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       # taz.de -- Neuer Film von Terrence Malick: Aus dem Nichts, von überall her
       
       > „To the Wonder“, der neue Spielfilm von Terrence Malick, schwelgt im
       > Mysterium der Liebe. Es entsteht ein Gefühl des Stillstands.
       
   IMG Bild: Im Kornfeld: Neil (Ben Affleck) mit seiner zweiten Frau Jane (Rachel McAdams).
       
       Frauenhaar flattert im Wind, Weizenfelder wogen, Wasser wellt sich – ein
       Wunder, dass die Protagonisten von „To the Wonder“ sich keine
       Mittelohrentzündung einfangen. Es ist schwer, sich ironischer Spitzen zu
       enthalten, bei einem Film, der den Vorwurf, prätentiös zu sein, derart
       herausfordert. Anders formuliert: Terrence Malick stellt sich nach „Tree of
       Life“ erneut ganz schön steil in den Wind.
       
       Wenn er nicht ein als Genie gefeierter Regieveteran wäre, sondern ein
       Nachwuchsfilmemacher, würde man ihn warnen wollen vor so viel
       Glaubenspathos, in Französisch geflüsterten profunden Nichtigkeiten und
       Gender-Stereotypen. Immerhin gibt sich der 69-Jährige bescheidener als
       zuletzt: Ging es in „Tree of Life“ um das Ganze der Schöpfung, um Werden
       und Vergehen, das Wesen der Natur und der Gnade, umkreist „To the Wonder“
       „nur“ das Mysterium der Liebe.
       
       „Was ist diese Liebe, die uns liebt, die aus dem Nichts kommt, von überall
       her?“, säuselt fragend Protagonistin Marina (Olga Kurylenko) aus dem Off.
       Dass das rätselhafteste alle Gefühle göttlichen Ursprungs ist, daran lässt
       „To the Wonder“ eigentlich keinen Zweifel.
       
       ## Verknallt übers Watt
       
       Die Pariserin hat sich in den Amerikaner Neil (Ben Affleck) verliebt. Am
       Anfang fahren die beiden zur postkartenberühmten Insel Mont-Saint-Michel an
       der Küste der Normandie, wandern verknallt übers Watt, wandeln durch die
       Klostergänge – „das Wunder“ nennen die Franzosen die Insel auch. Doch die
       Vertreibung aus dem Paradies lässt nicht lange auf sich warten. Neil muss
       zurück in die USA und Marina folgt ihm mit ihrer zehnjährigen Tochter. Das
       Leben im Niemandsland Oklahomas fällt ihr nicht leicht. „Ein Land, so
       ruhig, so ehrlich, so reich“, flüstert Marina aus dem Off – aber auch so
       verdammt langweilig.
       
       Trotz der erdigen Umgebung bleibt sie ein flatterhaftes Wesen. Die Luft ist
       ihr Element: kaum eine Einstellung, in der sie nicht über eine Wiese hüpft,
       im Haus herumtänzelt oder Pirouetten dreht. Neil dagegen ist ein stummer
       Fels in der Brandung der Gefühle. Ben Affleck bekommt nicht mehr zu tun,
       als ernst den Unterkiefer nach vorne zu schieben. Er bleibt eine
       Leerstelle.
       
       Während die Liebe der Protagonisten erkaltet, durchlebt Gemeindepfarrer
       Quintana (Javier Bardem) eine Glaubenskrise. „Überall bist Du gegenwärtig,
       dennoch kann ich Dich nicht sehen“, seufzt er in seinen Gedanken Richtung
       Himmel. Sein Umgang mit den Kranken und Ausgestoßenen in der Gemeinde hat
       ihn offenbar an der göttlichen Liebe zweifeln lassen.
       
       ## Ewiges Kreisen
       
       Die Geschichte von Quintana wird nur lose an die Haupterzählung angeknüpft,
       sie ist dennoch essentiell, weil „To the Wonder“ eben kein „Liebesfilm“ im
       eigentlichen Sinne ist („boy meets girl“), sondern ein Film über die Liebe
       an sich in ihrer menschlichen und göttlichen Ausformung – wenn das im Film
       überhaupt zu trennen ist.
       
       Obwohl „To the Wonder“ weitgehend einem eigentlich simplen linearen Plot
       folgt, entsteht ein Gefühl des Stillstands, des ewigen Kreisens um den
       gleichen Kern, der nicht zu fassen ist. Noch stärker als in „Tree of Life“
       zersplittert die Erzählung in kleinste Einheiten. Szenen bauen selten
       aufeinander auf, sondern bleiben impressionistisch im Moment gefangen. Die
       Entscheidung für ein extremes Cinemascope-Format bei diesem intimen Thema
       führt dazu, dass auch die Schauspieler-Körper „zerteilt“ werden, wenn sie
       nicht gerade in Landschaftstotalen zu sehen sind.
       
       Emmanuel Lubetzkys Kamera ist dabei wie schon in „Tree of Life“ aller
       Erdenschwere enthoben. Ebenso hypermobil wie elegant richtet sie ihren
       Blick ekstatisch in den Himmel, umkreist die Liebenden oder fliegt auf die
       umhertollende Marina zu. Die Perspektive als „subjektiv“ zu beschreiben,
       trifft es nicht wirklich, denn die Kamera ahmt keinen menschlichen Blick
       mehr nach. Repräsentiert sie den heiligen Geist, der die Figuren
       umschwirrt, der „aus dem Nichts kommt“ oder „überall her“?
       
       ## Sehenswürdigkeit Shoppingmall
       
       Wer mit solchen metaphysischen Fragen wenig anfangen kann, hat aber die
       Gelegenheit, sich an Malicks Kino der Achtsamkeit zu erfreuen. Niemand im
       gegenwärtigen Kino weiß die banalsten Orte so zu verzaubern wie er. Überall
       findet er Schönheit. Selbst der Parkplatz vor einer Shoppingmall wird bei
       ihm zur Sehenswürdigkeit, getaucht ins goldene Licht der Abenddämmerung –
       die endlos zu dauern scheint.
       
       Malick öffnet die Augen für Alltagsschönheit: den Lichtstrahl, der das Laub
       zum Leuchten bringt, den Windstoß, der die Reflexionen auf der
       Seeoberfläche zum Leben erweckt, die Stille, die sich über die abendliche
       Prärie legt. Für Ironie ist hier kein Platz, nur für Ehrfurcht vor dem
       Wunder der Schöpfung.
       
       ## „To the Wonder“. Regie: Terrence Malick. Mit Ben Affleck, Olga Kurylenko
       u. a. USA 2012, 112 Min.
       
       30 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven von Reden
       
       ## TAGS
       
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