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       # taz.de -- Wohnungslosigkeit: Protest vor die Tür gesetzt
       
       > Flüchtlinge aus Libyen, die seit über einem Monat in Hamburg auf der
       > Straße leben, demonstrieren in der Rathausdiele. Den Bürgermeister
       > kriegen sie nicht zu sehen
       
   IMG Bild: Kann sich ja nicht selbst um jeden Besucher kümmern: Bürgermeister Scholz und die japanische Kirschblütenkönigin Chiori Kobayashi
       
       Während draußen dicke Regentropfen fielen, haben knapp 60 afrikanische
       Flüchtlinge in der Hamburger Rathausdiele demonstriert. Die Männer wollten
       am Mittwoch auf ihre Obdachlosigkeit aufmerksam machen: Seit vor fünf
       Monaten das Winternotprogramm der Stadt endete, übernachten nach Schätzung
       der Flüchtlingsorganisation Karawane rund 300 Menschen im Freien.
       
       Die Flüchtlinge hatten sich am Vormittag unter die Besuchergruppen im
       Rathaus gemischt. Im Foyer setzten sie sich auf eine Treppe und begannen
       ihre Protestaktion. Auf einem mitgebrachten Banner stand: „Wir haben nicht
       den Nato-Krieg in Libyen überlebt, um auf Hamburgs Straßen zu sterben.“ Der
       Büroleiter von Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), Christopher Schwieger,
       sprach mit Affo Tchassei, einem Sprecher der Gruppe. Dieser forderte einen
       Gesprächstermin für eine Delegation der Flüchtlinge mit dem Bürgermeister.
       Nach Schwiegers Zusage, das Anliegen der Obdachlosen an Scholz
       heranzutragen, verließen die Demonstranten das Rathaus.
       
       Laut Ralf Lourenco von der Karawane meldete sich Schwieger im Anschluss
       telefonisch bei den Flüchtlingen: Er könne weder ein Gespräch mit dem
       Bürgermeister noch mit SPD-Sozialsenator Detlef Scheele organisieren. Er
       empfehle, sich an Flüchtlingsberatungsstellen zu wenden.
       
       Die Männer stammen aus Ghana, Nigeria, Togo und weiteren afrikanischen
       Ländern. Bis zum Sturz von Staatschef Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011
       hatten sie in Libyen gearbeitet. Doch weil der Diktator Einwanderer als
       Söldner gegen Demonstranten kämpfen ließ, gerieten Menschen mit schwarzer
       Hautfarbe in der libyschen Bevölkerung unter Generalverdacht und wurden
       Opfer von Gewalt.
       
       Viele von ihnen flohen daraufhin nach Italien. Anfang dieses Jahres
       schlossen die dortigen Behörden die Flüchtlingsunterkünfte und gaben den
       Bewohnern europäische Reisepapiere: Sie sollten in Nordeuropa ihr Glück
       versuchen, erzählen die Männer, habe man ihnen gesagt.
       
       Doch in Hamburg haben die Flüchtlinge ebenfalls keinen Anspruch auf
       Unterkunft oder medizinische Versorgung und auch keine Möglichkeit, zu
       arbeiten. Bereits am Dienstag hatten Flüchtlingsaktivisten versucht, auf
       einer Verkehrsinsel am Berliner Tor Zelte zu errichten, damit die
       wohnungslosen Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf haben. Das Bezirksamt
       Mitte unterband dies aber. Viele der Betroffenen seien mittlerweile
       erkrankt, sagte Ralf Lourenco.
       
       SPD-Sozialsenator Detlef Scheele hat bisher nur angeboten, den Afrikanern
       eine Rückfahrkarte nach Italien zu bezahlen. Die Protestaktion im Rathaus
       wolle der Senat nicht kommentieren, sagte am Mittwoch sein Sprecher
       Christoph Holstein.
       
       Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen-Bürgerschaftsfraktion,
       Antje Möller, sagt: „Der Senat muss aus humanitären Gründen hier Hilfe
       leisten.“ Die Stadt dürfe sich nicht auf formale Zuständigkeiten
       zurückziehen. Auch Christiane Schneider von der Linksfraktion fordert
       schnelle materielle Hilfe: „Die Situation dieser Menschen ist absolut
       verzweifelt, die Stadt muss dringend etwas tun.“
       
       Die Polizei hatte während der Protestaktion den Haupteingang des Rathauses
       abgesperrt. Eintreffenden Medienvertretern, darunter von der taz,
       verwehrten Beamte den Zugang zur Rathausdiele. Als die Afrikaner das Foyer
       verlassen hatten, liefen sie in einer spontanen Demonstration zum
       Hauptbahnhof. Am Abend errichteten sie in St. Georg einen Pavillon, in dem
       sie mit einer Mahnwache über ihre Situation informieren wollen.
       
       22 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kristiana Ludwig
       
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   DIR Schwerpunkt Armut
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