# taz.de -- Kolumne Aufgeschreckte Couchpotatoes: Es hat sich ausflaniert
> Einfach mal so durch die Stadt spazieren. Das ist nicht mehr angesagt.
> Heutzutage rasen selbst die Touristen als Kampfradler-Horde durch die
> Stadt.
IMG Bild: Fressfeinde des Flaneurs: Radlergruppe vor der East Side Gallery in Berlin.
Kampfradler, Hollandradfahrer, E-Biker, Fußgänger, Rollator-Schieber – das
ist die Hierarchie der Geschwindigkeit aus eigener Muskelkraft in unseren
Städten. Auf der Strecke bleibt dabei der ziellos umherstreifende Flaneur.
Er wurde verdrängt, ist nutzlos, möglicherweise arbeitslos. Weder
sportlich, noch effektiv. Ein Herumlungerer, Wegelagerer, der dem lieben
Herrgott die Zeit stiehlt, auf jeden Fall aber im Weg steht.
Mein Freund Janis beispielsweise. Stundenlang streift er durch die Stadt,
während seine Freunde joggen oder im Fitness-Center Gewichte heben,
beharrlich Längen schwimmen.
Janis lässt sich treiben. Kennt die Penner an der Ecke, weiß, welche
Prostituierte tagsüber wo steht, welches Café gerade geschlossen hat und wo
es seit Neuestem das beste Brot, die günstigsten Markenschuhe, die größte
Auswahl an biologischen Äpfeln zu kaufen gibt. Neuestes aus dem Mikrokosmos
der Großstadt. Amüsant, nebensächlich, manchmal informativ.
Janis ist ein Flaneur alter Schule, wenn er geduscht, gut angezogen und
aufgeräumt durch die Stadt zieht. Sein Fitnessprogramm behauptetet er. Ein
Fitness-Center hat er noch nie von innen gesehen.
War das Flanieren einst Passion und gehörte zum kultivierten Lebensstil
bürgerlicher Literaten, Intellektueller, Revoluzzer – so ist es inzwischen
völlig aus der Mode gekommen. Uncool. Nicht nur bei Janis’ Freunden. Auch
bei den vielen Touristen aus Madrid, Rom, Kopenhagen, die Berlin besuchen.
Sie erobern die Stadt längst nicht mehr zu Fuß, sondern mit dem Rad.
Massenhaft. Gnadenlos. Auf Bürgersteigen, Plätzen, in Parkanlagen oder vor
Straßencafés – überall Radler, gruppenweise, häufig unerprobt auf dem
Sattel, den Blick stur auf Sehenswürdigkeiten statt auf die Fahrbahn
gerichtet.
Kein Ort nirgends für Fußgänger. Nicht einmal in der U-Bahn. Auch dort
verstellen Radfahrer rücksichtslos den Weg, wenn es draußen zu regnen
anfängt.
„Geh doch wie eine Dame“, rief mir neulich Janis zu, als ich dick vermummt
wie eine Kugel aufs Rad stieg. Bedenkenswert. Führte der Flaneur einst in
gediegener Eleganz sein bestes Stöffchen aus, so ist der Radler von heute
auch im Outfit nur noch effektiv, praktisch, allwettertauglich, selten
schön anzuschauen.
Aerodynamik statt Stil, Fleece statt Samt, schweißnass statt blütenrein.
Der Fußgänger im Abseits, seine Genussvariante, der herausgeputzte Flaneur,
ein historisches Phänomen. Wir sind sportlich, mobil, fit, gesund,
zielstrebig, schnell, selten entspannt.
Apropos Kampfradler: Letzte Woche wurde Janis auf dem Bürgersteig von einem
Radler versehentlich angefahren. Knieverletzung. Nun zieht er noch
langsamer durch die Straßen, aber stilecht mit Stock.
11 May 2013
## AUTOREN
DIR Edith Kresta
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