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       # taz.de -- Doku über Mietervertreibung auf Arte: Platte oder Stadtrand
       
       > Die Dokumentarfilmerin Katrin Rothe hat mit „Betongold“ die Geschichte
       > einer skrupellosen Mietervertreibung verfilmt. Es ist ihre eigene.
       
   IMG Bild: Szenen einer Entmietung: Katrin Rothe zeichnete für „Betongold“, was sie nicht zeigen konnte
       
       Die Bergstraße in Berlin-Mitte. Zentral, aber ruhig, Bäume, viele
       Gründerzeithäuser. Die Filmemacherin Katrin Rothe schließt ihr Fahrrad vor
       der Bäckerei Stade ab, direkt vor einem vergilbten Plakat im Schaufenster,
       das die einstige Rosenthaler Vorstadt zeigt: Abgeblätterte Stuckfassaden,
       freiliegende Brandwände, eine bescheidene Ostberliner Arbeitergegend.
       
       „Ganz schön was passiert hier, die letzten Jahre“, sagt Rothe trocken und
       blinzelt nach gegenüber, wo eine Wohnagentur namens „Crocodilian- your key
       to Berlin“ Appartments und „Property Management“ anbietet. Die Frau, die
       dort am Computer arbeitet, sieht beschäftigt aus: Die Bergstraße, früher im
       Schatten der Berliner Mauer, ist nach der Wende zur besten Hauptstadtlage
       mutiert.
       
       Die meisten Häuser sind inzwischen saniert und schick gemacht, in den
       Erdgeschossen sitzen ein Szenerestaurant, eine Agentur und eine
       Klavierschule. Auch in Berlin, durch die Mauerlage und die schleppende
       ökonomische Entwicklung lange verschont vom Run auf Großstadtimmobilien,
       wird Wohnraum jetzt zur rentablen Kapitalanlage.
       
       Katrin Rothe, Anfang vierzig, wildes schwarzes Haar, presst den Mund
       zusammen, als wir vor dem Haus stehen, in dem sie bis vor einem Jahr
       gewohnt hat. Am ruhigen Ende, wo die Straße in einer Sackgasse endet und
       der Friedhof der Sophiengemeinde liegt, stehen nur eine Handvoll Häuser.
       Die Nummer 62 ist komplett eingerüstet, ein Schild verkündet, dass hier
       Eigentumswohnungen entstehen. „Das war mal ein Mietshaus, jetzt ist es
       Betongold“ sagt sie sarkastisch, in leicht sächsischem Idiom.
       
       ## Exklusive Eigentumswohnungen
       
       „Betongold“, so heißt auch der Film, in dem die Grimme-Preisträgerin die
       Geschichte ihrer eigenen Vertreibung beschreibt. Die 52 Minuten lange
       Dokumentation, die sie im Auftrag von rbb und arte produziert hat, ist die
       einer kaltschnäuzigen Entmietung – eine Praktik, die, wie sie im Lauf des
       Drehs erfuhr, auch in anderen Großstädten praktiziert wird: Ein Investor,
       in diesem Fall die „Inter Group“ des umtriebigen Immobilienhändlers Sascha
       Klupp, kauft ein Mietshaus und plant, darin exklusive Eigentumswohnungen zu
       errichten.
       
       Um die alten Mieter loszuwerden, ist ihm jedes Mittel recht: Lügen,
       Verleumdungen, Terror durch nächtliche Anrufe, zahllose Briefe und nicht
       reparierte Heizungen. Katrin Rothe und ihre Nachbarn haben das alles selbst
       erlebt. Mit der Kamera hielt sie sämtliche Details fest: Von der
       Modernisierungsankündigung im Briefkasten bis zu ihrem endgültigen Auszug
       aus der Wohnung, in der sie 16 Jahre gelebt hatte.
       
       Ein Zeitraum von mehr als einem Jahr. Was ihr Kameramann nicht drehen
       durfte, etwa die zahlreichen Wohnungsbesichtigungen, ersetzte sie durch
       Trickfilmsequenzen. Man sieht in den reduzierten Zeichnungen, wie aus der
       frechen Mieterin, die Kaufinteressenten ein lautes „Sie wissen, dass ich
       hier wohnen bleiben will?“ entgegenschleudert, eine nervöse Person mit
       Augenringen wird, die stumm ganze Besucherscharen durchführt- aus Angst vor
       Schikanen durch die Maklerin.
       
       Was vom Kampf der Mieter in der Bergstraße 62 übrig geblieben ist, sind
       drei zerbeulte Briefkästen, die auf dem staubigen Boden im Eingang
       herumliegen. Drei Mieter haben ausgehalten, „Helden“, wie Rothe sagt: Ein
       Rentner, eine Alleinerziehende, ein Paar. Sie bestehen auf ihrem Recht,
       noch sieben Jahre in ihren Wohnungen zu bleiben. Erst dann können die neuen
       Eigentümer auf Eigenbedarf klagen.
       
       ## Der Briefkasten im Baustellendreck
       
       Ein Recht, das freilich Makulatur ist, wenn im Winter das warme Wasser
       fehlt, ständig mit Räumungsklagen oder Kündigungen gedroht wird. Oder die
       Post nicht mehr ordentlich zugestellt wird, weil die Namen vom Klingelbrett
       und der Briefkasten im Baustellendreck verschwunden sind. „Das ist so
       schäbig!“, knurrt Katrin Rothe und stapft wütend durch das Chaos aus Kabeln
       und Schubkarren voran. Warum denn die neuen Bewohnernicht darauf bestünden,
       dass alle im Haus ordentliche Briefkästen bekämen?
       
       „Wahrscheinlich“, sagt sie leise, und es klingt, als könne sie es immer
       noch nicht fassen, „ist es ihnen ganz einfach egal“. Die Mieter aus der
       Bergstraße 62 haben eigentlich alles richtig gemacht: Sofort nach der
       Modernisierungsankündigung trafen sie sich persönlich mit dem Eigentümer,
       um zu erfahren, was er vorhatte.
       
       Als sie merkten, dass die Pläne keine Modernisierung vorsahen, sondern
       Entmietung, Umbau und Verkauf, schlossen sie sich zusammen und wehrten sich
       mit allen Mitteln, die der Rechtsstaat vorsieht: Sie beauftragten den
       Mieterschutzverein und nahmen sich Anwälte, sie starteten eine Website, auf
       der sie Schikanen des Eigentümers dokumentierten, sie gingen auf Demos und
       vernetzten sich mit anderen von Entmietung Betroffenen.
       
       Im Film sieht man, wie sich eine immer kleinere Mieterschar zur
       Lagebesprechung trifft, wie sich Rothe hoffnungsfroh zur Akteneinsicht im
       Grundbuchamt aufmacht. Und dort von einem Mitarbeiter belehrt wird: „Wir
       haben freie Marktwirtschaft“ - der Käufer könne die Wohnungen und deren
       Grundrisse ändern, wie es ihm beliebe.
       
       ## Ein gescheiterter Widerstand
       
       Auch wenn Rothes Lebensraum dadurch auf zwei unterschiedliche Käufer
       aufgeteilt werde. Man sieht, wie sich eine immer kleinere Schar von Mietern
       zur Lagebesprechung trifft – während andere Nachbarn nach und nach ihre
       Kisten packen. Es ist das Dokument eines gescheiterten Widerstands.
       
       Im dritten Stock bleibt Rothe stehen. Aus der geschlossenen Tür dringen
       leise Stimmen und Musik. Ob die neuen Besitzer schon eingezogen sind? Sie
       holt tief Luft und klopft, dann probiert sie die Türklinke. Drinnen sitzen
       zwei Bauarbeiter auf dem Boden und machen Zigarettenpause. „Guten Tag“,
       sagt Rothe, „ich habe hier gewohnt, darf ich mich mal umschauen?“ Die
       Bauarbeiter nicken.
       
       Im ehemaligen Schlafzimmer ist jetzt ein Trümmerhaufen, die Wand zur
       Nachbarwohnung wurde durchbrochen. Aus den fünf Zimmern mit zwei
       Durchgangszimmern,Küche und Bad, die Rothe und ihre beiden Söhne bewohnten,
       werden bald 6,5 Zimmer mit Balkon. „Schön wird das!“, ruft Rothe betont
       munter. Ob die Wohnung schon verkauft sei? Ja, antworten sie, an einen
       Niederländer. Rothe nickt.
       
       „Wahrscheinlich eine Familie, wie die meisten, die meine Wohnung besichtigt
       haben“. Es seien keine Immobilienspekulanten aus Griechenland oder Spanien
       gewesen. Sondern die deutsche Mittelschicht, die durch ihre Wohnung
       geschlendert sei. Ganz normale Leute, nur mit mehr Geld. So wie die Frau,
       die mit ihrer Familie gegenüber einzog und mit der Katrin Rothe sogar mal
       einen Kaffee getrunken hat.
       
       ## Verbitterung im Plattenbau
       
       Weil sie es sportlich nehmen wollte. Es ging dann aber doch nicht: Die Frau
       war nett – aber sie hatte eine Familie verdrängt, Freunde ihrer Kinder, die
       nun am Stadtrand wohnen. Rothe und ihre Kinder sind nun in einer
       Plattenbauwohnung gelandet. „Es ist schwer, da nicht bitter zu werden“,
       sagt sie. Wo sie jetzt wohnt, möchte sie nicht sagen, nicht mal ungefähr.
       Andere Wohnungen in dieser Gegend seien für eine moderat verdienende
       Alleinerziehende unerschwinglich geworden, das muss als Beschreibung
       reichen.
       
       Draußen im Hof ist der Umbau in vollem Gange. Mindestens fünf der
       angebotenen acht Wohnungen der ehemals 15 Wohneinheiten sind bereits
       verkauft, die Renovierung führen die neuen Eigentümer auf eigene Kosten
       durch. Rothes Wohnung, nach Grundrissveränderung jetzt 181 Quadratmeter,
       wurde für 520.000 Euro angeboten - unausgebaut.
       
       Der Markt gibt es her: Berlin gilt trotz noch immer als preiswerter
       Wohnungsmarkt, Immobilienbesitz in der deutschen Hauptstadt ist für viele
       eine attraktive und finanzierbare Geldanlage. Die einstige Mieterstadt
       Berlin wird zur Kampfarena. Und die Kämpfe werden mit immer härteren
       Bandagen geführt. Das hat die Filmemacherin am 25. Mai bei der Premiere als
       „Betongold“ in der Berliner Volksbühne bemerkt.
       
       Zur Filmvorführung gab es eine Mieterberatung und eine Podiumsdiskussion
       zum „Tag des Mieters“. Der Andrang sei groß gewesen, sagt Rothe, viele
       hätten von ähnlichen Entmietungs-Schicksalen berichtet und gemeinsam mit
       Experten über Strategien des Widerstands beraten. „Offenbar hat mein Film
       einen Nerv getroffen“, sagt Rothe, die bereits mit ihrem preisgekrönten
       Film über Arbeitslose ein brisantes Thema aufgegriffen hatte.
       
       Die Stadt, sagt Rothe, werde gespalten in Gewinner und Verlierer. Die einen
       können sich die Preise leisten und auch die teuren Boutiquen und
       Restaurants. Die anderen müssen weichen, in die Platte oder an den
       Stadtrand. Befeuert durch die Finanz-und Wirtschaftskrise dreht sich die
       Preisspirale immer schneller. Auch Katrin Rothe war kurzzeitig in
       Versuchung, sich mit ins Rennen zu werfen. Warum nicht mit der Abfindung
       eine Wohnung anzahlen, um ein für alle Mal Ruhe zu haben? „Och nee“, sagt
       sie. „Mitmachen möchte ich da lieber nicht.“
       
       ## „“, Deutschland 2013, Regie: Katrin Rothe arte, Donnerstag, 30 Mai,
       23.30 Uhr
       
       30 May 2013
       
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