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       # taz.de -- Familienrechtlerin über Mütterlobby: „Da wird die Biologie absolut“
       
       > Was, wenn die Affäre plötzlich vor der Tür steht und der neue Vater sein
       > möchte? Eine Familienrechtlerin über den Streit ums Sorgerecht.
       
   IMG Bild: Irgendwann kommt dann in manchen Familien der Punkt, wo die Eltern sich fragen: Wer bekommt das Kind?
       
       sonntaz: Frau Peschel-Gutzeit, ab jetzt können auch unverheiratete Väter
       nach der Trennung das Sorgerecht für ihr Kind beantragen. Ein Fortschritt? 
       
       Lore Maria Peschel-Gutzeit: Das ist nicht so einfach, denn das Gesetz
       betrifft auch Konfliktfälle. Gerade bei diesen Fällen muss man sorgfältig
       gucken, wie sich der Streit der Eltern auf das Kindeswohl auswirkt.
       
       Deshalb beschäftigt sich doch eine Richterin oder ein Richter mit solchen
       Konfliktfällen. 
       
       Das ist aber ebenfalls problematisch: Ein Richter entscheidet künftig in
       einem vereinfachten Verfahren, ohne die Eltern und das Jugendamt gehört zu
       haben. Das geht nicht – gerade in einer Konfliktsituation. Es kann gut
       sein, dass das Gesetz deswegen vor dem Verfassungsgericht nicht hält. Meine
       Prognose ist: Wir werden das vereinfachte Verfahren nicht behalten.
       
       Die Fälle sind ja sehr unterschiedlich: Der eine Vater hatte vor ein paar
       Jahren einen One-Night-Stand, der andere hat sich jahrelang um das Kind
       gekümmert. 
       
       Das Verfassungsgericht hat deshalb eine Einzelfallprüfung vorgesehen. Und
       der Deutsche Bundestag hat entschieden, dass man das Sorgerecht beantragen
       muss und es nicht automatisch beim Vater entsteht. Denn man muss schon
       einen Unterschied zur Ehe machen: Eheleute haben einen Vertrag geschlossen.
       Sie übernehmen gemeinsam Verantwortung für Kinder. Die behalten sie deshalb
       auch nach einer Scheidung. Nichteheliche Partnerschaften haben diesen
       Vertrag nicht geschlossen. Man kann beides nicht gleichsetzen.
       
       Der Väteraufbruch für Kinder möchte, dass der biologische Vater automatisch
       das Sorgerecht bekommt. 
       
       Da wird der Biologie ein absoluter Stellenwert zugewiesen. Damit bekommen
       Sie aber etwa die Fälle kurzer Affären nicht geregelt. Da wird ein Mann
       automatisch zum Vater, obwohl er vielleicht gar nichts von der
       Schwangerschaft wusste. Der wird sich bedanken. Oder er greift gerne zu,
       weil er sonst keine Kinder hat. Wie kann daraus für das Kind eine gelungene
       Vater-Kind-Beziehung werden?
       
       Der mütterfreundliche Verband alleinerziehender Mütter und Väter dagegen,
       der VaMV, will das Sorgerecht nur für Väter, die Pflichten übernehmen und
       etwa Unterhalt zahlen. 
       
       Ich kann nur warnen vor einer solchen Verbindung. Die stellen wir sonst
       auch nicht her, und zwar aus guten Gründen. Geschiedene Väter zahlen auch
       oft keinen Unterhalt, sie verlieren trotzdem nicht das Sorgerecht. Die
       persönliche Verbindung der Eltern zu den Kindern darf nicht davon abhängen,
       ob Unterhalt gezahlt wird oder nicht. Was macht denn der Vater, der
       arbeitslos wird? Es stimmt, oft wird der Mutter das Geld nicht gegönnt.
       Aber das ist ein Konflikt auf der Erwachsenenebene. Für diese Konflikte
       kann doch das Kind nichts. Sie müssen getrennt von der Beziehung zum Kind
       behandelt werden.
       
       Eine weitere Kritik: Ungleiches werde nun gleich behandelt. Der Elternteil,
       bei dem die Kinder leben, sei etwas anderes als der, bei dem sie nicht
       leben. 
       
       Das sind Worthülsen. Dieser Zustand kann ja zum Beispiel gegen den Willen
       des Vaters herbeigeführt worden sein. Nach dem Motto: erst den Vater
       ausschließen und dann eine besondere Rolle für sich als Mutter zu
       reklamieren. Das geht nicht.
       
       Eine typische Situation: Nach einer kurzen Beziehung wird die Frau
       schwanger. Der Mann will das Kind nicht und ist weg. Sie sitzt alleine da.
       Nach drei Jahren fällt dem Mann ein, dass er ja ein Kind hat. 
       
       Da bedankt sich die Mutter natürlich. Aber was hat das mit dem Kindeswohl
       zu tun? Das sind die Befindlichkeiten der Eltern. Die Mutter darf dem Kind
       nicht den Vater vorenthalten, wenn der Interesse zeigt.
       
       Der Vater kann sich nach Belieben einschalten oder nicht. Und die Mutter
       soll bei allem einfach mitspielen? 
       
       Nein, natürlich nicht. Ich erlebe aber eher solche Väter, die sagen: Ich
       war nicht reif für ein Kind, ich habe Panik bekommen. Jetzt möchte ich doch
       gern am Familienleben teilhaben. Ist die Mutter berechtigt, zu sagen: „Das
       hättest du dir früher überlegen müssen, jetzt ist der Zug abgefahren“?
       
       Das heißt, wenn die Mutter nach dem Antrag des Vaters erklärt, dass er sich
       verantwortungslos verhalten hat, dann hilft ihr das gar nicht weiter? 
       
       Das genau muss man in einer Einzelfallprüfung entscheiden. Deshalb bin ich
       ja gegen das Schnellverfahren. Ich würde mir den Vater holen und sagen: So,
       nun erzählen Sie mal. Wie ist es zu der Trennung gekommen? Seither sind ja
       drei Jahre vergangen. Wie ist ihm denn plötzlich die Idee gekommen, dass er
       ein Kind hat? Ist es eine Laune oder hat er sich die ganze Zeit schon
       Selbstvorwürfe gemacht?
       
       Nun kann es ja aber sein, dass die Mutter einen neuen Freund hat. Sie
       bilden eine glückliche neue Familie und das Kind hat einen Vater. Und nun
       kommt noch so ein Vater von außen und stört. 
       
       Das erlebe ich ganz häufig. Die neueste Tendenz in Gesetzgebung und
       Rechtsprechung gibt dem biologischen Vater immer mehr Rechte. Er kann das
       Recht, sein Kind zu sehen, sogar einklagen, wenn der rechtliche Vater das
       Kind in einer Ehe anerkannt hat. Trotzdem hat dann der biologische Vater
       unter bestimmten Umständen das Recht, das Kind zu sehen. Das gefällt mir
       nicht, aber das ist die Rechtsprechung. Wenn der neue Freund die soziale
       Vaterrolle annimmt, dann müsste man dem biologischen Vater sagen können:
       Hier ist eine intakte Familie, nun lass dein Kind dort in Frieden leben.
       
       Der Väteraufbruch findet, dass ein Kind auch von mehreren Vätern
       profitieren kann. Er schlägt vor, die Konflikte der biologischen Eltern
       durch einen Kooperationsmanager zu lösen. Das ist eine dritte Person, die
       auch das Sorgerecht hat, so dass Mehrheitsentscheidungen möglich sind. 
       
       Ich halte das schlicht für unzulässig. Die elterliche Sorge ist ein
       Grundrecht der Eltern. Niemand kann es einem Dritten verleihen. Und stellen
       Sie sich vor, wie beide Seiten versuchen werden, diese Person zu
       beeinflussen. Wer wählt sie aus? Das halte ich für absurd. Was dagegen
       sinnvoll ist: die Eltern zu verpflichten, Mediatoren einzuschalten.
       
       Sie werben schon lange für die gemeinsame Sorge. Sehen die Väterrechtler
       Sie deshalb als Verbündete? 
       
       Nein. Weil im Einzelfall entschieden werden muss. Ich bin auch nicht
       parteiisch für die Frauen. Ich habe erlebt, mit welch himmelschreienden
       Argumenten einige Mütter den Vätern den Umgang verweigern. Ich bin nicht
       Mütter- und nicht Väterrechtlerin. Ich bin Kinderrechtlerin. Sie sind im
       Kampf der Eltern gegeneinander der schwächste Teil; sie gilt es zu
       schützen.
       
       4 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
       
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