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       # taz.de -- Debatte Venezuela: Der Rückhalt schrumpft
       
       > Die linke Regierung hat bei der Wahl noch einmal gesiegt. Sie verliert
       > aber in der Bevölkerung und bei ihren Bündnispartnern an Unterstützung.
       
   IMG Bild: Mutter, der Mann mit dem Öl ist da: Venezuelas Präsident Maduro Anfang Mai auf Staatsbesuch in Uruguay.
       
       In Venezuela hat sich eine revolutionär gebende Regierung den Zugriff auf
       den Reichtum des Landes gesichert. Erdöl ist Dreh- und Angelpunkt. Das
       macht die chavistische Regierung ökonomisch stark und erleichtert anderen
       linken Regierungen in der Region das Leben.
       
       Verlieren die Chavistas den Zugriff auf das Öl, kommen andernorts die
       linken Regimes zumindest ins Straucheln. Es geht also um mehr als nur um
       einen innenpolitischen Verteilungskampf, die Polarisierung hat längst
       andere Gesellschaften erfasst. Die Nerven liegen blank, wenn es um die
       Frage geht: Wie hältst du es mit Venezuela?
       
       Bei Wahlen in Venezuela wird immer nur suggeriert, zwei komplett
       unterschiedliche ökonomische und gesellschaftliche Projekte lägen zur
       Abstimmung vor. Unangetastet bleibt das Fundament, das Regierungs- wie
       Oppositionspolitik zugrunde liegt: eine Rentenökonomie.
       
       Der Reichtum kommt aus dem Boden, nicht aus den Schulen, den Fabriken oder
       von den Äckern. Mit sozialistischen Errungenschaften hat das nicht viel zu
       tun.
       
       ## Es geht bergab
       
       Die Wahlen vom April brachten nur einen knappen Sieg für den
       Chávez-Nachfolger Nicolás Maduro, viel knapper als erwartet. Auch wenn je
       nach politischem Standpunkt umstritten ist, ob es Wahlmanipulationen
       gegeben hat, lassen die Ergebnisse einen realistischen Blick auf die
       politischen Verhältnisse zu.
       
       Im Oktober 2012 mobilisierte der zur Wiederwahl angetretene Hugo Chávez
       knapp über 80 Prozent der rund 19 Millionen Stimmberechtigten. 8,19
       Millionen Menschen stimmten für ihn, für seinen Herausforderer Henrique
       Capriles nur 6,59 Millionen.
       
       Auch bei den Gouverneurswahlen im Dezember – Chávez lag in einem
       kubanischen Krankenhaus – sieht es auf den ersten Blick nach einem
       Erdrutschsieg der chavistischen Kandidaten aus. In 20 der 23 Bundesstaaten
       errangen sie den Sieg, lediglich in drei Bundesstaaten setzte sich die
       Opposition durch. Die absoluten Zahlen zeichnen jedoch ein etwas anderes
       Bild. Die Wahlbeteiligung schrumpfte auf 54 Prozent. Gemeinsam erzielten
       die Chávez-Kandidaten 4,85 Millionen Stimmen, die der Opposition 3,71
       Millionen. Der Abstand hatte sich bei beiderseitigen Verlusten auf 1,14
       Millionen verringert.
       
       Jetzt, im April, stieg die Wahlbeteiligung auch ohne Hugo Chávez erneut auf
       knapp 80 Prozent. Aber diesmal stimmten nur 7,59 Millionen für Maduro,
       dagegen 7,36 Millionen für Henrique Capriles, ein Zugewinn von rund 770.000
       Stimmen. Chávez-Anhänger blieben nicht nur in Scharen zu Hause, sie
       stimmten auch für den Kandidaten der Opposition.
       
       ## Wie Schnee in der Sonne
       
       Die Legitimation der chavistischen Führungsriege durch einen mehrheitlichen
       Rückhalt in der Bevölkerung ist in den letzten sechs Monaten wie Schnee in
       der Sonne geschmolzen. Ein Fakt, der mit dem Tod von Chávez im März und
       rechter Wahlpropaganda allein nicht zu erklären ist. Die Hälfte der
       venezolanischen Stimmberechtigten will offensichtlich den Weg eines
       chavistischen Sozialismus des 21. Jahrhunderts nicht mitgehen.
       
       Für die Chavistas ist die Anschuldigung der Opposition, die Ergebnisse
       manipuliert zu haben, nicht das größte Problem. Von den rund 7,59 Millionen
       Stimmen für Maduro kamen 6,19 Millionen direkt von der PSUV, der
       Sozialistischen Einheitspartei. 1,39 Millionen Stimmen steuerten 13
       kleinere Parteien bei, die der von Chávez gegründeten PSUV nicht
       beigetreten sind, aber ebenfalls Maduros Kandidatur unterstützten. Ohne
       diese Verbündeten hätte es auch Chávez vergangenen Oktober nicht geschafft.
       Die Abhängigkeit der Chavistas von den Kleinen ist aber jetzt enorm
       gestiegen.
       
       Vor allem bei den kleinen Allianzparteien steigen die Unzufriedenheit und
       die Ungeduld mit der Regierung. Das mag weniger für die kommunistische
       Partei PCV zutreffen, die mit knapp 284.000 die meisten Stimmen beitrug.
       Aber Basisparteien wie die Redes de Respuesta de Cambios Comunitarios
       (Redes) oder die sozialistische MEP, die beide jeweils knapp 100.000
       Stimmen einheimsten, werden bei knappen Wahlausgängen zum Zünglein an der
       Waage.
       
       Allmählich setzt sich bei ihnen die Erkenntnis durch, dass der Chavismus
       zwar eine Umverteilungspolitik hervorgebracht hat, die die bisher
       Ausgeschlossenen am gesellschaftlichen Reichtum beteiligt, aber nur dank
       der florierenden Einnahmen aus dem Ölgeschäft aus dem Vollen schöpft und
       funktioniert.
       
       Dass die chavistische Regierung es nicht geschafft hat, die seit vielen
       Jahrzehnten existierende korrupte Sumpflandschaft im Staatsapparat
       trockenzulegen und diesen zudem endlich effizienter zu machen, wird von den
       kleineren Parteien noch hingenommen. Dass sich bereichernde und sich
       chavistisch gebende Eliten hinzugekommen sind, schon weniger. Und nur
       zähneknirschend akzeptieren sie noch immer, dass der Aufbau von
       Arbeiterräten und kommunalen Volksräten, die dem staatlich-bürokratischen
       Sektor etwas entgegensetzen können, nicht vorankommt.
       
       ## Der Dominoeffekt
       
       Sollten kleine Parteien den Chavistas die Unterstützung entziehen, dürften
       auch die Verbündeten nervös werden, allen voran Kuba. Die Behauptung,
       Venezuela verschenke sein Erdöl an Havanna, stimmt nicht, denn die
       kubanischen Ärzte in den venezolanischen Armenvierteln leisten im Gegenzug
       einen großen Dienst.
       
       Aber eine Einstellung der Öllieferungen zu Vorzugspreisen würde die
       Inselökonomie zumindest ebenso erschüttern wie der Zusammenbruch der UdSSR.
       Ähnliches gilt für die übrigen 15 Mitgliedstaaten von Petrocaribe (das
       Abkommen Venezuelas mit Karibikstaaten über verbilligte Öllieferungen),
       aber auch für Uruguay und Argentinien.
       
       Doch auch für die von Venezuela ökonomisch weniger abhängigen
       südamerikanischen Regierungen würden sich die politischen Koordinaten
       deutlich verschieben. Zwar treten die meisten südamerikanischen Länder
       heute gegenüber den USA weitaus unabhängiger als früher auf. Venezuela ist
       aber noch immer der verbale Vorreiter. Brasilien, die Hegemonialmacht auf
       dem Subkontinent, segelt so weitaus weniger beachtet im Windschatten des
       venezolanischen Polterns gegen den Norden.
       
       22 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jürgen Vogt
       
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