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       # taz.de -- Alkoholverkauf in der Türkei: Trinkprotest gegen das Verbot
       
       > Die konservative türkische Regierung will den Verkauf von Alkohol
       > erheblich einschränken. In Istanbul protestierten Menschen mit einem
       > öffentlichen Alkoholtrinken.
       
   IMG Bild: Was die Osmanen nicht geschafft haben, soll der AKP auch nicht gelingen: Alkoholtrinkende in Istanbul.
       
       ISTANBUL taz | „Ich bin sicher, das ist erst der Anfang. In ein paar Jahren
       werden sie Alkohol ganz verbieten. Das sind Islamisten, die können gar
       nicht anders.“ Der Besitzer des kleinen Ladens im Istanbuler Stadtteil
       Kuzguncuk, Murat Aydin, sonst eher eine gemütvoller Humorist, ist ernsthaft
       erbost. „Wenn der Präsident in den kommenden Tagen das Gesetz so
       unterschreibt, können wir bald dichtmachen.“
       
       Das Gesetz, um das es geht, wurde am vergangenen Freitag im Parlament in
       Ankara auf Drängen von Ministerpräsident Tayyip Erdogan verabschiedet. Es
       sieht die stärksten Restriktionen gegen den Verkauf, den Ausschank und die
       Werbung für Alkohol vor, seit die islamische AKP vor nunmehr elf Jahren an
       die Regierung kam.
       
       Nach dem Willen der AKP-Mehrheit darf ab sofort nach 22 Uhr kein Alkohol
       mehr verkauft werden. Für Läden wie den von Aydin, der sein wichtigstes
       Geschäft am späten Abend mit Bier, Wein und Raki gemacht hat, ist das
       existenzbedrohend. „Nun ja“, versucht ihn ein Kunde zu beruhigen, „es wird
       schon nicht so schlimm werden, man muss sein Bier eben vor zehn Uhr abends
       kaufen.“
       
       Andere Türken sehen das nicht so gelassen, denn die Restriktionen gehen
       weiter. Laut Gesetz ist zukünftig jede Werbung für Alkohol verboten werden.
       Auch Schriftzeichen für Biermarken an Läden oder Sponsering von
       Großveranstaltungen durch Bierbrauer oder Weinhändler darf es nicht mehr
       geben. In Filmen müssen alle Szenen, in denen Alkohol getrunken wird,
       verpixelt werden.
       
       Efes Pilsen, der größte Bierbrauer der Türkei, reagierte in allen
       Samstagszeitungen mit einer Kampagne: die Seite drei der größ- ten Zeitung
       Hürriyet ziert eine Bierflasche ohne Etikett oder einen anderen Hinweis auf
       den Inhalt der Flasche. Darunter steht: „Seit 44 Jahren wissen unsere
       Kunden, was sie an uns haben.“ Für den größten Aufschrei sorgte jedoch der
       dritte Teil des Gesetzes. Zukünftig soll der Ausschank von Alkohol im
       Umkreis von Moscheen oder Bildungseinrichtungen verboten werden. Wer die
       Moscheendichte in Istanbul und anderen Städten der Türkei kennt, weiß, dass
       damit der Genuss von Bier, Wein und Raki in den urbanen Stadtzentren
       praktisch unmöglich wird.
       
       ## „Istanbul wird kein Riad“
       
       Der geballte Aufschrei der Gastronomie-, Unterhaltungs- und
       Tourismusbranche hat immerhin dazu geführt, dass die bestehenden Kneipen
       und Restaurants von dieser Regelung ausgenommen wurden. Neue Lizenzen für
       den Alkoholausschank wird es jedoch nicht mehr geben. Noch heißt es,
       touristische Einrichtungen sollen von den Restriktionen ausgenommen werden.
       
       Demonstrativ trafen sich am Freitagabend Menschen zum Biertrinken in Parks
       und anderen öffentlichen Plätzen. „Die wollen unseren Lebensstil
       ausrotten“, ist Deniz überzeugt. „Die reden von Jugendschutz, aber das ist
       nichts anderes als der Versuch, die Gesellschaft von oben umzukrempeln.“
       Geschichten aus der Zeit der Osmanen machen die Runde, als einige Sultane
       versucht haben, eine Alkoholprohibition durchzusetzen. „Damals“, erzählt
       Mehmet, „gab es sogenannte mobile Kneipen. Alkohol wurde illegal an allen
       Ecken und Enden der Stadt verkauft.“ Mit anderen Worten: „Sie, die AKP,
       wird es nicht schaffen, Istanbul in Riad zu verwandeln.“
       
       Der Schock ist dennoch groß. Die säkularen Türken sehen allmählich ihre
       schlimmsten Ängste über ein religiöses Regime eintreffen und die boomende
       Tourismusindustrie befürchtet, den religiösen Zwangsvorstellungen der AKP
       zum Opfer zu fallen.
       
       26 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Gottschlich
       
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