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       # taz.de -- Die Wahrheit: Visionen im Blödchenpark
       
       > In Berlin gerieren sich Freak-Kapitalisten am Spreeufer als Retter vor
       > der Gentrifizierung und verpopeln sich im Eso-Sprech.
       
   IMG Bild: Hart umkämpft: Das Berliner Spreeufer.
       
       Seit Jahren ist das Spreeufer in Berlin Zankapfel politischer
       Auseinandersetzungen. Die Initiative „Mediaspree versenken“ kämpft gegen
       die kommerzielle Verwertung des Ufers, bei einem Bürgerentscheid forderten
       87 Prozent der Anwohner ein „Spreeufer für alle“; zuletzt sorgte der Bau
       von Luxuslofts hinter der East Side Gallery für weltweites Aufsehen. Sogar
       Bademeisterdarsteller David Hasselhoff sah sich genötigt, für eine
       Songlänge das Whiskey-Glas wegzustellen und sich zu engagieren.
       
       Als Speerspitze des politischen Widerstands und Beispiel für eine
       alternative Nutzung des Ufers geriert sich dabei ausgerechnet des
       Großprojekt „Holzmarkt eG“. Auf 18.000 Quadratmetern wollen die ehemaligen
       Betreiber der Bar 25 – so viel Kapitalismuskritik muss sein – ein
       Restaurant, ein Hotel, ein Technologiezentrum für Start-ups und, als
       besondere Attraktion, ein Hüttendorf mit Bäcker, Bioladen und Sushi-Bistro
       eröffnen. Eine Art Einkaufspassage für Hippies und Hipster also, oder, wie
       es der Journalist Thomas Blum formuliert: „Berlin goes Arschlochhausen!“
       
       Damit das Ganze schön nachhaltig, nachbarschaftlich und naturnah
       daherkommt, gibt es außerdem einen 24-Stunden-Kindergarten, in dem die
       Kleinsten versorgt sind, während sich die Eltern das Hirn wegkoksen, und
       den sogenannten Möhrchenpark, in dem die Druffies ihrer
       Gartenzwergsehnsucht frönen können.
       
       Die Gestaltfantasien wurden den Freak-Kapitalisten dabei entweder durch
       Drogen oder den Allmächtigen höchstselbst zuteil: „Pläne wurden
       geschmiedet, Visionen empfangen“, heißt es im Eso-Sprech der
       Projektbroschüre: „Mit Übermut denke ich daran, wie diese Fläche neu, ganz
       anders, zu leben beginnen kann. Mit einem musikalischen Herzen, ohne Mauer,
       ein Dorf von Schaffenden geschaffen, an dem sich jeder finden kann, ob im
       Biergarten oder beim Friseur, im Kiosk oder in der Galerie, im Hotelzimmer
       oder auf der Showbühne. Das wär’s!“
       
       Genau. Richtig toll wäre das, sich beim schaffenden Friseur oder im
       mauerlosen Kiosk zu finden – denn wer weiß schon, wo er sich gerade
       befindet? Wie frei der Zugang zu diesem kleingeistigen Größenwahn
       tatsächlich ist, wird sich allerdings zeigen müssen. Schließlich wurde auch
       schon bei der Bar 25 dafür Sorge getragen, dass nur die Verstrahltesten und
       Verpeiltesten unter den Gästen Einlass fanden. Ein „Spreeufer für alle“
       also, die cool genug sind, um in den Club zu kommen; reich genug, um sich
       das Restaurant zu leisten, und bescheuert genug, das alles subversiv zu
       finden.
       
       Einen Vorgeschmack auf die zu erwartende Klientel bietet ein Video auf der
       [1][Homepage der Holzmarktmacher]. Hier berichtet eine sich als Katze
       gebärende Reporterin, die sich den Zuschauern als „die holzige Mieze“
       vorstellt, vom feierlichen Spatenstich am 1. Mai. „Ein revolutionäres
       Datum“, wie die Katze verkündet, deren Frisur an das World Trade Center
       kurz vor dem Einsturz des zweiten Turms erinnert. „Wir werden heute
       anfangen, die Stadt umzukrempeln, den Spaten ansetzen, ein Stück neue Stadt
       schaffen.“
       
       Und schon stürzt sie sich miauend zwischen Menschen in Hasenkostümen, die
       euphorisch verkünden, sie seien jetzt endlich zu Hause, sowie all die
       anderen Klappspaten, die auch sonst zu jeder Tankstellen-, Autohaus- und
       Shoppingmall-Eröffnung pilgern: Politiker, Investoren sowie Bolle-Berliner,
       die davon im Lokalteil ihrer Zeitung gelesen haben.
       
       Bezirksbürgermeister Franz Schulz ist da, der bereits für den Bau der
       Luxuslofts auf dem Grundstück an der East Side Gallery verantwortlich
       zeichnet, ebenso wie Staatssekretär a. D. Christoph von Knobelsdorff, der
       die enorme Ausstrahlung des Projekts lobt und die Wirkung, die es für
       „Berlins Ruf als Stadt der Kreativwirtschaft“ weltweit haben wird. Ganz aus
       dem Häuschen werden sie in New York, London und Tokio sein, wenn sie vom
       Möhrchenpark hören! Worum es genau geht, bringt einer der Investoren auf
       den Punkt: „Man kann sein Geld dümmer anlegen als so.“
       
       Mit anderen Worten: Der Holzmarkt ist das kreative Feigenblatt für die
       kapitalistische Verwertung des Stadtufers, die schrullige Nachbarschaft für
       betuchte Loftbewohner, die selber so reich und unsexy sind, dass sie sich
       an der Hauptstadt Berlin aufgeilen müssen.
       
       Doch zurück zum Klappspaten-Video, dessen Reporter-Muschi sich nicht
       entblödet, ihre Interviewpartner zu fragen, was die Menschen denn von den
       Katzen lernen können. Auf die naheliegendsten Antworten kommt dabei keiner:
       Nie zu viele Drogen nehmen, ins Klo pissen anstatt ans Ufer der Spree –
       und: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal die Schnauze halten!
       
       13 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://holzmarkteg.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Philip Meinhold
       
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