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       # taz.de -- Bruce Springsteen auf Tour: Ein gütiger Herrscher
       
       > Bruce Springsteen macht im Rahmen seiner Welttournee nun Station in
       > Deutschland. Flankierend erscheinen neue Biografien und eine
       > Best-of-Sammlung.
       
   IMG Bild: Wird weltweit wieder Stadien füllen: Bruce Springsteen
       
       In gewisser Weise hat Bruce Springsteen einem berühmten Kollegen seine
       Karriere zu verdanken. Er sperrte sich nämlich von Anfang an dagegen, von
       seiner Plattenfirma als „neuer Bob Dylan“ vermarktet zu werden.
       Springsteens Debütalbum, „Greetings From Asbury Park, N.Y.“, verkaufte sich
       1973 entsprechend verheerend. Heute ist der Mann 63 Jahre alt, mehrfacher
       Familienvater und wird auf seiner Welttournee nun auch in Deutschland
       erneut Stadien ausverkaufen.
       
       Auch Jahrzehnte nach seinen größten kommerziellen Erfolgen ist Springsteen
       ein „household name“. Pünktlich zur Welttournee wird auch der Bücherberg
       über Springsteen höher. 600 „autorisierte“ Seiten liefert der routinierte
       Biograf Peter Ames Carlin mit „[1][Bruce]“ ab. Auf gerade mal 80 Seiten
       bringt es David Remnick, Chefredakteur des traditionell
       linksintellektuellen New Yorker, mit seinen Betrachtungen „[2][Über Bruce
       Springsteen]“.
       
       Beide scheitern auf je eigene Weise, aber Remnick scheitert interessanter.
       Carlin bemüht sich, schon im Prolog die Herkunft von Springsteens
       notorischem Spitznamen zu erklären. Es mag ja wahr sein, dass ihm der
       „Boss“ ursprünglich wegen seiner Fähigkeiten beim Monopoly-Spiel angehängt
       wurde – es wird von Millionen Fans mit ehrfurchtsvoller Apodiktik verwendet
       –, hat aber völlig andere Gründe.
       
       „Der Boss“ ist ein proletarischer Ehrentitel, den die Arbeiterklasse dem
       verleiht, den sie als ihr musizierendes Medium anerkennt. Der Boss schwitzt
       und schuftet und bleibt immer bei der Wahrheit. Als solcher wird
       Springsteen bei seinen betont herzlichen Konzert-Hochämtern der
       Kumpelhaftigkeit gefeiert und auf Händen getragen. Einer, der „uns“
       nebenbei erklärt, wer „wir“ eigentlich sind.
       
       ## Heroisch missverstandene Hymne
       
       „Wir“, das sind die Langhaarigen, denen die Haare bei der Army
       abgeschnitten werden, denen Vietnam erspart geblieben ist, nicht aber das
       Fließband. Bis dieses Fließband unter Ronald Reagan plötzlich stillstand.
       Wir, denen die Söhne schließlich in neue Kriege geschickt wurden und denen
       sich dennoch – oder deswegen – die Haare auf den Unterarmen aufstellen,
       wenn sie „Star Spangled Banner“ hören oder „[3][Born in the USA]“, diese
       heroisch missverstandene Hymne aus den Achtzigern.
       
       Es sind die nostalgischen, tendenziell linken Babyboomer aller Länder,
       denen der „Boss“ erzählt, wo der patriotische Hammer hängt oder wenigstens
       hätte hängen können. Die weiße US-Mittelklasse mag in ihrem
       gesellschaftlichen Fahrstuhl immer häufiger stecken bleiben, aber
       zuverlässig tönt Erbauliches von „Born to Run“, über „Glory Days“, bis
       „Hungry Heart“ aus ihren Lautsprechern.
       
       Es kann also so schlimm nicht sein. Remnick dagegen erwähnt den „Boss“ kein
       einziges Mal und lässt dieses weite, fruchtbare Interpretationsfeld
       unbestellt. Stattdessen umkreist er sein Thema wie ein Musikjournalist mit
       märchenhaftem Zeit-und Spesen-Budget. Er spricht mit dem früh gefeuerten
       E-Street-Drummer Vini Lopez an Orginalschauplätzen, besucht Springsteens
       Ehefrau Patti Scialfa auf dem 150-Hektar-Gestüt und begleitet den
       Tourneezirkus nach Übersee.
       
       ## Nützlich für die Arbeit
       
       Der Geschasste erweist sich als gescheitert, aber dankbar; die Gattin zeigt
       sich in kreativer Hinsicht unbefriedigt, aber dankbar; und der Tross steigt
       auf Reisen in den besten Hotels ab, hat also allen Grund zur Dankbarkeit.
       Zumal der „hart arbeitende“ Boss auch hinter der Bühne so professionell wie
       menschlich zu Werke geht – sogar dann, wenn er dem Autor eloquent erklärt,
       wie nützlich so eine klinische Depression für die Arbeit sein kann.
       
       Für Remnick hat Bruce Springsteen nicht nur eine Botschaft, er hat eine
       Vision: „Sie ist durchwirkt von einem liberalen Beharren, dass der
       amerikanische Patriotismus weniger mit dem Primat des Marktes als mit einem
       Roosevelt’schen Sinn für Fairness und einem gemeinschaftlichen
       Zusammengehörigkeitsgefühl zu tun hat.“
       
       Das Alleinstellungsmerkmal von Springsteen sieht Remnick aber anderswo: „Er
       ist einer der wenigen über 60-Jährigen, die kein Problem damit haben,
       20.000 zahlenden Gästen den Arsch zu zeigen – einen Arsch, der sauber in
       eine bestürzend enge schwarze Jeans gezwängt ist.“
       
       Ein Problem hat Springsteen seit Jahrzehnten eher damit, noch memorable
       Melodien zu schreiben. Umso besser gelingt es ihm, als gütiger Herrscher
       sein Reich zu verwalten. Sein Gespür für dynastische Nachfolge und
       politische Farbgebung zeigte Springsteen, indem er den 2011 verstorbenen
       schwarzen Saxofonisten Clarence Clemons durch dessen Neffen Jake ersetzte.
       Neulich erschien mit „Bruce Springsteen – Collection: 1973–2012“ ein
       solides „Best-of“. Es ist ein Fluch und gleichzeitig das Beste an Bruce
       Springsteen: Die Fähigkeit, den Mythos zu kapitalisieren und endlos die
       eigene Vergangenheit nachzuspielen.
       
       Peter Ames Carlin: „Bruce“. Aus dem Englischen von Sonja Kerkhoffs,
       Edel:Books, Hamburg 2013, 608 Seiten, 24,95 Euro 
       
       David Remnick: „Über Bruce Springsteen“. Aus dem Englischen von Eike
       Schönfeld, Berlin Verlag, Berlin 2013, 80 Seiten, 14,99 Euro 
       
       Bruce Springsteen, „Collection: 1973–2012“ (Sony Music) 
       
       Live: 26. Mai, Olympiastadion München; 28. Mai, AWD-Arena Hannover, weitere
       Konzerte im Juli
       
       23 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.edel.com/de/buch/release/peter-ames-carlin/bruce/
   DIR [2] http://www.berlinverlag.de/bucher/bucherdetails.php?isbn=9783827011688
   DIR [3] http://www.tape.tv/musikvideos/Bruce-Springsteen/Born-In-The-USA
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
       
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