31 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Karsten Brensing
       
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