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       # taz.de -- 20 Jahre Eritrea: Kalaschnikows zu Gehstöcken
       
       > Am 24. Mai 1993 wurde Eritrea nach einem langen Befreiungskrieg
       > unabhängig. Das Land wird heute repressiv regiert. Doch es regt sich was.
       
   IMG Bild: Auch das ist Eritrea: Die Kathedrale von Asmara, Erbe der italienischen Kolonialzeit
       
       NAIROBI taz | Die Eritreer haben ihren Galgenhumor trotz der jahrelangen
       Diktatur nicht verloren, oder vielleicht haben sie ihn überhaupt nur
       deshalb entwickelt. Jedenfalls scherzen sie dieser Tage, die Greise könnten
       ihre Kalaschnikows doch als Gehstöcke nutzen, wo sie die Waffen schon
       ständig mit sich herumtragen müssen.
       
       Denn das Tragen des Gewehres ist inzwischen selbst beim Pflügen des Feldes
       Pflicht. In Eritrea gilt die Wehrpflicht für Männer und Frauen lebenslang.
       Während Soldatinnen und Soldaten bisher faktisch mit 40 oder 50 aus der
       Armee entlassen wurden, werden nun offenbar Reservisten bis zum Alter von
       70 Jahren mobilisiert. Das eritreische Regime stelle außerdem sicher, dass
       jeder seine Waffe trage.
       
       Diesen Stand in Sachen eritreischem Humor geben drei Exileritreer in einem
       Restaurant in Nairobi, der kenianischen Hauptstadt wieder. Nur einer von
       ihnen ist bereit, seinen Namen zu nennen. „Die eritreische Regierung weiß
       sowieso, wie kritisch ich bin“, sagt der 71-jährige Elias Habte Selassie.
       
       Der Jurist und Agrarwissenschaftler lebt seit Jahren im Exil. Dabei hätte
       er seinem Heimatland nützlich seien können, das zu den jüngsten Staaten
       Afrikas zählt und am 24. Mai 1993 unabhängig wurde.
       
       ## Dreißigjähriger Krieg
       
       Damals gehörte Habte Selassie zur Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF),
       die die Unabhängigkeit in einem dreißigjährigen Krieg erkämpfte und aus der
       die heutige Regierungspartei hervorgegangen ist. Aber angesichts der
       Entwicklung seit 1993 wurde Habte Selassie zum Kritiker und verließ seine
       Heimat. Der Jahrestag der Unabhängigkeit ist für ihn ein trauriges Datum.
       Dasselbe gilt für seine beiden Freunde, die ebenfalls für die
       Unabhängigkeit gegen Äthiopien gekämpft haben.
       
       Kurz vor dem 20. Jahrestag der Unabhängigkeit reden sie wieder einmal über
       ihr Heimatland. Und diesmal klingt durch, dass etwas in Bewegung ist. Man
       muss das so vorsichtig sagen, denn die eritreische Regierung unter
       Präsident Isaias Afewerki, dem einstigen Führer der EPLF, gehört zu den
       repressivsten der Welt.
       
       Die drei erzählen also einerseits von dem, was seit vielen Jahren trauriger
       Alltag ist: von willkürlichen Verhaftungen, von Folteropfern, der
       Wirtschaftskrise, die mittlerweile zu ständigen Stromausfällen sogar in der
       Hauptstadt Asmara führt.
       
       Aber sie erzählen auch davon, dass Kritik an dem Regime jetzt innerhalb des
       Landes geäußert wird – nicht laut, aber immerhin. Bisher galt das als
       undenkbar. Die Veränderung scheint eine Folge des gescheiterten
       Militärputsches vom 21. Januar zu sein. Zwar schlug das Regime anschließend
       mit einer gnadenlosen Verhaftungswelle zurück, aber der Samen des
       Widerstands scheint gesät.
       
       Einer von Habte Selassies Freunden, nennen wir in Tesfai, erzählt von der
       Gruppe Arbi Harnet (etwa „Freitag der Freiheit“), die nun in Asmara aktiv
       sei. „Nachts verteilen sie oft Flugblätter“, berichtet Tesfai. „Am nächsten
       Morgen durchkämmt die Polizei jedes Mal die Stadt und nimmt etliche Leute
       fest.“ Schon wer ein Flugblatt nur lese, werde verhaftet. „Aber die Leute
       machen weiter.“ Die Leser, die Autoren, das Regime.
       
       ## So viele Verhaftungen wie nie
       
       Denn während die Kritik immer unverhohlener werde, verhärte sich die
       Haltung des Establishments: Es gebe so viele Verhaftungen wie nie.
       
       Alle drei sind sich darin einig, dass Präsident Afewerki seit dem
       Putschversuch das Vertrauen in seine Armee offenbar verloren hat und
       versucht, konkurrierende bewaffnete Gruppen aufzubauen. An dieser Stelle
       kommen die Greise ins Spiel, die nun nicht nur systematisch bewaffnet
       würden, sondern auch „viel straffer organisiert“ als bisher, wie Tesfai
       beschreibt. Sie gehören zwar zur eritreischen Armee, unterstehen aber einem
       anderen Kommando.
       
       Außerdem verlasse sich Afewerki zunehmend auf die bewaffnete äthiopische
       Opposition in Eritrea. „Die ist viel besser bewaffnet als die eritreische
       Armee“, sagt Tesfai. Sollte der Präsident wirklich versuchen, mehrere
       bewaffnete Gruppen aufzubauen, sieht Tesfai darin „ein fast sicheres Rezept
       für Bürgerkrieg“.
       
       24 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bettina Rühl
       
       ## TAGS
       
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