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       # taz.de -- 80 Jahre Bücherverbrennung: Der Vergessene
       
       > Der Autor Oskar Maria Graf war Sozialist, die Nazis hielten ihn für einen
       > der Ihren. Graf wehrte sich und forderte für seine Bücher „den
       > Scheiterhaufen“.
       
   IMG Bild: Der Deutsche Studentenbund organisierte vor 80 Jahren die Bücherverbrennung. Oskar Maria Graf hatte er vergessen.
       
       Das Programm war straff geplant. „19.45 Uhr: Akademische Feier der
       NS-Revolution der Universität. Ansprache der Rektoren: Professor Dr. Leo
       Ritter von Zumbusch und Professor Dr. Schachner (TH).“
       
       Es folgte die Festrede von Kultusminister Hans Schemm „über die Entwicklung
       und Umwandlung des vergangenen Maschinen- und Verstandeszeitalters in ein
       Seelen-, Gemüts- und Rassenzeitalter“. Nach dem Gesang „nationaler Lieder“
       gingen die Studenten und Professoren mit Fackeln durch das nächtliche
       München, vorbei an der geschmückten Feldherrenhalle, zum Königsplatz. Zum
       Scheiterhaufen.
       
       „Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und
       idealistische Lebenshaltung!“, lautete der erste der neun Feuersprüche, die
       deutsche Studenten in die Nacht des 10. Mai 1933 ausriefen, während sie die
       Schriften von Heinrich Mann, Emil Ludwig, Erich Maria Remarque und weiterer
       Autoren verbrannten.
       
       „Der Jude kann nur jüdisch denken. Schreibt er deutsch, dann lügt er“, hieß
       es in den „12 Thesen wider den undeutschen Geist“, mit denen die angehenden
       Akademiker ihren barbarischen Kulturbruch begründeten.
       
       ## Wilde Konzentrationslager und Provisorien der Gewalt
       
       Die reichsweite Aktion reihte sich ein in den Boykott gegen die deutschen
       Juden am 1. April 1933. Deutsche hatten an dem Tag die Schaufenster von
       Geschäften jüdischer Inhaber beschmiert. Die Bücherverbrennung fällt auch
       in die Zeit zu Beginn der NS-Diktatur, in der „wilde“ Konzentrationslager
       errichtet wurden, in denen politische Gegner eingesperrt, verprügelt,
       gefoltert und oft auch ermordet wurden.
       
       In dieser revolutionären Phase kurz nach der NS-Machtübernahme wurde noch
       nicht, wie bald darauf, nach Recht und Gesetz getötet und verbrannt.
       Provisorien der Gewalt gingen über Deutschland nieder. Auch die von dem
       Bibliothekar Wolfgang Herrmann zusammengestellte schwarze Liste zur
       Bücherverbrennung, erdacht, um die Bibliotheken zu „reinigen“, entbehrte
       der Vollständigkeit. Nicht alle später verfemten Autoren waren darin
       verzeichnet.
       
       Einer dieser Vergessenen wehrte sich. In Wien saß der linke bayerische
       Schriftsteller Oskar Maria Graf am 10. Mai 1933 in einer kleinen Wohnung in
       der Siebensterngasse 42 im Siebten Bezirk. Er hatte erst am 24. Februar den
       Zug nach Österreich bestiegen. Die Bildungszentrale der österreichischen
       Sozialdemokraten hatte ihn zu einer mehrwöchigen Vortragsreise eingeladen.
       
       Über ihre Gefährdung schien sich das Ehepaar Graf nicht recht im Klaren zu
       sein, denn der Autor ließ seine Frau Mirjam Sachs auf deren Wunsch hin in
       München zurück. Sie wollte unbedingt noch an den Reichstagswahlen am 10.
       März teilnehmen. Erst einen Tag nach der Wahlfarce – die Kommunisten waren
       da schon verboten – erreichte Mirjam auf Intervention der österreichischen
       Freunde Wien.
       
       ## Manuskripte und Bücher verschwanden
       
       In München wurde kurz darauf Grafs Wohnung von der Polizei versiegelt.
       Seine Manuskripte und Bücher verschwanden. Ein Bruder Grafs und ein Freund
       kamen für den Versuch, seine Habe zu retten, für vier Tage ins Gefängnis.
       
       In Wien erfuhr der 39-Jährige Graf wohl am 11. Mai von der
       Bücherverbrennung. Möglicherweise las er eine kurze Notiz in der
       Arbeiter-Zeitung über sich selbst, den „bayrischen Schriftsteller, der den
       Sozialdemokraten sehr nahesteht“. Was dort berichtet wurde, muss den Autor
       des expressionistischen Werks „Wir sind Gefangene“ in Empörung versetzt
       haben.
       
       Da stand: „Nun scheint aber so ein ’Vorkämpfer für den deutschen Geist‘,
       wie sie sich verstehen, in den Werken Grafs geblättert und sich an seiner
       urwüchsigen Schreibweise erbaut zu haben. Flugs setzte er den Verfemten
       daher auf die Liste ’empfehlenswerter Bücher‘.“
       
       ## „Diese Unehre habe ich nicht verdient!“
       
       Am 12. Mai 1933 antwortete Graf darauf, dass die Nazis ihn und seine Bücher
       nicht verboten hatten. Der Text erschien wiederum in der Arbeiter-Zeitung.
       Sein Titel lautete „Verbrennt mich!“
       
       „Vergebens frage ich mich, womit ich diese Schmach verdient habe“, schrieb
       Graf, und kommt zu dem Schluss: „Diese Unehre habe ich nicht verdient! Nach
       meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu
       verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens
       überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen
       Hirne der braunen Mordbanden gelangen.“
       
       Während sich Millionen Deutsche darum bemühten, den neuen Machthabern
       gefällig zu sein und hunderttausende Frauen und Männer in die NSDAP
       drängten, um Macht und Karriere bemüht, fand sich mit Oskar Maria Graf ein
       Einziger, der just das Gegenteil verlangte – seinen Ausschluss von diesem
       „barbarischen Nationalismus“.
       
       Tatsächlich hatte Graf, der sein Bayerntum bei Veranstaltungen gerne mit
       dem Tragen von Lederhosen unterstrich, mit den „Kalendergeschichten“ auch
       Werke geschaffen, die bei flüchtiger Lektüre den Eindruck erwecken konnten,
       es handele sich um harmlose Schnurren aus Oberbayern.
       
       ## Die Auflage der Werke
       
       Zumindest lässt sich kein anderer Grund dafür finden, warum die Nazis den
       Sozialisten und Internationalisten anfangs als einen der Ihren
       betrachteten. Nun aber stellte sich gar heraus, dass selbst Grafs Appell
       „Verbrennt mich!“ nicht ausreichte, um seine Bücher in Deutschland, wie
       erwünscht, aus dem Verkehr zu ziehen.
       
       Als Reaktion erschien in den Münchner Neuesten Nachrichten zunächst eine
       Glosse, dessen Autor schwadronierte, man habe die Werke Grafs für „viel zu
       unbedeutend gehalten, als dass wir ihn deshalb auf die schwarze Liste
       gesetzt hätten“ – eine angesichts der hohen Auflagen, der sich der
       Schriftsteller erfreute, mehr als gewagte Behauptung.
       
       Der Nazi-Text endete so: „Aber wenn der Herr Dichter durchaus will, nun wir
       sind gar nicht so und pflegen Privatwünsche in diesem Falle sehr wohl zu
       berücksichtigen. Also, hinein mit ihm ins Feuer!“ Graf selbst schrieb
       später, seine Werke seien mit Verspätung in der Aula der Münchner
       Universität verbrannt worden. Doch das war vermutlich ein Irrtum.
       
       ## Graf beschwert sich, dass er noch nicht verboten ist
       
       Der gleichgeschaltete Schutzverband Deutscher Schriftsteller schloss sein
       Mitglied Oskar Maria Graf am 5. Juli 1933 unter Verweis auf seinen Artikel
       „Verbrennt mich!“ aus. Graf konnte es nicht wagen, nach Deutschland
       zurückzukehren und blieb zunächst in Österreich.
       
       Noch Anfang Oktober musste sich der Schriftsteller gegen seine
       Vereinnahmung wehren. Da hatte der P.E.N.-Club in Berlin – dem Graf gar
       nicht angehörte – bei seinem „sehr geehrten“ Mitglied um die Zahlung des
       Jahresbeitrags von 20 Mark gebeten. „Ich bin von Ihnen und Ihresgleichen
       nicht ’sehr geehrt‘ und möchte mich auch gefälligst dagegen verwahren“,
       reagierte der exilierte Schriftsteller.
       
       Im November beklagte er sich bei der Reichsstelle zur Förderung des
       deutschen Schrifttums, dass zwei seiner Bücher, die „Kalendergeschichten“
       und „Wunderbare Menschen“, über eine Münchner Arbeiterbühne, immer noch
       nicht verboten seien. Noch am 17.
       
       November 1933 erhielt Graf das ungebetene Angebot, an einem Werk über das
       bäuerliche alte Germanien mitzuwirken – im Auftrag des Reichsministeriums
       für Volksaufklärung und Propaganda. Das Beispiel Oskar Maria Graf zeigt,
       dass das Nazi-Regime in seiner Anfangszeit kein allwissendes System der
       literarischen Gesinnungsprüfung auf die Beine gestellt hatte. Im Gegenteil.
       
       ## Der Verkauf wurde verboten
       
       Die unterschiedlichsten NS-Büros von Goebbels’ Propagandaministerium über
       das Amt für die Schrifttumspflege beim Beauftragten des Führers für die
       gesamte weltanschauliche Schulung der NSDAP / Reichsstelle zur Förderung
       des deutschen Schrifttums bis zum Reichsministerium für Wissenschaft,
       Erziehung und Volksbildung fochten untereinander um die Deutungshoheit
       deutscher Literatur.
       
       Die deutschen Schriftsteller unterlagen bald allumfassender Kontrolle. Wer
       nicht als Mitglied der Reichsschrifttumskammer zugelassen wurde, der
       erhielt ein Berufsverbot. Für Oskar Maria Graf war das ohne Bedeutung. Die
       Nazis begriffen, dass sie mit ihm einen erbitterten Gegner vor sich hatten.
       Der Verkauf seiner Bücher wurde verboten. Am 24. März 1934 wurde der
       Schriftsteller aus dem Deutschen Reich ausgebürgert.
       
       Graf mahnte 1943 aus dem US-amerikanischen Exil: „Dieser 10. Mai – ewiges
       Schandmal nazistischer Barbarei! – müsste in Zukunft auf der ganzen
       gesitteten Welt in sein Gegenteil verwandelt werden, in einen Tag des
       Nie-wieder-Vergessens und in einen Tag der Manifestation für die Freiheit
       des Geistes!“ Oskar Maria Graf (1894–1967) hat nie wieder in Deutschland
       seinen Wohnsitz genommen.
       
       ## Die Werkausgabe Oskar Maria Graf ist im List Verlag erschienen
       
       10 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Hillenbrand
       
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