URI: 
       # taz.de -- Verdrängung der Künstler: Freikirchler statt Freiraum
       
       > Bisher ist Platz für Clubs und Kreative auf dem ehemaligen Güterbahnhof
       > in Osnabrück. Doch eine homophobe Gemeinde will nun dort ihr Zentrum
       > bauen, drumherum soll es Gewerbeflächen geben.
       
   IMG Bild: Rund 300 Künstler finden bisher auf dem Bahnhofsgelände Platz.
       
       OSNABRÜCK taz | Die Fensterscheiben sind zerbrochen, die Gitterstäbe
       verrostet und an den Wänden sind Graffiti: Der rote Backsteinbau auf dem
       Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Osnabrück strahlt den Charme des
       Verfalls aus. Hier, in einem Teil des Gebäudes, hat sich der Freiraum
       Petersburg angesiedelt. Etwa 300 Kreative sind hier aktiv: Bands können für
       wenig Geld Proberäume mieten, Künstler Ateliers.
       
       Sogar Gärtnern gehört hier zur Kultur: Die Gruppe Querbeet pflanzt vor dem
       Freiraum in recycelten Kunststofftanks und Pflasterstein-Trockenmauern
       Kartoffen, Karotten, Tomaten und anderes Gemüse. „Kultur ist für uns das,
       was Menschen bewegt und was Gefühle entfacht“, sagt Florian Beyer vom
       Kulturverein Petersburg. Jeder, der kreativ werden wolle, könne im Freiraum
       aktiv werden.
       
       Doch die Existenz der Petersburg ist bedroht. Die Stadt Osnabrück will seit
       Jahren aus dem Güterbahnhof ein Gewerbegebiet machen. Dafür fehlte ihr aber
       lange der Investor. 2010 kaufte die Schilling und Schreyer GmbH die 22
       Hektar große Fläche. Doch mit ihr konnte sich die Stadt nicht über eine
       künftige Nutzung des Geländes einigen. Im Herbst 2012 übernahm dann die
       Zion GmbH das Gelände. Auf einmal herrschte Friede, Freude, Eierkuchen,
       weil die neuen Eigentümer den Plänen der Stadt zustimmten. Immer wieder
       betonten beide Seiten, wie gut das Verhältnis war.
       
       Unbequem wurde es aber für Kulturleute und die Clubs, die ebenfalls auf dem
       Gelände sind. Das Theater am Güterbahnhof und einige Künstler mussten ihre
       Räume in der ehemaligen Güterabfertigung aufgeben. Denn
       Zion-Geschäftsführer Ralf Gervelmeyer ist Mitglied der Gemeinde
       Lebensquelle, einer evangelischen Freikirche, die aus der Güterabfertigung
       ihr neues Gemeindezentrum machen will. Derzeit wird fleißig renoviert, um
       1.500 Plätze zu schaffen. Bis zum Herbst wuchsen Büsche und ein im Frühjahr
       rosa blühender Kirschbaum vor der ehemaligen Güterabfertigung. Die neuen
       Eigentümer haben die Pflanzen ausgerissen, sodass der langgestreckte
       50er-Jahre-Bau quasi nackt dasteht. Auf lange Sicht soll sogar angebaut
       werden, um ein Veranstaltungszentrum mit 3.000 Plätzen zu schaffen. Damit
       stünde auf dem Güterbahnhof die größte Kirche der Region.
       
       Links von dem baldigen Gemeindezentrum liegen weitere verlassene
       Bahngebäude, seit einigen Jahren belebt durch Clubs wie etwa die „Kleine
       Freiheit“. Er hat um sein Areal eine Holzwand mit bunten Schildern
       aufgebaut. Wer den Weg links weiterfährt, kommt vorbei am Ringlokschuppen
       auf eine riesige Freifläche, durchzogen von nicht mehr befahrenen Gleisen,
       auf denen Birken und andere Pflanzen wachsen. Hier und da steht noch ein
       Häuschen. Auf einem Bürostuhl hängt noch die Jacke eines Bahnmitarbeiters.
       Der war vermutlich lang nicht mehr da. Die Bahn hat das Gelände in den
       90er-Jahren aufgegeben.
       
       ## Wasser abgestellt
       
       Mit der Zion GmbH als Eigentümer sind auf dem ganzen Gelände neue Zeiten
       angebrochen – auch für diejenigen, die bleiben durften. Anfang des Jahres
       gab es zwischen Gervelmeyer und den Kulturtreibenden Konflikte. Zeitweilig
       stellte der neue Eigentümer den Kreativen Strom und Wasser ab. Außerdem
       sperrte er die direkte Zufahrt zu ihrem Gelände. Wer den Freiraum nun im
       Auto erreichen will, muss einen weiten Umweg über das Gelände fahren. Und
       warum das alles? Um für „Recht und Ordnung“ zu sorgen. So hat es Ralf
       Gervelmeyer in mehreren Interviews formuliert. Dieses Vorhaben setzt er in
       die Tat um.
       
       So musste der Club Kleine Freiheit seinen Bus, der als Eingang gedient
       hatte, wegschaffen. Die Begründung: Der Bus habe jenseits der Grenzen des
       Club-Grundstücks gestanden. Vor dem Five Elements ließ Gervelmeyer Autos
       von Gästen abschleppen, weil sie nicht auf den vom Club angemieteten
       Flächen geparkt hatten.
       
       Stellung nahm er in einem Interview mit dem lokalen Fernsehsender os1.tv,
       das er vor Kurzem zusammen mit Lebensquelle-Pressesprecher Günter Strunk
       gab. Über die Jahre habe sich „eine Freiheit auf dem Gelände entwickelt,
       bei der man tun und lassen konnte, was man wollte“, sagt er da. Und: „Das
       heißt ja noch lange nicht, dass das rechtmäßig war.“ Für besonders viel
       Aufregung sorgt aber eine weitere Äußerung in dem Interview. Schon allein
       die Frage des Moderators, ob in dem Veranstaltungszentrum der Lebensquelle
       auch die Osnabrücker schwul-lesbischen Kulturtage „Gay in May“ willkommen
       seien, empfand Gervelmeyer als „provokant“ und antwortete mit folgenden
       Worten: „Wir hassen nicht und wir verachten nicht die Menschen, sondern wir
       hassen und verachten die Sünde.“ Dass er Homosexualität für eine Sünde
       halte, gestand er direkt ein und fügte hinzu: „Fragen Sie sich doch mal, ob
       Sie sich vorstellen können, dass bei Mercedes die Präsentation des neuen
       Golf stattfindet.“
       
       Die Freikirche predigt Ähnliches, wie ein Gottesdienstbesuch bei der
       Lebensquelle zeigt. Noch hat die Gemeinde ihr Zentrum am Osnabrücker
       Goethering. „Jesus heilt zerbrochene Herzen“ steht deutlich sichtbar über
       dem Eingang zur Straße. Das Gebäude wird für die Lebensquelle, die nach
       eigenen Angaben 400 Mitglieder zählt, aber zu klein. In der Predigt vor
       zwei Wochen etwa gab es einen Seitenhieb auf Homosexualität. Gott habe Adam
       und Eva erschaffen, nicht „Adam und Ivan“, sagte der Pastor. Ein ähnliches
       Statement war auch in einer weiteren Predigt auf der Homepage der
       Lebensquelle eine Woche vorher zu hören. Mann und Mann könnten nicht
       gemeinsam ein Kind großziehen, hieß es darin. Ralf Gervelmeyer ist zu
       weiteren Stellungnahmen derzeit nicht bereit. Dafür aber die Lebensquelle.
       In einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme beruft sie sich „auf
       das Gesetz der freien Meinungsäußerung und der Religionsausübung“ und
       rechtfertigt ihre homophobe Einstellung mit den Worten: „In Bezug auf
       Homosexualität und Sünde unterscheidet sich unsere Ansicht nicht wesentlich
       von der katholischen Kirche.“
       
       Der Güterbahnhof scheint sogar zum Osnabrücker Wahlkampfthema zu werden.
       Denn gleichzeitig mit der Bundestagswahl im September wird in der Stadt ein
       neuer Oberbürgermeister gewählt, nachdem Boris Pistorius im Frühjahr als
       Innenminister nach Hannover wechselte. Fast alle Parteien haben das Thema
       inzwischen aufgegriffen. Frank Henning, SPD-Fraktionsvorsitzender im
       Stadtrat, hat sich gar gegen den Kirchenbau ausgesprochen.
       
       Doch überhaupt sorgen Gervelmeyers homophobe Äußerungen für viel Protest in
       Osnabrück. „Gay in May“ ließ per Pressemitteilung feststellen, „dass
       Homo-/Bi-/Transsexualität keine „hassenswerte Sünde“ ist, sondern eine
       natürliche Veranlagung und Schwule, Lesben und Trans*-Menschen ein
       wesentlicher Bestandteil der Gesellschaft sind“. Auch die evangelische
       Kirche hat Stellung genommen. „Das diskreditiert homosexuelle Menschen“,
       sagt Friedemann Pannen, Superintendent des evangelisch-lutherischen
       Kirchenkreises Osnabrück. In einer Pressemitteilung distanziert sich die
       Kirche „entschieden“ von den Fernsehäußerungen ihres freikirchlichen
       Konkurrenten.
       
       ## Die Stadt hält sich raus
       
       Aber was sagt eigentlich die Stadt Osnabrück? „Das war nicht unser Thema“,
       sagt Franz Schürings, Fachbereichsleiter Städtebau, über die Verhandlungen,
       die die Stadt im letzten Jahr mit Gervelmeyer, aber auch mit der Freikirche
       führte. „Es gab für uns auch keine Hinweise darauf, welches Gedankengut da
       verbreitet wird“, so Schürings.
       
       Seit Anfang Mai liegt ein gemeinsam von Zion GmbH und Stadt erarbeiteter
       Bebauungsplan aus. Die Clubs können bleiben; eine Kulturszene dagegen ist
       nicht vorgesehen. Franz Schürings betont indes, dass eine kulturelle
       Nutzung „aus Sicht der Stadt und der Bauplanung nicht ausgeschlossen ist“.
       Der Bauplan sei schließlich noch in einer sehr frühen Phase. Abhängig sei
       das allerdings vom Eigentümer.
       
       Der Freiraum setzt sich indes offensiv für seinen Platz auf dem
       Güterbahnhof ein. Auf seinem Blog ruft er dazu auf, Einwände und Vorschläge
       bei der Stadt einzureichen. 340 Stellungnahmen sind bei der Stadt schon
       eingegangen. Und es können noch mehr werden. Denn bis zum 31. Mai liegt der
       Bauplan noch öffentlich aus. Auch noch nicht genehmigt ist der geplante
       Ausbau des Gemeindzentrums auf dem Güterbahnhof. Für ihn gilt nach
       derzeitiger Planung dasselbe wie für die Kultur: „nicht ausgeschlossen“.
       
       27 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anne Reinert
       
       ## TAGS
       
   DIR Evangelische Kirche
   DIR Deutscher Fernsehpreis
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Streit um Güterbahnhof in Osnabrück: Die Mär von der „Christenvertreibung“
       
       Der Osnabrücker Stadtrat will ein Gewerbegebiet, die freikirchliche
       „Lebensquelle“ stattdessen eine Kirche – und wirft der Stadt
       „Christenvertreibung“ vor.
       
   DIR Alternativer Deutscher Fernsehpreis: Das schlechte Gewissen
       
       Die Akademie für Fernsehen lobt einen Deutschen Frensehpreis aus.
       Inhaltlich geht sie damit auf Distanz zum Preis der großen TV-Sender.