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       # taz.de -- Schikane gegen spanische Journalisten: Verkleidete Chaoten
       
       > Zwei linke Fotografen werden von der Polizei in ihren Wohnungen
       > festgenommen. Angeblich hatten sie als Gewalttäter an Demos teilgenommen.
       
   IMG Bild: Medienvertreter protestieren in Madrid für die Pressefreiheit
       
       SPANIEN taz | „Ich war noch im Schlafanzug, als Polizisten und vermummte
       Staatsschützer in meine Wohnung eindrangen“, berichtet der spanische
       Pressefotograf Raúl Capín von seiner Festnahme am vergangenen Mittwoch.
       
       Zur gleichen Zeit wurde auch sein Kollege Adolfo Luján abgeholt. Die
       beiden, die seit Jahren für verschiedenen Medien wie die kommunistische
       Zeitung Mundo Obrero, Newsseiten im Internet sowie die Agentur Corbis über
       soziale Proteste berichten, wurden mehr als 24 Stunden festgehalten und von
       Vermummten verhört.
       
       Der Vorwurf der Polizei: Capín habe im Februar und April bei Protesten vor
       dem Parlament Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet. Luján wird der
       Verleumdung der Staatsmacht beschuldigt. Er veröffentlichte auf seiner
       Facebookseite Fotos, auf denen zu sehen ist, wie eingeschleuste
       Zivilpolizisten aufseiten der Demonstranten gewalttätige Aktionen
       anzetteln.
       
       Es war die Chronik einer angekündigten Verfolgung. Im April
       veröffentlichten die regierungsnahen Tageszeitungen ABC, La Razón und El
       Mundo Artikel mit der Behauptung, „Gewalttäter“ würden sich als
       Journalisten verkleidet unter die Demonstranten mischen. Bebildert waren
       die Texte mit Fotos, die Raúl Capín bei der Arbeit in vorderster Front
       zeigen. Gewalttätig ist er dabei nicht.
       
       ## Höhepunkt von Polizeiübergriffen
       
       Für Capín hat die Anschuldigung, Journalisten seien verkleidete Aktivisten,
       ein ganz klares Ziel. „Sie wollen vor allem kleine, unabhängige Medien
       einschüchtern“, erklärt der Fotograf nach seiner Freilassung. Die
       Verhaftung der beiden Fotografen ist der bisherige Höhepunkt von
       Polizeiübergriffen auf Fotografen, die Sozialproteste begleiten.
       
       Für Capín endete ein Protestmarsch der Bergarbeiter vergangenen Sommer mit
       einer Platzwunde am Kopf, weil ein Polizist mit einem Schlagstock gezielt
       auf seinen Kopf geschlagen hatte.
       
       Die zeitaufwendige Personalienfeststellung gehört für Journalisten bei
       Protestaktionen längst zum Alltag. Bei Protesten gegen Zwangsräumungen
       wurde der Fotograf der internationalen Agentur Getty festgehalten. Einem
       Kollegen von AP wurden die angedrohten 1.500 Euro Bußgeld wegen „Teilnahme
       an einer nicht angemeldeten Versammlung“ erst dann annulliert, als sich
       spanische Berufsverbände bei den Behörden beschwerten.
       
       Ein anderer Fotograf berichte, wie er unter Gewaltandrohung gezwungen
       wurde, die Speicherkarte zu löschen. Die Beamten nahmen dem Freelancer die
       weiße Weste mit der Aufschrift „Presse“ ab, die der größte spanische
       Journalistenverband FAPE an seine Mitglieder ausgibt.
       
       ## Mehr als 3.000 Demonstrationen
       
       Das Fehlen ebendieser Weste wurde dem Autor dieser Zeilen mehrmals
       vorgehalten. So wurde er bei einer Kundgebung vor dem Sitz der regierenden
       konservativen Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy trotz
       gültigen Korrespondentenausweises unsanft aus dem Kreis der Fotografen
       verbannt und auf die Seite der Demonstranten abgeschoben.
       
       Dabei ist die Weste – so das Presseamt der Regierung – keine Pflicht. „Du
       bist Aktivist und nicht Journalist“, musste er sich anhören, unmittelbar
       nachdem er einige Bekannte aufseiten der Demonstranten begrüßt hatte.
       
       Mehr als 3.000 Demonstrationen fanden 2012 allein in Madrid statt. Mit
       Zunahme der Proteste wächst auch die Zahl der berichtenden Freelancer.
       Viele von ihnen arbeiten für Medien im Internet und gehören nicht dem
       Journalistenverband FAPE an.
       
       „Viele Kollegen verdienen nicht genug, um sich den Beitrag leisten zu
       können“, erklärt Olmo Calvo Rodríguez, der für die links-alternative
       Zeitung Diagonal arbeitet.
       
       ## „Informationsfreiheit muss für alle gelten“
       
       In Spanien gibt es, anders als in Deutschland, keinen offiziellen
       Presseausweis. Wer einen hat, bekommt ihn von seiner Gewerkschaft, dem
       Berufsverband oder direkt von seinem Auftraggeber.
       
       „Wer beschließt, was ein Medium ist und was nicht? Die Informationsfreiheit
       muss für alle gelten, auch für unabhängige Internetseiten“, erklärt der für
       seine Reportagen über Zwangsräumungen preisgekrönte Olmo Calvo Rodríguez,
       der immer wieder Opfer von Polizeiübergriffen wird.
       
       „Die Regierung, die ihr nahestehende Presse und die Polizei versuchen, mit
       der Repression von Fotografen die Proteste zu vertuschen“, ist er sich
       sicher.
       
       26 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
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