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       # taz.de -- Berliner Clubbetreiber über Clubsterben: „Es gibt zu viele Clubs“
       
       > Das Gespenst des Clubsterbens geht um in Berlin. Auch Horst Krzbrg traf
       > es vor kurzem. Dessen Chef Johnnie Stieler meint, es gibt zu viele Clubs.
       
   IMG Bild: Lieber musikalisch informiertes als Feierpublikum: Horst Krzbrg.
       
       taz: Herr Stieler, vor zweieinhalb Monaten mussten Sie Ihren Club Horst
       Krzbrg ziemlich überraschend schließen. Jetzt, mit einigem Abstand, die
       Frage: Woran lag’s? 
       
       Johnnie Stieler: Als wir vor fünf Jahren angefangen haben mit dem Club, gab
       es in Berlin an einem Freitag oder einem Samstag vielleicht 30 bis 40
       Partys. Das hat sich inzwischen locker verdoppelt, und dafür gibt es
       einfach nicht genug Publikum. In Berlin gibt es im Verhältnis sicher zehn
       Mal so viele Locations wie in London.
       
       Alle reden vom Berliner Clubsterben. Sie nicht? 
       
       Es gibt zu viele Clubs in Berlin. Das Gegenteil vom Clubsterben ist der
       Fall. Letztlich haben uns all die neuen Galerien mit Stehausschank in
       Neukölln oder Kreuzberg die Butter vom Brot genommen. Da zahlt man kaum
       Eintritt und hat trotzdem einen tollen Abend. Es ist nichts Negatives
       daran, wenn man eine Galerie mit Stehausschank betreibt und Partys als
       Dauervernissage veranstaltet. Aber die Frage ist, wo die Leute für all
       diese Läden herkommen sollen.
       
       Aber Berlin ist doch voller partywilliger Menschen? 
       
       Clubs wie das Horst richten sich eher an ein musikalisch fachkundiges
       Publikum, und da muss man feststellen, dass dieses begonnen hat, Berlin
       wieder zu verlassen. Man muss ja unterscheiden zwischen Party, Feier und
       Rave. Feiern ist etwas für Leute, die sich irgendwo betrinken und mit
       Konfetti bewerfen wollen und denen die Musik eher egal ist. Feierpublikum
       wollten wir im Horst nicht so gern haben. Horst Krzbrg hat Leute angezogen,
       die Interesse an einem echten Club haben.
       
       Und Raver, die mit großem Eifer bestimmte DJs sehen wollen. Aber dieses
       Publikum, das sich auch aus Profis, wie Musikjournalisten und Musikern,
       rekrutiert hat, die hier leben, verlässt Berlin gerade wieder. Viele
       Engländer, die unser Stammpublikum gebildet haben, sind zurück nach England
       gezogen. Der Berlinlack ist einfach wieder ein wenig ab. Früher hat das
       Bier 1,50 gekostet, die Miete 200 bis 300 Euro, heute ist es bei der Masse
       an Studenten aussichtslos, überhaupt ein günstiges Zimmer zu bekommen.
       
       Sie würden also sagen, die Berliner Clubszene zersplittert sich zunehmend,
       und das werden die kuratierten Clubs noch stärker zu spüren bekommen? 
       
       Früher war Musik an Orte gebunden. Im Tresor lief Tresor-Techno, im
       ehemaligen Planet lief House. Es war kaum so, dass es genremäßig
       übergreifende Club gegeben hätte. So haben sich Clubs immer über bestimmte
       Musikrichtungen qualifiziert. Clubs sind ja eigentlich Orte, die bestimmte
       Gemeinschaften bilden und von bestimmten Gemeinschaften gebildet werden,die
       einen bestimmten Sound hören. Heute aber ist Musik immer und überall
       verfügbar. Musik hat man auf dem Handy dabei oder auf dem Computer, man
       muss nicht mehr an einen bestimmten Ort gehen, um eine bestimmte Musik zu
       hören.
       
       Da stellt sich schon die Frage, ob man sich nicht mit ein paar Mixen von
       Soundcloud, oder ein paar tollen Sets auf Mixcloud oder Boilerroom auch
       einen schönen Abend mit Freunden machen kann, und sei es in der eigenen
       Wohnung. Ich glaube, es geht sowieso gerade wieder zurück in Richtung
       Cocooning in der eigenen Wohnung. Da kann man sich auch daneben benehmen,
       und der Alkohol ist nicht so teuer. Man muss nicht Taxi fahren oder damit
       rechnen, nicht eingelassen zu werden, womit ab einem bestimmten Alter und
       ohne Röhrenjeans schon mal zu rechnen ist.
       
       Das Watergate oder das Berghain, klassische Clubs mit bestimmten
       musikalischen Ausrichtungen, boomen aber doch nach wie vor. 
       
       Ja, aber da ist dann nicht mehr viel Platz für anderes. Bei uns kam
       natürlich als Problem noch dazu, dass wir weit hinter der Peripherie
       gelegen waren, was die Clubwelt angeht. Deren Nabel ist inzwischen
       Friedrichshain und Kreuzberg, und wenn man dann auf der falschen Seite vom
       Landwehrkanal einen Club aufmacht, liegt der schon am Arsch der Welt.
       
       Wie wird es weitergehen mit der Partyhauptstadt Berlin? 
       
       Berlin ist immer noch der Nabel der elektronischen Tanzkultur, aber es ist
       nicht mehr so schillernd. Die Stadt hat es nicht verstanden, den Kreativen
       hier einen Platz zu geben. Für die interessiert sich niemand. Was die im
       Senat wollen, ist Feierei, massenhaft Easyjet-Fatzkes, die in Schönefeld
       aus dem Flugzeug fallen, in dieses am Sonntag wieder reinkullern und
       dazwischen 300 bis 400 Euro ausgegeben haben.
       
       Um was es bei der Kreativkultur der Clubs geht, haben die beim Senat nie
       verstanden. Auch mal Dinge zu erleichtern, vielleicht mal englischsprachige
       Sachbearbeiter in den Ämtern einstellen, das passiert alles nicht. Diese
       eher unbeachteten Dinge im Leben der Kreativen, darum kümmert sich hier
       niemand.
       
       DJs, Produzenten und Raver, die Ahnung von der Musik haben, verlassen die
       Stadt, dafür ziehen die Betreiber von noch mehr Feiergalerien her? 
       
       Gerade ist es so, dass jeden Tag Leute in Tegel oder Schönefeld landen, die
       gerade ihr Bankkonto und ihren Bausparvertrag aufgelöst haben, um hier in
       Berlin einen Club aufzubauen oder eine Galerie. Solche überaus engagierte
       Menschen bewerben sich nach wie vor bei uns – die haben gar nicht
       mitbekommen, dass es den Laden nicht mehr gibt – und sagen, sie haben alle
       Zelte hinter sich abgebrochen und wollen sich der elektronischen Musik in
       Berlin verschreiben. Sie fragen etwa, ob sie bei uns an der Garderobe einen
       Job bekommen können, um dann irgendwann einen Club mitzubetreiben.
       
       Die meisten hauen im zweiten Winter wieder ab, wenn sie sich daran
       erinnern, dass Sozialabgaben zu bezahlen sind und dass es so etwas wie das
       Finanzamt gibt. Dann kommt die nächste Generation. Eine gewisse Zeit lang
       konnte man sich als Expat durch Agenturen und das Nightlife hangeln und
       dabei einen schnellen Euro machen, denn die Berliner Szene- und
       Kreativwirtschaft brauchte den international und professionell versierten
       Szene-Jet-Setter.
       
       Das ist heute nicht mehr so einfach. Die Geschäftsfelder werden eingedampft
       und konzentriert. Da ist Personal eher lästig, und da es sich ohnehin
       zumeist um keine echten Beschäftigungsverhältnisse gehandelt hat: Kein
       Problem. Und so zieht der Treck eben weiter. Es bleiben die, die den
       mühsamen Teil von Berlin verkraften können, die Betriebswirtschaft nicht
       als Lebensmittelpunkt begreifen und eine Mission haben. Und das ist auch
       gut so.
       
       7 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Hartmann
       
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