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       # taz.de -- „Missys“ Feminismus-Diskussionsrunde: Parole Brückenbau!
       
       > Wie kann man den kleinen feministischen Frühling nach dem Medienhype um
       > den #Aufschrei retten? Darüber ließ das „Missy Magazine“ diskutieren.
       
   IMG Bild: Auf große Podien hat es die #Aufschrei-Debatte schonmal geschafft: Anne Wizorek spricht Anfang Mai vor über tausend Menschen bei der re:publica.
       
       BERLIN taz | „Ich liebe meine Mutter. Aber nicht ihre Oberschenkel.“ Angela
       McRobbie zeigt eine Werbung für die Sportschuhmarke Puma in England. Die
       Mütter sind die schwabbeligen Frauen, die sich gehen lassen. Die Töchter
       tun dagegen alles dafür, in der Norm zu bleiben. Niemand ist schuld daran.
       Sie wollen es selbst. Und Puma hilft ihnen dabei. Wie nett.
       
       Die britische Soziologin [1][Angela McRobbie] hält am Pfingstmontagabend im
       Berliner Theater HAU die Key Note. Geladen hat die feministische
       Popzeitschrift Missy zu einem Abend unter dem Motto „There is more to
       sexism than meets the eye“. McRobbie setzt sich schon länger mit den
       selbstgewählten Zwangslagen junger Frauen auseinander, [2][Top Girls] heißt
       ihr Buch, in dem sie beschreibt, wie der Feminismus der Müttergeneration
       abgewickelt wird: Undoing Feminism.
       
       Kaum hatte sich der kritische Blick auf die Geschlechterordnung ansatzweise
       etabliert, kam der Backlash: Wir mögen diese Regulierungen nicht. „Let's be
       politically incorrect, let's provoke“. Alte sexistische Bilder mit den
       Anführungsstrichen der Ironie immunisieren und zugleich einen
       Generationenkonflikt ausrufen – das war die Mischung, die bis heute
       unglaublich gut funktioniert. Sie lässt Feminismus alt, hysterisch und
       humorlos dastehen.
       
       Angela McRobbie hat ein Heimspiel an diesem Abend, an dem Missy fragt, was
       nach dem Sexismus-Aufschrei übrig blieb. Die Lady mit den leuchtenden
       langen weißen Haaren erreicht die Jüngeren leicht – auch weil im Publikum
       so ungefähr alle Gender-Studies-Studierende versammelt sind, die Berlin zu
       bieten hat.
       
       ## Von „Phantom Feminism“ und „Fake Empowerment“
       
       Was kam nach dem Feminismus der Mütter? Eine neoliberale Schwundstufe, die
       sich als Meritokratie verkauft: „Du kannst alles schaffen, wenn Du gut
       bist.“ Die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg hat diese
       Aufforderung in Buchform gepresst und „Lean in“ betitelt: „Corporate
       Feminism“ oder „Phantom Feminism“ nennt McRobbie das. Oder auch „Fake
       Empowerment“, weil diese Ermächtigung von ihren sozialen Voraussetzungen
       schweigt und diejenige, die diese Voraussetzungen nicht hat und scheitert,
       zum Loser stempelt. Auf keinen Fall aber darf man ein „angry feminist“
       werden, gesellschaftliche Ächtung ist die Folge.
       
       Außer im HAU an diesem Abend. Auf dem Podium rappt Sookee, dass ihre
       Battlegegner dasselbe Frauenbild haben wie „Burschis mit Schmiss“
       (Burschenschaftler). Und macht sich darüber lustig, dass man sie „Gender
       Rapperin“ nennt, „dabei sind die ganzen Jungs doch auch Gender Rapper“.
       
       [3][Anne Wizorek], Kommunikationswissenschaftlerin, die anläßlich des
       [4][Dirndlgates von Rainer Brüderle] den [5][#Aufschrei] gegen Sexismus auf
       Twitter initiiert hatte, sieht sich den McRobbieschen Zuschreibungen
       ausgesetzt: Hysterie- bzw [6][Tugendfuror-Vorwurf vom Bundespräsidenten],
       Bagatellisierung.
       
       Sonja Eismann, Missy-Chefin und Moderatorin des Abends, fragt, was beim
       Aufschrei verloren ging, etwa die Frage nach Klassenzugehörigkeit und
       ethnischer Herkunft. Hat sich da nur die weiße, junge, gutaussehende,
       deutsche obere Mittelschicht verständigt?
       
       ## Vielfältiger als medial dargestellt
       
       Während Nana Adusei-Poku, Kunst- und Kulturtheoretikerin, die unter anderem
       an der Berliner Humboldt-Uni lehrte, bei Ethnizität und Klasse im
       gesellschaftlichen Diskurs eine einzige riesige Leerstelle sieht, merkt
       Anne Wizorek an, dass der Aufschrei durchaus vielfältiger war, diese
       Vielfalt aber nicht bis in die Medien vordrang.
       
       Wie kann man den kleinen feministischen Frühling nach dem Medienhype
       retten? Die Kommunikationswissenschaftlerin Jasmin Mittag will den
       Aufschrei-Schwung für eine Seite namens [7][Wer braucht Feminismus?]
       nutzen.
       
       Alle anderen Gäste reden dann viel über Pädagogik: Warum erfährt man über
       Critical Whiteness und Queers of Colour nichts in der Uni, fragt Poku.
       Sookee findet, dass man in Diskussionen auch achtmal sagen können muss,
       „was Phase ist“: „Parole Brückenbau!“ und bloß nicht gleich mit Judith
       Butler schocken. Angela McRobbie macht darauf aufmerksam, dass „predigende
       Feministinnen“ ebenfalls als Abturner gelten. Und bietet eine realistische
       aber völlig unsexy Perspektive: Man muss durch die Institutionen
       marschieren. „Ja, es ist bürokratisch, aber ich bin für bürokratische
       Frauen!“
       
       Wer hätte das gedacht, dass ein Missy-Abend so endet. Aber er endet auch
       noch nicht wirklich. Später am Abend spielen Zucker, Kraftwerk auf
       feministisch, ziemlich druckvoll, ziemlich gut. Und die
       Postpostfeministinnen mögen das.
       
       21 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Feministin-ueber-Aufschrei-und-Folgen/!116325/
   DIR [2] /1/archiv/digitaz/artikel/
   DIR [3] http://twitter.com/marthadear
   DIR [4] /Sexismus-in-Deutschland/!109933/
   DIR [5] /Sexismus-Debatte-auf-Twitter/!110663/
   DIR [6] /Bundespraesident-und-Sexismus-Debatte/!112359/
   DIR [7] http://werbrauchtfeminismus.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
       
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