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       # taz.de -- Neues Stadtkonzept für Berlin: Drückende Sorgen
       
       > Senator Michael Müller debattiert in Neukölln über ein neues Konzept zur
       > sozialen Stadtentwicklung. Und hört vor allem Zukunftsängste.
       
   IMG Bild: Auf dem Weg zum neuen Stadtentwicklungs-Plan: SPD-Senator Michael Müller.
       
       Neulich war die Berliner SPD in Wien. Über Wohnungsbau wollte man mit den
       Österreichern reden. Die aber hätten nur nach dem hiesigen
       Quartiersmanagement gefragt, nach Stadtteilmüttern und Integrationslotsen.
       „Das hat sie richtig begeistert.“
       
       Die Episode erzählt Michael Müller am Mittwochabend. Es klingt nach einer
       guten Voraussetzung für das, was der SPD-Bausenator beim zweiten Termin
       seines „Stadtforums“ diskutieren will, bei dem es um die Entwicklung eines
       „Stadtentwicklungskonzepts 2030“ geht. Diesmal auf der Agenda: Soziales.
       
       Nach dem Auftakt Ende April im Roten Rathaus trifft man sich diesmal in
       Neukölln. Rund 200 Mitdiskutanten sitzen im „Heimathafen“, oben Stuckdecke,
       unten Bierbänke. Vorne am Pult erklärt Müller noch mal, warum es den Plan
       braucht: 100.000 Menschen seien in den letzten drei Jahren hergezogen, noch
       250.000 mehr sollen es bis 2030 werden. Ein Viertel der Berliner habe
       bereits Migrationshintergrund. Wie all diese Menschen gut wohnen, arbeiten,
       lernen oder mobil sein können - das soll diskutiert werden und in den Plan.
       
       ## Der Markt macht’s nicht
       
       Es ist TU-Professorin Elke Pahl-Weber, die Müllers Anfangseuphorie gleich
       wieder dämpft. Berlin habe enorme soziale Herausforderungen, referiert sie.
       Geringe Einkommen, viele Schulabbrecher, steigende Altersarmut, Hauptstadt
       der Hartz-IV-Bezieher. „Der Markt jedenfalls wird diese Ungleichheiten
       nicht beseitigen.“
       
       Kaum besser klingt es aus dem Publikum. „Wer hier Pflege benötigt, landet
       automatisch in der Armut“, klagt eine Frau im Rollstuhl. „Die Spekulation
       mit Wohnraum, das ist das Problem“, sagt eine Blazer-Trägerin. „Menschen an
       den Stadtrand verpflanzen bringt sie um“, warnt ein Mediaspree-Gegner. Und
       warum, fragt ein älterer Mann, werde nicht über Angst geredet? „Ich traue
       mich nicht mehr mit der U-Bahn von Neukölln in die Staatsoper.“
       
       Drei Stunden geht das so, Müller hört schweigend zu. Vor ihm baut sich ein
       immer größeres Mosaik aus Sorgen auf, allen voran die Mieten. Gleichzeitig
       wächst die Frage, wie daraus ein „strategisches Leitbild“ werden soll.
       
       Müllers Staatssekretär Ephraim Gothe versucht es noch retten: Das sei ihm
       alles zu pessimistisch. Berlin erfreue sich doch Zuzüglern aus ganz Europa,
       die hier auch heimisch würden. „Es muss also doch auch unglaubliche
       Integrationskräfte geben.“ Nur welche? Das bleibt offen.
       
       Am Ende ist es Katrin Lompscher, die linke Ex-Gesundheitssenatorin, die
       simpel festhält, dass Berlin bisher doch so attraktiv sei, weil man hier
       auch mit wenig Geld gut leben könne. „Und das muss so bleiben.“ Das gibt
       den größten Applaus - und bleibt der kleinste gemeinsame Nenner an diesem
       Abend. Vielleicht noch mit dem Plädoyer von Grünen-Fraktionschefin Antje
       Kapek nach breiter Bildung "als Basis für die soziale Stadt".
       
       Was das für das neue Stadtentwicklungskonzept heißt, wird sich nach den
       drei noch ausstehenden Foren zeigen. Das nächste im August, dann zum Thema
       Wirtschaft. Dazu kommen Werkstattgespräche mit Experten. Im Frühjahr 2014
       will Müller seinen Plan im Senat beschließen und öffentlich präsentieren.
       
       Dass viel zu tun ist, belegt im Heimathafen niemand besser als Elisabeth
       Kruse: Vom „wirklichen Leben“ solle sie berichten, wird die Pfarrerin von
       der Moderatorin gebeten. Und Kruse berichtet von einem Spaziergang auf der
       Hermannstraße. Was die Gesellschaft zusammenhalte, habe sie die Leute
       gefragt. Es fand sich fast niemand, der etwas anderes antwortete als:
       „nichts“.
       
       30 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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   DIR Berlin
       
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