URI: 
       # taz.de -- Nonne, Maler und Veteran gegen A-Waffen: „Fürchtet das Reich des Blutes“
       
       > Drei US-Bürger waren auf das Gelände eines Nuklearlabors vorgedrungen.
       > Wegen dieser Anti-Atomwaffen-Aktion drohen ihnen nun lange Haftstrafen.
       
   IMG Bild: Medienwirksame Protestler: Michael Walli (l.), Schwester Megan Rice (M.) und Greg Boertje-Obed.
       
       WASHINGTON taz | Eine 83-jährige Nonne, ein 57-jähriger Anstreicher und ein
       64-jähriger Vietnamkriegsveteran sind am Mittwochabend in Knoxville,
       Tennessee, wegen „Sabotage“ und „Sachbeschädigung“ schuldig gesprochen
       worden. Sie riskieren Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren.
       
       Das Trio war in der Nacht zum 28. Juli 2012 mit Kerzen, Gebeten und
       biblischen Slogans bis an die Mauer des Allerheiligsten im Atomwaffenstaat
       USA vorgedrungen. In der angeblich sicheren Anlage werden 400 Tonnen hoch
       angereichertes Uran gelagert – genug, um 10.000 Atombomben zu bestücken.
       Die Eindringlinge sprühten Slogans an die Mauer. Darunter: „Fürchtet das
       Reich des Blutes“.
       
       „Das Einzige, das ich bereue ist, dass ich 70 Jahre gewartet habe“, sagte
       die Nonne Megan Rice bei dem zweitägigen Prozess. Die lächelnde alte Dame
       ist der Medienstar des Trios geworden. Auch ihre beiden „Komplizen“ haben
       sich vor dem Schwurgericht umstandslos zu der Protestaktion gegen
       Atomwaffen bekannt. Vietnamveteran Michael Walli erklärte: „Ich kann
       niemals genug gegen den Krieg tun.“ Anstreicher Greg Boertje-Obed sprach
       von einem „symbolischen Akt“, um einen Bewusstwerdungsprozess in der
       Bevölkerung auszulösen.
       
       Die drei waren in der Nacht von Oak Ridge aus aufgebrochen. Ohne zu
       erwarten, dass sie es bis zu „Y-12“ schaffen würden. Bei den
       Veranstaltungen, auf denen sie in den vergangenen Monaten über ihre Aktion
       berichtet haben, sprachen sie von einem „Wunder“. Auf dem Weg zu „Y-12“
       mussten sie einen bewaldeten Bergrücken und offenes Land durchqueren, vier
       Maschendrahtzäune durchschneiden und mehrfach Halt machen, weil der Nonne
       die Puste ausging.
       
       ## Singen statt Terror
       
       Als sie im Morgengrauen an ihrem Ziel ankamen, hämmerten sie an die Mauer
       von „Y-12“ und sprühten Slogans. Als ein Wachmann kam, gingen sie singend
       auf ihn zu, überreichten ihm etwas zu essen und ergaben sich ihm. Der
       Wachmann hatte genügend gesunden Menschenverstand, um zu erkennen, dass sie
       nicht in terroristischer Absicht unterwegs waren. Er sollte später der
       Erste sein, der seinen Job verlor.
       
       Jeff Theodore, der Ankläger in Knoxville, sah eine „Gefährdung der
       nationalen Sicherheit der USA“ gegeben. Die zwölf Geschworenen folgten ihm
       in dieser Einschätzung. Die Region ist auch heute wirtschaftlich von der
       Atomwaffenherstellung und -wartung abhängig. Von der dem Energieministerium
       unterstellten National Nuclear Security Administration, bei der nach der
       Aktion ebenfalls Köpfe rollten, kam Manager Steve Erhart zum Gericht von
       Knoxville.
       
       Erhart beschrieb, die Aktion des Trios habe der internationalen
       Glaubwürdigkeit der Anlage geschadet, gab jedoch auch schwere
       Sicherheitsmängel zu, die die Aktion offengelegt hat. Inzwischen wurden in
       „Y-12“ neue Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Auch wurde ein neues
       privates Wachschutzunternehmen gesucht. Ann Wright, ehemalige Colonel in
       der US-Armee, die aus Protest gegen den Irakkrieg gekündigt hat, sprach vor
       Gericht als Zeugin der Verteidigung. „Es ist grauenerregend für uns alle“,
       sagte sie, „dass eine 82-jährige Nonne mit Herzleiden so weit vordringen
       konnte.“
       
       Der aus dem Zweiten Weltkrieg stammende Codename „Y-12“ bezeichnet die
       Urananreicherung zur Waffenproduktion. Zehntausende – vor allem Frauen –
       produzierten in der 1943 eröffneten, damals geheimen Fabrik in Oak Ridge
       das Uran-235 für die Atombombe in Hiroshima.
       
       ## Vergötterte Vernichtungswaffen
       
       Friedensaktivisten aus allen Ecken der USA – darunter zahlreiche
       Ordensleute – reisten zu dem Prozess an. Ein Jesuit dankte dem Trio für
       eine „wunderbare Aktion“. Eine Gläubige aus Baltimore sprach von der
       „Vergötterung von Massenvernichtungswaffen als humanitärer Sünde“.
       
       Als der Richter nach der Urteilsverkündung am Mittwochabend entscheidet,
       die Nonne, den Anstreicher und den Vietnamveteranen aus dem Gericht direkt
       in Gewahrsam zu bringen, singt das Publikum: „love, love, love, love“. Die
       Nonne, auf deren T-Shirt steht: „Ich wünschte, ich lebte ohne Krieg“,
       verbeugt sich vor den Unterstützern. Das exakte Strafmaß wird
       voraussichtlich in drei Monaten verkündet.
       
       9 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
       ## TAGS
       
   DIR Atomwaffen
   DIR Nuklearwaffen
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
   DIR Schwerpunkt Waffen in den USA
   DIR USA
   DIR Atombombe
   DIR Raketenabwehr
   DIR Nordkorea
   DIR Nordkorea
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR 84-Jährige verurteilt: Drei Jahre Haft für Friedensnonne
       
       Megan Rice muss ins Gefängnis. Mit zwei anderen Senioren war sie aus
       Protest gegen die US-Atomrüstung in eine Uranfabrik des Militärs
       eingedrungen.
       
   DIR Atombomben-Zwischenfall 1961: Lernen, der Bombe zu misstrauen
       
       Wegen einer Flugzeugpanne wäre 1961 eine US-Atombombe fast über North
       Carolina explodiert. Neue Dokumente zeigen wie ernst die Lage damals war.
       
   DIR Entlassungen bei US-Luftwaffe: Moral und Teamgeist verrottet
       
       Die US-Luftwaffe hat 17 Offiziere suspendiert, die für den Abschuss von
       Atomraketen verantwortlich waren. Es habe sich eine „Kultur der
       Gleichgültigkeit“ breitgemacht.
       
   DIR Debatte Nordkorea: Ein Anruf von Obama
       
       Kim Jong Un ist nicht der Irre von Pjöngjang. Er setzt auf eine
       Legitimierung seiner Herrschaft durch Verhandlungen mit den USA.
       
   DIR Kommentar Atomtest: Nordkorea testet China
       
       Die Machthaber in Pjöngjang lassen eher ihr Volk verhungern als dem Druck
       aus dem Westen nachzugeben. Nur China kann noch Nordkoreas Atompolitik
       beeinflussen.
       
   DIR Deutscher Atommüll in die USA: Strahlend um die halbe Welt
       
       1.000 Tonnen schwachradioaktiver Abfall aus Deutschland sollen im US-Staat
       Tennessee verbrannt werden. Kritiker haben in der Atomstadt Oak Ridge einen
       schweren Stand.