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       # taz.de -- Neues Album von Ghostpoet: Exzentriker auf Dampferfahrt
       
       > Der Londoner Musiker Ghostpoet mischt die britische Musikszene auf. Mit
       > dem neuen Album „Some Say I So I Say Light“ ist er auf Deutschlandtour.
       
   IMG Bild: Nicht Rapper, sondern Klangkünstler: der Londoner Musiker Ghostpoet.
       
       Als im Jahr 1878 der überfüllte Vergnügungsdampfer „Princess Alice“ mit
       einem Kohlefrachter zusammenstieß, verloren über 600 Menschen ihr Leben –
       sie ertranken in der Themse. Dass auch heute noch in dem 374 Kilometer
       langen Fluss, der London mit der Nordsee verbindet, durchschnittlich eine
       Leiche pro Woche gefunden wird, ist nur wenigen bekannt.
       
       Der Londoner Musiker Ghostpoet besingt die Themse in „Them Waters“. Der
       Song bringt den finsteren Charme seines zweiten Albums, „Some Say I So I
       Say Light“, am eindringlichsten zum Ausdruck: Das Grauen des Wassers wird
       zum Sinnbild für die Befreiung des Großstadtmenschen an Land vom
       zerfressenden Alltag – dem ständigen Leistungsdruck, dem Konsumzwang. Dazu
       treibt immerzu der gleiche schwerfällige Synthesizer hartnäckig im Loop.
       
       „Sicher hat mich London irgendwie beeinflusst“, erzählt Obaro Ejimiwe, also
       Ghostpoet, im Interview. „Aber diese Platte hätte auch in irgendeiner
       anderen Stadt entstehen können. London bedeutet mir nichts. Ich begreife
       mich als Weltbürger.“
       
       ## Kindheit in der englischen Industriestadt
       
       Der 30-jährige Sohn nigerianischer und dominikanischer Einwanderer ist in
       der englischen Industriestadt Coventry aufgewachsen. Vor zwei Jahren setzte
       er als Ghostpoet einen neuen Akzent in der britischen Musikszene.
       
       Sein introvertiertes Debütalbum „Peanut Butter Blues and Melancholy Jam“
       hatte er nachts in seinem Schlafzimmer aufgenommen, während er tagsüber im
       Callcenter jobbte.
       
       Elektronische Produktionen und ein melodisches Gemurmel, das sich mal in
       Gesang, mal in Spoken Word verwandelt, ergaben eine unkategorisierbare,
       lethargische Nachtmusik. Das Publikum neigt dazu, den schwarzen Mann zum
       Rapper zu machen, Ghostpoet aber sieht sich nicht so: „Ich bin ein
       Künstler, der Klänge erzeugt. Mehr nicht.“
       
       ## Musikalischer Startpunkt: ein Grime-Kollektiv
       
       Obwohl Ghostpoet, dessen musikalischer Weg in einem Grime-Kollektiv begann,
       nach dem unerwarteten Erfolg des Debüts die Freiheit hatte, das neue Album
       in einem professionellen Studio zu produzieren, klingt es – bis auf wenige
       erhellende Ausnahmen – noch düsterer als sein Vorgänger und – zur Freude
       der Fans – ebenso exzentrisch.
       
       Vertrauliche Reflexionen von der Bahnsteigbank über Liebe und Leben sind
       die Stärken des Poeten, der immerzu stoischer Beobachter bleibt, selbst
       wenn es um ihn geht: „Meine Person hat durchaus voyeuristische Züge. Ich
       finde es sehr spannend, wie unterschiedlich zwischenmenschliche Beziehungen
       sein können, wie unterschiedlich die Emotionen sind, die aus dem ganz
       Alltäglichen entstehen.“
       
       Durch den Filter des Melancholikers spinnen sich bisweilen konfuse
       Zusammenhänge. In „MSI musmiD“ (rückwärts: Dimsum ISM) geht es um die
       Freude, die kantonesische Teigtaschen und Nudeln erwecken können, wenn sie
       nicht gerade miteinander streiten.
       
       Dann wiederum gibt es Herzerweichendes in der an The XX erinnernden Ballade
       „The Meltdown“, die von Sängerin Woodpecker Wooliams unterstützt wird.
       
       ## Ausprobieren, was man nicht kennt
       
       „Ich habe mich diesmal dazu gedrängt, Dinge auszuprobieren, die mir bis
       dato fremd waren“, sagt Ghostpoet. „Dazu gehörte die Zusammenarbeit mit
       einem Koproduzenten und technischem Equipment, das ich nie zuvor gesehen
       hatte.“ Richard Formby, der auch schon für Produktionen von Egyptian Hip
       Hop verantwortlich war, beherrsche die Kunst des analogen Produzierens wie
       kein anderer.
       
       Von ihm habe er viel lernen können. In der Tat scheint Formby Ghostpoets
       Klangwelt zu verstehen, er hat das Distinktive des ersten Albums – die
       Graustufen, das Wechselspiel zwischen Schwermut und Einklang – weiter
       herausgearbeitet und mit neuen Welten und anderen Nonkonformisten
       verknüpft.
       
       Für das organische Up-tempo-Stück „Plastic Bag Brain“ etwa holte er Tony
       Allen – den Afrobeat-Begründer und Kopf der legendären Band Africa ’70 –
       ans Schlagzeug. In Kombination mit den flatterigen Riffs des Gitarristen
       Dave Okumu und einem ungewohnt heiteren Ghostpoet erhebt sich der Song als
       helles Moment aus dem dämmrigen Rest.
       
       ## Garage-Brett mit schummrigem Bass
       
       „Cold Win“ dagegen ist ein mechanisches Garage-Brett mit schummerig
       gedämpften Bläsersets. Es geht um die Entfremdung des Individuums von der
       Umwelt, die zu einem einzigen Schwarz verkommen ist. Deshalb vielleicht
       auch der Albumtitel „Some Say I So I Say Light“?
       
       „Den Titel habe ich gewählt, weil ich sehr darauf fokussiert bin, nicht die
       Wege zu gehen, die alle anderen in der Gesellschaft auch gehen“, sagt der
       Poet zum Schluss. „Erst das Bewusstsein darüber, dass ich ein Individuum
       bin, macht mich lebendig.“
       
       Ghostpoet: „Some Say I So I Say Light“ (PIAS). Live: 8. 5. Berlin, Lido; 9.
       5. Hamburg, Uebel & Gefährlich; 10. 5. Köln, Gebäude 9
       
       7 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Fatma Aydemir
       
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