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       # taz.de -- Amateurbilder aus Syrien: Bürgerkrieg live im Internet
       
       > Luftangriffe, Hinrichtungen, Selbstmordattentate. Rebellen und
       > Amateurfilmer zeigen die Kämpfe in Syrien täglich und in immer größerer
       > Zahl im Internet.
       
   IMG Bild: Ein syrischer Soldat in al-Otaiba, nahe Damaskus
       
       ALEPPO taz | Der syrische Bürgerkrieg ist ein Film. Tausende Videos werden
       täglich auf Youtube hochgeladen und anschließend auf Facebook von Hunderten
       und Tausenden von Nutzern dieser Plattformen mit anderen geteilt. Diese
       Filme sind Zeugnisse des Konfliktes, wie er aus den Augen der Kämpfenden
       wahrgenommen wird. Der Krieg wird mit einer beispiellosen Zahl von
       Livebildern dokumentiert.
       
       Selbstverständlich ist die Qualität der Bilder gering, da sie mit dem Handy
       oder bestenfalls mit Amateurkameras aufgenommen wurden. Aber was zählt, ist
       der Inhalt. Inzwischen gibt es alles online: Belege von Luftangriffen des
       Regimes auf zivile Opfer, von Massakern, der direkten Konfrontation an der
       Front, von Angriffen auf Waffenlager in den Baracken, Bilder aus
       Feldkrankenhäusern, von der Flucht Verfolgter und Deserteure, der
       Hinrichtung Gefangener und sogar von den Vorbereitungen zu
       Selbstmordattentaten. Finden kann man einfach alles; man muss nur lernen,
       sich zwischen den hunderten Facebook-Gruppen zurechtzufinden, die in den
       letzten zwei Jahren aufgetaucht sind.
       
       Die Seiten sind auf Arabisch und Tausende verfolgen, was auf ihnen
       passiert. Viele dieser Facebook-Seiten betreiben dieselben militärischen
       Gruppen der Freien Syrischen Armee, die auch auf den Schlachtfeldern
       kämpfen. Jede Kompanie hat eine Art eigenes Pressebüro. Dieses besteht aus
       einer Reihe junger Männer, die per Kamera und Satellitenübertragung
       Militäreinsätze an der Front verfolgen, die sie abends, zur Basisstation
       zurückgekehrt, ins Netz stellen.
       
       Die Videos zeigen die zertrümmerten Baracken der Aufständischen und die
       zerstörten Flugzeuge des Regimes, die Verwüstung am Ort der Gewalt, die
       Taten der Kämpfer an der Frontlinie. Aber auch die Verhörung von Gefangenen
       aus den Reihen der Regimesoldaten oder Zivilisten, die man der Spionage
       beschuldigt. Manchmal zeigen die Videos sogar deren Hinrichtung.
       
       ## Märtyrer auf Facebook
       
       Auf denselben Facebook-Seiten ist es möglich, die Geschichten der Anhänger
       der Freien Syrischen Armee nachzuvollziehen, die im Gefecht gefallen sind.
       Täglich sind es Hunderte. Jeder einzelne von ihnen wird auf den
       Facebook-Seiten seines Bataillons als Märtyrer gefeiert: dort stehen unter
       einem letzten Foto des Gefallenen sein Name und die Abschiedsworte seiner
       engsten Freunde.
       
       Dem Bedürfnis, den Krieg online zu dokumentieren, wird mit einer solchen
       Dringlichkeit nachgegangen, dass alle Teile der bewaffneten syrischen
       Opposition mitziehen. Auch Dschabhat al-Nusra – der syrische Zweig
       al-Qaidas – hat ein Facebook- und ein Youtube-Konto, über welche Videos der
       Extremisten hochgeladen und verbreitet werden. Die schockierendsten dieser
       Bilder stammen vermutlich aus den Videos, in welchen Selbstmordanschläge
       auf die Militärbasen des Assad-Regimes vorbereitet werden.
       
       Sie bestehen aus professionell aufgearbeiteten Aufnahmen, zu denen ein
       Vorspann, ein Abspann sowie ein Soundtrack gestellt wurden. Das letzte
       wurde Ende März hochgeladen. Es erzählt die Geschichte eines
       Selbstmordattentats in der Provinz Homs.
       
       ## Suizidmission mit TNT
       
       Darin werden zwei junge Männer mit einem nordafrikanischen Akzent gezeigt,
       die einen Lastwagen mit 20 Tonnen TNT beladen. Bevor sie sich auf ihre
       Suizidmission begeben, kommt es auf dem Bauernhof, der ihre Basisstation
       ist, zum tränenreichen Abschied. Die Attentäter wünschen ihren
       Mitstreitern, dass sie bald auch Märtyrer werden, und hoffen auf ein
       Wiedersehen im Jenseits. Dann zeigt der Milizführer ihnen das Angriffsziel
       auf Google Maps. Danach ist im Film – aus einiger Entfernung – eine
       Rauchsäule zu sehen, die zum Himmel aufsteigt.
       
       Die große Zahl der Amateurvideos im Internet ist nicht unbeachtet
       geblieben. Arabische und internationale Satellitensender verbreiten diese
       Bilder immer häufiger. Mit Sicherheit ist es dieser unmittelbaren Resonanz
       von TV-Sendern zu verdanken, dass das Vertrauen vieler Syrer in die Macht
       der Videos exponentiell gestiegen ist. Und das beschränkt sich nicht auf
       die Kämpfer der Freien Syrischen Armee.
       
       Allen voran sind es Zivilisten, die die Bilder auf Facebook posten. Sowohl
       die Aktivisten der örtlichen revolutionären Komitees als auch einfache
       junge Männer. In ihren Videoclips ahmen sie die Sprache der
       Fernsehnachrichten nach, wenn sie mit ihren Handys die Ruinen der vom
       Regime zerbombten Häuser filmen, Verletzte in Krankenhäusern interviewen,
       mit Evakuierten sprechen oder Demonstrationen aufnehmen.
       
       ## Syrischen Guerilla-Journalisten
       
       Unbestreitbar eines der wichtigsten und besser organisierten Beispiele für
       Guerilla-Journalismus stellt die Organisation [1][ANA] dar. „ANA“ heißt auf
       Arabisch „ich“ und ist die englische Abkürzung für „Activists’ News Agency“
       – zu Deutsch „Presseagentur der Aktivisten“. Das Netzwerk besteht aus 400
       syrischen Guerilla-Journalisten, die im ganzen Land verteilt arbeiten und
       täglich ihre Videos von der Frontlinie online posten. Das Material wird
       dann vom ägyptischen Zweig von ANA in Kairo überprüft, ausgewählt und ins
       Englische übersetzt. Das Team dort leitet Rami Jarrah, ein bekannter
       syrischer Aktivist und Förderer der Initiative.
       
       ANA-Teams berichten von der Frontlinie und gehen dabei Risiken ein, die
       kein Auslandskorrespondent einzugehen bereit ist. In der Tat sind, während
       23 Auslandskorrespondenten seit Beginn der Auseinandersetzung ums Leben
       kamen, bereits über 130 syrische Guerilla-Journalisten getötet worden.
       
       Neben den Initiativen der Guerilla-Journalisten und den Milizen der Freien
       Syrischen Armee gibt es auch andere Organisationen, die von den
       bekanntesten syrischen prorevolutionären Künstlern und Intellektuellen
       koordiniert werden. Maler, Musiker, Autoren, Cartoon-Zeichner, Komödianten,
       die ihre Artikel, ihre Bilder und Collagen online stellen. Facebook ist ein
       Treffpunkt, an dem Ideen laut werden können in einem Land, in dem in
       jüngster Zeit das Grollen der Waffen alles andere übertönt.
       
       5 May 2013
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.facebook.com/ananewmedia
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gabriele Del Grande
       
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