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       # taz.de -- Bergkrimi im ZDF: Große Steine, kleine Story
       
       > Das Zweite versucht sich mal wieder an einem Bergkrimi: „Die Tote im
       > Eis“. Heraus kommt eine schön gefilmte, aber leider recht krude
       > Geschichte.
       
   IMG Bild: Hat heimlich Höhenangst: Gregor (Benjamin Sadler).
       
       Ach, Familie! Du Schufa-Eintrag in der individuellen Lebensgestaltung, du
       Achillesferse des Selbstbewusstseins. Was würden Kunst und Kulturindustrie
       wohl ohne dich machen; du konstruierte Zusammenrottung von Menschen
       unterschiedlichster Couleur, die auf immer und ewig aneinander gekettet
       sein sollen, bloß weil irgendwann in ferner Vergangenheit ein Mann und eine
       Frau ungeschützten Geschlechtsverkehr miteinander hatten?
       
       Familiendramen waren schon immer Kassenschlager. Henrik Ibsens Rezept war
       das verdrängte Familiengeheimnis in der Vergangenheit, das zum Antrieb der
       handelnden Figuren wurde. Und Tolstoi schrieb: „Alle glücklichen Familien
       sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie jedoch ist auf ihre
       besondere Weise unglücklich.“
       
       Die Familie des Bauunternehmers Karl Kress (Manfred Zapatka) kann mit
       mehreren Geheimnissen aufwarten, um das Unglück ihrer Mitglieder zu
       begründen. Eines davon ist der titelgebende „Tote im Eis“, der vor 20
       Jahren verschollene älteste Sohn des Unternehmers, Christoph. Geblieben
       sind der jüngere Sohn Mark (Kai Wiesinger), ein Versager und Lebemann,
       sowie Verena (Aglaia Szyszkowitz), die Schwester, die einen Dutt hat wie
       Kim Novak in „Vertigo“ und ein ähnlich gestörtes Verhältnis zur Sexualität.
       
       Nach dem österreichischen Alpenthriller „Tod in den Bergen“ vom 6. Mai
       kommt das ZDF heute mit dem zweiten Bergkrimi innerhalb von zwei Wochen.
       Und wieder ist es eine krude Geschichte mit beeindruckenden Bildern.
       
       ## Immerhin: Die Landschaft ist schön
       
       Pathetisch überladen mit unpassender Musik und redundanten Szenen auf der
       einen Seite, grandios durch atemberaubende Landschaftsaufnahmen auf der
       anderen. Dazu läuft sich ein ganzes Dutzend Schauspieler gegenseitig den
       Rang ab.
       
       Ulrich Tukur sticht heraus mit seinem Spiel auf der Schneide zwischen
       harmlos und widerwärtig, während Hanns Zischler eine merkwürdig kleine
       Rolle hat. Dabei gilt doch sonst immer im Fernsehen: Der berühmteste
       Schauspieler in der kleinsten Nebenrolle ist am Ende immer der Mörder.
       
       Während der „Tod in den Bergen“ sich an einem Vater-Sohn-Konflikt aufhängte
       und zum völlig überdrehten Öko-Krimi überschnappte, gehorcht „Der Tote im
       Eis“ einer merkwürdigen Symmetrie: Es reden stets zwei Menschen miteinander
       (während ein dritter heimlich zuhört), ständig wird irgendjemand geohrfeigt
       und irgendwie passiert alles in diesem Zwei-Stunden-Film mindestens
       zweimal.
       
       Vermutlich soll damit das Wiedergängertum unbewältigter
       Transgenerationstraumata verbildlicht werden, das schon Ibsen zum reichen
       Mann machte. Leider bleiben verstörende Déjà-vu-Erlebnisse wie in den
       großen Familiendramen aus. Stattdessen gewinnt man den Eindruck ungewollter
       Komik.
       
       ## Wo bleibt der Showdown?
       
       Auch dass immer ein Geheimnis noch atemberaubender sein muss als das andere
       und am Ende nicht nur der große Showdown kommt, sondern sich alles zum
       Guten wendet, gibt das ganze Genre der Lächerlichkeit preis.
       
       Nirgendwo können die kleinen Alltagsdramen so existenziell bedrohlich
       werden wie in einer Familiengeschichte. Das macht gerade den Reiz ihrer
       künstlerischen Umsetzung aus, dass eine kleine Beleidigung sich in einer
       Art Schmetterlingseffekt über die Generationen hinweg zum Mordmotiv
       auswächst.
       
       Drehbuchautor und Regisseur Niki Stein hat so viel Stoff in diesen Film
       gepackt, dass es für eine ganze Telenovela-Staffel reichen würde. Es ist,
       als ob die Großartigkeit der Berge die Filmemacher so eingeschüchtert
       hätte, dass sie dem Eindruck erlegen sind, die Geschichte, die sie
       eigentlich erzählen wollten, sei zu klein für die großen Steine.
       
       ZDF, 20.15 Uhr, Pfingstmontag: „Der Tote im Eis“
       
       20 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lea Streisand
       
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