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       # taz.de -- Diskurs um Kinderschutz: Türkische Eltern wehren sich
       
       > Die Jugendämter nehmen zu viele Kinder aus ihren Familien, sagt der
       > Türkische Elternbund Hamburg. Unterstützung kommt vom
       > EU-Petitionsausschuss.
       
   IMG Bild: In den Niederlanden kämpft eine türkischstämmige Familie um ihren neunjährigen Sohn Yunus (Mitte).
       
       "Jugendamt - Wirklich zum Wohle des Kindes?", mit dieser provokanten Frage
       lud der Türkische Elternbund Hamburg (HTVB) am Freitagabend zu einer
       Diskussion in Billstedt ein. Anlass ist die steigende Zahl von Kindern, die
       vom Jugendamt in Obhut genommen werden. Seit 2007 stieg sie bundesweit um
       fast 40 Prozent. Der HTVB-Vorsitzende Malik Karabulut nennt dies Besorgnis
       erregend, denn nach der Inobhutnahme kämen die Kinder teilweise in
       "schlimmere Situationen" und würden, sofern sie aus Einwandererfamilien
       kämen, ihrem Kulturkreis entrissen.
       
       Meistens verläuft der Diskurs um Kinderschutz so: Der dramatische
       Einzelfall eines gestorbenen Kindes rüttelt Medien und Politik auf, den
       Jugendämter wird vorgeworfen, sie hätten zu spät reagiert. Steigen die
       Inobhutnahmen, so die Vorstellung, machen die Jugendämter endlich ihren
       Job. In Hamburg ist nach dem Tod von Jessica 2005 die Zahl der von Bezirken
       in Obhut genommen Kinder von rund 400 auf 500 gestiegen und hält sich
       seither auf diesem Niveau.
       
       Doch der Türkische Elternbund diskutiert dieses Thema aus einem anderen
       Blickwinkel. Rückwirkend werde nicht kontrolliert, ob die Entscheidung, ein
       Kind aus der Familie zu nehmen, richtig war, da waren sich die Experten der
       Billstedter Runde einig. Sehr kritisch äußerte sich Maitre Gregory Thuan
       Dit Dieudonne, ein Experte des EU-Petitionsausschusses. "Es ist ein großes
       Problem für die Menschenrechte, dass die Richter die Jugendämter nicht
       kontrollieren."
       
       Dieudonne war Referendar beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
       in Straßburg, der Deutschland schon mehrfach wegen Missachtung des Rechts
       auf Familienleben verurteilt hat. Eltern einfach per Gericht binnen 48
       Stunden das Sorgerecht zu entziehen, ohne dass diese dagegen etwas tun
       können, das sei in anderen Ländern nicht üblich.
       
       Die Erziehungswissenschaftlerin Monika Armand aus Halle berichtete von
       einem Kind, das in Obhut kam, nur weil eine auf Rache erpichte frühere
       Freundin der Mutter dieser Selbstmordabsichten unterstellte. Dass dies
       falsch war, habe ein Psychiater am nächsten Tag geklärt. Nur die Rückkehr
       des Kindes habe Wochen gedauert. Vieles, was Eltern erleben, sei nicht vom
       Gesetz gedeckt. Zwar gibt es bei Sorgerechtsentzug Gutachten von
       Sachverständigen, doch auch die seien nicht wirklich unabhängig, da sie auf
       Folge-Aufträge der Ämter angewiesen seien.
       
       Es sei zudem nicht gesagt, dass sich die Kinder in Heimen und
       Pflegefamilien besser entwickeln. Armand: "Das Risiko von Missbrauch und
       Misshandlung ist laut Studien dort siebenfach größer als in normalen
       Familien." Auch sei die Trennung von den Eltern ein Problem. Sinnvoller
       seien deshalb Pflegefamilien als Ergänzung statt als Ersatz zur
       Ursprungsfamilie.
       
       In der Türkei sorgt für Aufregung, dass Kinder in deutsche Pflegefamilien
       kommen und nicht in ihrer eigenen Sprache und Kultur sozialisiert werden.
       Die Rede ist gar von "Zwangsgermanisierung". Der türkische Konsul Berati
       Alver appellierte deshalb in einer kurzen Rede an türkische Eltern, sich
       selber als Pflegefamilien zur Verfügung zu stellen. Statt sich über
       Assimilation zu beschweren, müsste man etwas tun.
       
       Die Diskussion am Freitag krankte daran, dass kein Vertreter eines
       Jugendamtes dabei war. Dies sei leider nicht gelungen, sagte Karabulut. Man
       sei aber an einer Aussprache interessiert.
       
       20 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Kaija Kutter
       
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