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       # taz.de -- Kolumne Darum: Krümel pflastern ihren Weg
       
       > Drei Schritte in die Wohnung, drei Dinge fallen zu Boden: Wenn es ums
       > Loslassen geht, können Eltern von Kindern viel lernen.
       
   IMG Bild: Auch die Krümel sagen: „Ich mach das alleine“.
       
       Loszulassen, so lehrt es uns der liberale Schweizer [1][Erziehungspapst
       Remo Largo], sei für Eltern eine Kunst. Denn das habe „eine stark
       emotionale Seite“, schreibt er in seinem Buch „Jugendjahre“. Wer Kinder
       hat, weiß, was gemeint ist: Jahrelang rackert man sich ab, damit es Kindern
       tags und nachts nicht an den Dingen fehlt, die sie selbst nicht beschaffen
       können.
       
       Und plötzlich heißt es: „Ich mach das alleine“, „dafür brauch ich dich
       nicht“, „das geht dich nichts an“. Das geht lange vor der Pubertät los, und
       wenn die Hormone dann alles verändern, kommen solche Sätze im Tempo eines
       Ferraris auf der Rennstrecke und mit der Häufigkeit von Blütenpollen im
       Frühling.
       
       Loslassen also. Von jetzt auf gleich. Das fällt schwer, darauf ist man kaum
       vorbereitet. Dabei ist es ganz einfach. Wenn wir unsere Kinder nur gut
       genug beobachten, können wir genau das von ihnen lernen – lange vor der
       Pubertät und während der Pubertät erst recht.
       
       Die Tochter kommt aus der Schule heim. Sie betritt die Wohnung mit exakt
       drei Schritten – und lässt alles fallen: Schulranzen, eine große
       Backformtüte (irgendeinen Anlass, Kuchen mit in die Schule zu nehmen, gibt
       es ja immer), Unterlagen, die ihr in der Schule mitgegeben wurden. Der
       Schulranzen knallt nach einem Schritt auf den Boden, die Unterlagen fliegen
       nach zwei Schritten quer durchs Wohnzimmer, die Backformtüte schließlich
       ergießt sich nach drei Schritten und einem Sturz aus einem Meter Höhe
       kurzerhand auf dem Teppich. Nun liegt sie dort, umgekippt, Krümel, Bleche
       und Messer bilden ein Muster, das uns unangenehm auffällt, dem Kind aber
       nicht.
       
       Es hat losgelassen und ist weitergegangen. So einfach geht das. Der Sohn,
       drei Jahre jünger, kann das auch. Getragene Kleidung, Spiel- und
       Schulsachen, Kissen, Decken und Kuscheltiere, Bücher und CDs, vor allem
       Verpackungen von Süßigkeiten – alles kann los- und fallengelassen werden,
       an jedem Ort, zu jeder Zeit, in jeder Lebensphase. Sich nachts auf dem Weg
       zur Toilette in einer Unterhose zu verheddern, in Eile über ein zentral
       geparktes Bobbycar zu stürzen, auf einem angekauten Lutschbonbon
       auszurutschen – die Unfälle bleiben, nur der Schmerz variiert.
       
       Uns fällt der zweite Aspekt aus Largos Buch „Jugendjahre“ ein. Wir Eltern
       sollen loslassen und Halt geben. Während wir knöcheltief durch den
       Bonbonverpackungsmorast waten und nicht wissen, welche kantigen oder
       zerbrechlichen Gegenstände (Spielzeugautos! Monopoly-Hotels! Handys!) dort
       noch liegen, gilt es aber erst mal, selbst Halt zu finden. Auch das geht
       einher – hier möchte man Largo ergänzen – mit „einer stark emotionalen
       Seite“. Anders, weniger pädagogisch gesagt mit einer unbändigen Wut,
       ständig und unfreiwillig zum Müllmann gemacht zu werden.
       
       So kann es nicht weitergehen, ein neuer Deal muss her. Er lautet: Für jede
       Süßigkeitenverpackung, die wir in der Wohnung finden, dürfen wir uns einmal
       aus dem schier unerschöpflichen Schoko-, Keks- und Bonbonarsenal der Kinder
       bedienen. Rache ist süß. Und Nervennahrung ist prima. Da fällt das
       Loslassen gleich viel leichter.
       
       13 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://de.wikipedia.org/wiki/Remo_H._Largo
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Maik Söhler
       
       ## TAGS
       
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