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       # taz.de -- US-Schießkurs für Frauen: Die Wumme fürs Handtäschchen
       
       > Unsere Autorin durfte offiziell nicht an einem Schießkurs für Frauen
       > teilnehmen. Mitmachen wollte sie trotzdem. Undercover mit einer Glock 19.
       
   IMG Bild: Frau mit Beretta bei einer Waffenausstellung der NRA in Texas, im Mai 2013.
       
       FAIRFAX taz | „Fotografieren verboten“, steht an der Türe. Im Inneren
       tragen die Empfangsdamen Pistolen am Holster. Der langgestreckte verglaste
       Raum hinter ihnen sieht aus wie eine Bowlingbahn, aber statt der Kegel gibt
       es Papierbögen, auf denen Konturen von menschlichen Oberkörpern gezeichnet
       sind. Am Schwarzen Brett werden gebrauchte „Bushmaster“ und „Sig Sauer“
       angeboten – die Schnellfeuerwaffen von den Herstellern, die auch die Mörder
       im Kino von Aurora, in dem Tempel von Oak Creek und in der Grundschule von
       Newtown benutzt haben.
       
       Der Schießkurs, an dem ich teilnehmen werde, ist „Ladies Only“. Theorie am
       ersten Abend. Schießen am zweiten. 11 Teilnehmerinnen sind gekommen. Die
       Jüngste von uns darf mit 19 Jahren noch nicht legal Bier trinken. Die
       Älteste ist seit mehr als einem Jahrzehnt in Rente.
       
       Treffpunkt ist die Schießanlage der [1][National Rifle Association (NRA)]
       in Fairfax. Sie ist neben der Tiefgarage untergebracht. Aus den
       darüberliegenden Etagen des rundum schwarz verglasten Büroblocks am Highway
       66 organisiert die NRA ihr Lobbying, mit dem sie den Kongress der USA
       erfolgreich vor sich hertreibt. An den Wänden unseres Seminarraums hängen
       ausgestopfte Bären- und Hirschköpfe.
       
       Aber für das Jagen interessieren sich die Teilnehmerinnen nicht. Sie sind
       um ihre private Sicherheit besorgt. Die meisten haben Kinder. Leben in
       Einfamilienhäusern im Grünen. Eine hat einen Mann mit einem Safe voller
       Schusswaffen. „Er ist ein Sammler“, sagt sie, „hat mir auch schon mehrere
       Pistolen geschenkt.“ Eine andere ist als Kind von ihrem Polizisten-Vater an
       Waffen herangeführt worden.
       
       ## "Weigere dich, ein Opfer zu sein!"
       
       Mehrere Teilnehmerinnen sind mit schmalen Hartschalenköfferchen gekommen.
       Darin liegen Pistolen in Schaumstoff gebettet. Wir anderen, die keine
       eigene Waffe haben, werden eine ausleihen. Vor Kursbeginn untersuchen
       Empfangsdamen die Köfferchen. Außerhalb des Schießraumes dürfen Waffen
       nicht geladen sein. „Ist das leer?“, werde ich gefragt und soll von hinten
       durch einen zum Boden gerichteten Pistolenlauf schauen. Ich sehe nichts.
       
       „Weigere dich, ein Opfer zu sein“, lautet ein an Frauen gerichteter
       Werbeslogan der NRA. Die USA sind das am stärksten bewaffnete Land der
       Welt. Sie haben fast genauso viele Schusswaffen in privater Hand wie
       Einwohner. Aber bislang besitzen nur 15 Prozent der Frauen in den USA
       Schusswaffen. Das macht den weiblichen Teil der Bevölkerung zu der Hoffnung
       für die Branche. Der „Ladies Only“-Kursus ist Teil einer Charmeoffensive.
       In Zeiten nach tödlichen Schießereien ist der Zulauf zu diesen Kursen immer
       besonders groß.
       
       „Schießen ist so einfach wie Autofahren“, sagt unsere Ausbilderin, „am
       Anfang verspannen sich ein wenig die Schultern. Aber das geht schnell
       vorbei.“ Wir stehen mit hüftweit aufgestellten Beinen, leicht angewinkelten
       Knien, ganz leicht vorgebeugtem Oberkörper und nach vorne ausgestreckten
       Armen in einer Reihe vor der Wand. Mein rechter Zeigefinger liegt
       ausgestreckt am Lauf einer Pistole, darunter greifen die anderen drei
       rechten Finger von vorne um den Pistolengriff. Die vier Finger meiner
       linken Hand wickeln sich von links über die rechten Finger und den Griff.
       Meine beiden Daumen liegen übereinander auf der linken Seite der Pistole.
       Dann schiebe ich mit dem vordersten Glied meines rechten Zeigefingers den
       Auslöser bis zum Widerstand. „Gute Position“, lobt die Ausbilderin eine
       Teilnehmerin.
       
       Die Anatomie von Frauen ist wie für das Schießen geschaffen, erklärt sie.
       Der Grund: Wir haben mehr Gewicht in der unteren Körperhälfte. Das gibt
       Stabilität. Unsere Ausbilderin ist ein paar Minuten zu spät gekommen. Und
       entschuldigt sich mit den beiden Bomben, die am Nachmittag in der
       Zielgeraden des Boston Marathons explodiert sind.
       
       ## Unter der Jacke kommt ein Lederholster zum Vorschein
       
       Sie ist eine drahtige, kleine Frau. Bei der Ankunft in unserem Seminarraum
       zieht sie zuerst ihre Jacke aus. Darunter kommt eine Pistole in einem
       Lederholster zum Vorschein, die an einem Gürtel befestigt ist und sich an
       ihre Taille schmiegt. Damit sind wir bereits mitten im Thema. Mit dem
       Fachvokabular sind die meisten Kursteilnehmerinnen längst vertraut. Aber
       unsere Ausbilderin geht über den Jargon hinaus. Sie sagt „Ammo“ für
       Munition und nennt ihre Pistole: „meine Semiauto“.
       
       Im Prinzip gilt die Regel, dass „eine Schusswaffe, die zu Hause liegt,
       nicht hilft, wenn du sie brauchst“, sagt unsere Ausbilderin. Sie selbst
       besitzt offenbar ein ganzes Arsenal. Und sie scheint sicher zu sein, dass
       wir ihr bald auf diesem Weg folgen werden. Denn verschiedene Orte – zu
       Hause, im Coffeeshop, im nachts geöffneten Supermarkt – verlangten nach
       verschiedenen Waffen.
       
       Eine Frage muss jede von uns mit sich selbst klären: „Kann ich töten?“ Wir
       sollen sorgfältig in uns hineinhorchen. Falls wir die Frage mit „ja“
       beantworten, wird sich der Rest fast von selbst ergeben. Wir werden einen
       Antrag auf verdecktes Waffentragen stellen. Wir werden eine Waffe kaufen.
       Und wir werden entscheiden, wie wir sie tragen wollen. Unsere Ausbilderin
       ist kein Fan von Pistolenholstern, die am BH, direkt auf dem Bauchband, am
       Oberschenkel oder am Fußgelenk befestigt sind: „weil der Zugriff
       umständlich ist“. Aber sie führt sie uns alle vor. Holster, die im
       Hoseninneren getragen werden, hält sie für eher männertauglich: „weil sie
       auftragen“.
       
       ## Der richtige Fummel
       
       Und falls wir eine Handtasche mit einem Mittelfach für eine Pistole
       anschaffen wollen, sollen wir darauf achten, dass es eine harte Schale hat,
       damit wir uns beim Griff nach der Waffe nicht verheddern. Schließlich muss
       es schnell gehen, wenn wir sie brauchen. Vermutlich werden wir auch unsere
       Kleidung dem neuen Lebensstil anpassen. Möglicherweise kaufen wir unsere
       Kleider künftig eine Nummer größer und entscheiden uns für festeren Stoff,
       weil sich Pistolen darunter nicht abzeichnen. Lediglich ein Outfit hält
       unsere Ausbilderin für schwer vereinbar mit der Pistole: Das hautenge,
       kleine Schwarze. „Wenn bei einer Party Schusswaffen nötig sind, würde ich
       erwägen, nicht hinzugehen“, sagt sie.
       
       Wir sitzen im Halbkreis auf Stühlen vor ihr, während sie vor uns am Boden
       kniet und ihre „Semiauto“ in Windeseile in vier Einzelteile zerlegt. Uns
       zeigt, wie wir sie mit Watte, Bürsten und Q-Tipps reinigen können. Und uns
       versichert, dass wir alle anderen Wartungsarbeiten ohne Gesichtsverlust den
       Fachleuten überlassen können: „dafür sind die da“. Mehrere Teilnehmerinnen
       klatschen, als sie sehen, wie einfach das Zerlegen ist.
       
       Die Stimmung ist wie bei einem Tupperware-Treffen. Ich erfahre die Namen
       von besonders guten Accessoires-Herstellern. Und die Adressen der besten
       Waffenhändler in Virginia. Es sind Geschäfte, die Frauen genauso wie Männer
       behandeln. Anderswo würde unsere Ausbilderin niemals einkaufen.
       
       ## Schusswaffe möglichst hörbar laden
       
       Wenige Tage vor dem Kurs hat ein vierjähriger Junge beim Spiel im
       Elternhaus einen Sechsjährigen erschossen. Das in den USA nicht seltene
       Drama hat Schlagzeilen gemacht. Aber in unserem Kurs kommt es nicht vor.
       Wir befassen uns nicht mit Politik oder Moral. Wir lernen schießen.
       Techniken.
       
       Zum Thema Gefahren sagt die Ausbilderin einen Satz aus dem NRA-Repertoire.
       Der ist so bekannt, dass mehrere Teilnehmerinnen ihn laut mitsprechen:
       „Schusswaffen töten nicht – Menschen töten“. Kinder und Schusswaffen sind
       für sie kein Problem. Immer vorausgesetzt, die Eltern machen die Erziehung
       richtig. Vor allem müssen sie Kindern beibringen, dass sie sich von Waffen
       fernhalten. Möglichst schon im Krippenalter. Zusätzlich können sie ihre
       Kleinen ab drei in „sichere Schusswaffen“-Kurse der NRA schicken.
       
       Etwas länger als mit Kindern halten wir uns mit der Frage auf: Was tun,
       wenn der Ernstfall kommt? Unsere Ausbilderin empfiehlt die Aufbewahrung von
       Schusswaffen in einem Safe im Schlafzimmer. Wenn wir „den Kriminellen“
       hören, sollen wir drei Dinge tun: „911“ wählen und die Polizei
       verständigen. Die Schusswaffe aus dem Safe holen und laden – und zwar
       möglichst laut hörbar. Anschließend rufen wir dem Kriminellen zu, dass wir
       bewaffnet sind und schießen. „Das ist auch eine rechtliche Absicherung“,
       rät unsere Ausbilderin. Eine Teilnehmerin fügt hinzu, dass eine solche
       Vorwarnung in Texas unnötig ist, wenn jemand unerlaubt Privatbesitz
       betritt.
       
       ## Ich kriege eine Glock 19
       
       Das Waffenrecht in den USA ist eine komplizierte Sache. Jeder Bundesstaat
       hat unterschiedliche Gesetze. Und überall versucht die NRA, die Grenzen zu
       ihren Gunsten zu verschieben.
       
       Tags drauf händigt mir eine der bewaffneten Damen am Empfang Ohrschützer,
       eine Schutzbrille und eine halbautomatische Pistole aus. Ich bekomme eine
       Glock 19. Die Dame rät mir zum Kauf einer Großpackung Patronen: „Das ist
       günstiger.“ Aber ich bleibe bei 50 Stück. Für diesen praktischen Teil des
       Kurses wird jede von uns von einer Lehrerin in die Schießbox begleitet. Ich
       drücke Patronen ins Magazin. Meine Lehrerin schickt die Zielscheibe per
       Knopfdruck auf die Bahn vor mir. Ich gebe meine ersten Schüsse im Sitzen
       ab.
       
       Die Pistole wird durch einen Aufsetzer auf dem Tisch vor mir gestützt. Ich
       richte Kimme und Korn aus. Ziele. Treffe. Meine Lehrerin nimmt den Tisch
       weg. Ich stehe an der roten Linie und schieße. Anfangs bin ich benommen von
       jedem Knall. Und ich bin schockiert darüber, wie einfach es ist. Dann
       ballere ich eine kleine Serie. Wieder gehen alle Schüsse in die beiden
       innersten Kreise.
       
       Zum Schluss bekomme ich ein Zertifikat, mit dem ich eine Genehmigung für
       verstecktes Pistolentragen in Virginia beantragen kann. Und die Frage, ob
       ich NRA-Mitglied werden möchte. Meine Lehrerin umrandet meine Einschüsse
       mit einem breiten roten Filzer. „Sehr gut“, sagt sie und überreicht mir die
       durchlöcherte menschliche Zielscheibe als Souvenir: „Du solltest wieder
       kommen.“
       
       Als Journalistin an einem Schießkurs teilzunehmen, gestaltete sich als
       äußerst schwierig. Die NRA reagierte gar nicht erst auf die Anfrage der
       taz. Deswegen meldet sich unsere Reporterin als gewöhnliche Teilnehmerin
       an. Weil sie dort inkognito war, kann sie nicht namentlich zitieren.
       
       8 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://home.nra.org/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
       
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