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       # taz.de -- Debatte Sprache und Rassismus: Warum so rücksichtslos?
       
       > Auch Linke und Liberale haben ihre blinden Flecken. Minderheiten können
       > sich daher nicht immer auf sie verlassen. Ein Beitrag zur N-Wort-Debatte.
       
   IMG Bild: Damit fing alles an: In den Neuauflagen der Kinderbücher Otfried Preußlers soll es ein paar kleine Änderungen geben
       
       Als das Theaterhaus „Schauspiel Frankfurt“ im Oktober 1985 das
       Fassbinder-Stück „Die Stadt, der Müll und der Tod“ uraufführen wollte, kam
       es zum Eklat: Die jüdische Gemeinde machte dagegen mobil, weil sie das
       Stück für antisemitisch hielt. Viele Linke und Liberale dagegen reagierten
       zunächst verständnislos auf diese Proteste und sprachen von Zensur.
       
       Das Stück wurde trotzdem kurzerhand abgesetzt und jahrzehntelang in
       Deutschland nicht mehr aufgeführt. Der Publizist Micha Brumlik beschrieb
       die Proteste später als einen Schlüsselmoment – eine Art „Coming-out“ für
       die kleine, vom Holocaust traumatisierte jüdische Gemeinde in Deutschland,
       die erstmals selbstbewusst auftrat.
       
       Die Ereignisse lassen sich nicht ganz vergleichen. Aber eine Art Déjà-vu
       konnte einen schon beschleichen, als der Thienemann Verlag im Januar
       bekanntgab, aus der Neuauflage des Kinderbuch-Klassikers „Die kleine Hexe“
       das Wort „Neger“ zu streichen. Wieder entbrannte ein kleiner Kulturkampf,
       eine Debatte um die Freiheit der Kunst und die Diskriminierung einer
       Minderheit. Diesmal gingen Feuilletonisten auf die Barrikaden: Sie
       empfanden die Entscheidung als Zensur und Verrat am Werk Otfried Preußlers.
       
       Auch viele Linke und Liberale reagierten zunächst verständnislos auf diese
       Ankündigung. Afrodeutsche Publizisten und die Initiative Schwarzer
       Deutscher hingegen zeigten sich erfreut und mischten sich selbstbewusst
       ein. Vielleicht wird auch diese Debatte eines Tages einmal als Wendepunkt
       gewertet werden: als Coming-out der kleinen, afrodeutschen Minderheit in
       Deutschland.
       
       Was beide Geschichten deutlich machen: Auch wenn es wenig Zweifel daran
       geben kann, dass Linke und Liberale in Deutschland einen großen Beitrag zum
       Kampf gegen Rassismus geleistet haben, bedeutet das nicht, dass sie damit
       zwangsläufig für jede Form der Diskriminierung gleichermaßen sensibel sind.
       Manche können sehr empfindlich sein, wenn sie Homophobie oder
       Antisemitismus begegnen – und sich trotzdem unsensibel verhalten, wenn es
       um andere Minderheiten geht.
       
       Manchmal müssen betroffene Minderheiten deshalb eben auf die Barrikaden
       gehen, um auf blinde Flecken aufmerksam zu machen. Sie können nicht darauf
       vertrauen, dass Linke und Liberale dabei immer an ihrer Seite stehen: Auch
       die haben ihre blinden Flecken und lieb gewonnenen Gewohnheiten. Die
       Selbstaufklärung einer Gesellschaft ist kein Zustand, den sie irgendwann
       einmal erreicht hat, so dass sich jeder beruhigt zurücklehnen kann, sondern
       ein fortwährender Prozess. Und auch Menschen, die sich für aufgeklärt
       halten, können sich diskriminierend verhalten.
       
       ## Didi, Dennis und die Grünen
       
       Das gilt beispielsweise für jenen Grünen-Verband in Nordrhein-Westfalen,
       der für seinen Wahlkampf 2009 Plakate drucken ließen, die den nackten Po
       einer schwarzen Frau zeigten – mit dem Slogan „Der einzige Grund, schwarz
       zu wählen“. Das gilt für Dieter Hallervorden, dessen Theater einen weißen
       Schauspieler schwarz schminken ließ: Zur Begründung hieß es, es gäbe auf
       deutschen Bühnen leider nicht genug Rollen für schwarze Schauspieler, „die
       eine Festanstellung rechtfertigten“. Und das gilt für den Literaturkritiker
       Dennis Scheck, der sich in seiner Sendung schwarz anmalte, um sich dafür
       starkzumachen, das N-Wort in Kinderbüchern zu belassen.
       
       Auf Kritik und Rassismus-Vorwürfe, die es in all diesen Fällen hagelte,
       wurde mit den immer gleichen Argumenten reagiert. Das war doch ironisch
       gemeint! Mensch, habt ihr keinen Humor? Außerdem: Gibt es denn nicht viel
       wichtigere Themen und viel schlimmeren Rassismus? Wenn all das nicht
       reicht, werden gerne die Kritiker in Zweifel gezogen. Sind diese Stimmen
       denn repräsentativ, muss man sie ernst nehmen?
       
       Auch der taz-Kollege Deniz Yücel griff jüngst in diese argumentative
       Mottenkiste, um sich gegen Kritiker zu wehren. In seiner Kolumne mit dem
       Titel „Liebe N-Worte, ihr habt einen Knall“ (taz.de vom 22. 4.) warf er
       ihnen unter anderem „inquisitorischen Furor“, „zwangsneurotisches
       Verhalten“ und einen „religiösen Abwehrreflex“ vor.
       
       Es ist schwierig, auf eine Polemik sachlich zu antworten. Aber der Trick,
       eine Minderheit, die sich beschwert, als übersensibel, dauerbeleidigt und
       humorlos hinzustellen, ist alt – damit haben schon Feministinnen kämpfen
       müssen, Schwule und Lesben, Migrantenverbände und andere. Natürlich gibt es
       auch unter Minderheiten immer einzelne Dogmatiker, die man durch den Kakao
       ziehen kann, wenn man einer grundsätzlich berechtigten Kritik ausweichen
       will. Auch Linke und vermeintlich Liberale verhalten sich da oft nicht
       besser als der Mainstream: Auch unter ihnen gibt es welche, die ihre eigene
       Weltsicht verabsolutieren und auf andere hinabsehen. Kurz: die intolerant
       und überheblich sind.
       
       ## Der Markt ist schon weiter
       
       Fragt sich nur, woher dieser Abwehrreflex und der Wille zur Verhöhnung
       rühren. Manchmal ist politische Korrektheit schließlich auch nur ein
       anderes Wort für alte Tugenden wie Höflichkeit und Rücksichtnahme. Warum
       muss man ein Wort wie „Neger“ verwenden, wenn sich andere dadurch verletzt
       fühlen?
       
       Doch in einer Gesellschaft, die vielfältiger und bunter geworden ist, wird
       nicht mehr alles einfach so hingenommen. Minderheiten melden sich
       selbstbewusster zu Wort. Und sie müssen sich heute nicht mehr allein auf
       das politische Bewusstsein oder die Höflichkeit der Mehrheit verlassen.
       
       Weil die Gesellschaft bunter und vielfältiger geworden ist, bemühen sich
       viele große Unternehmen heute, sich ein politisch korrektes und
       multikulturelles Image zu geben. Sie wollen ja ihre Waren an dieses
       Publikum verkaufen. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass sich Otfried
       Preußler und sein Verlag vor dessen Tod entschieden haben, die
       diskriminierend klingenden Passagen aus dem Kinderbuch „Die kleine Hexe“ zu
       streichen: Sie wollen, dass dieses schöne Kinderbuch auch in Zukunft noch
       viele Leser findet.
       
       Für die, denen diese Entwicklung aus Prinzip nicht gefällt, wird es
       natürlich auch in Zukunft eine Nische geben. Aber das ist die Meckerecke
       der Ewiggestrigen.
       
       25 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Daniel Bax
       
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