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       # taz.de -- Jugendmusical auf dem Kirchentag: Kritischer Konfirmanden-Rock
       
       > E-Gitarren und Bibelverse: Die Jugendkirche Bremen versucht, das alles
       > unter einen Hut zu bekommen. Eine sehr evangelische Aufführung.
       
   IMG Bild: Bilder aus Wilhelmsburg gibt's leider keine, aber dafür viele langsam ermüdete Kirchentagsbesucher
       
       HAMBURG taz | Die GEMA macht nicht einmal vor Frommen halt. Eigentlich
       wollte die Band „Maryjoy“ den Zuhörern im Bürgerhaus Wilhelmsburg auf dem
       Kirchentag das Evangelium mit ABBA-Songs näher bringen, doch daraus wurde
       nichts. Das Jesus-Musical muss ausfallen – aus lizenzrechtlichen Gründen,
       wie Hallenleiter Matthias Iken sagt. Stattdessen: Christenrock der
       Jugendkirche Bremen in Form eines Musicals. Das Thema: Luther setzt über.
       Nein, er übersetzt nicht, er setzt über. Aber wohin?
       
       Durch das sehr back-steinige Bürgerhaus schlurft eine Gruppe Pfadfinder in
       grauen Hemden. Sie tragen rote Tücher um den Hals. Im hässlichen Foyer wird
       Kaffee ausgeschenkt. Einige angestrengte Besucher sitzen zusammengesunken
       in ihren Stühlen und warten auf den Beginn der Vorstellung. Ein Mann döst
       vor sich hin, das Kirchentagsbuch ruht in einer Kuhle auf seinem mächtigen
       Bauch und senkt sich mit seinem Tiefschlafatem langsam auf und nieder.
       
       Es kommt Bewegung in den Pulk der Wartenden, die meisten sind eher in den
       Fünfzigern. Dazwischen wuseln ein paar Jugendliche. Nach Rock sieht das
       weniger aus, eher nach Konfirmanden-Fahrt. Inse aus Leverkusen ist
       enttäuscht, eigentlich war sie wegen der ABBA-Lieder gekommen. Aber jetzt,
       wo sie schon mal in Wilhelmsburg ist, sieht sie sich eben das Rockmusical
       an. „Ich will mich einfach ein bisschen berieseln lassen“, sagt sie. Sabine
       aus Kiel fährt seit 1981 fährt zum Kirchentag, auch sie ist gespannt wie
       ABBA und Bibel zusammen passen sollen.
       
       Jetzt eben Rock mit Luther. Der Vorführraum fasst 600 Menschen, gekommen
       sind etwa 50. Ein weißer Stern mit der Aufschrift „Star Factory“ ist auf
       eine Leinwand projiziert, die über der Bühne hängt. Sechs Rednerpulte mit
       montierten Keyboards sind in einem Halbkreis angeordnet, die Sockel mit
       Alufolie beklebt.
       
       ## „Mut zur Rebellion“
       
       Daneben steht ein gebräuntes Ledersofa. E-Gitarren und Schlagzeug warten
       darauf, zum Leben erweckt zu werden, wie in einem Probenraum. „Im intimen
       Schutz des Probenraums wächst der Zusammenhalt und der Mut zur Rebellion“,
       heißt es im ebenfalls in braun gehaltenen Programmheft.
       
       Doch zunächst ertönt Synthie-Pop, eine Gruppe Jugendlicher zappelt in
       Glitzer-Hotpants zum Takt der Musik. Nummer eins – die Teenies sind
       durchnummeriert – hackt in sein Keyboard. Befehle werden auf der Bühne
       geplärrt. Nach der dritten Drill-Tanzstunde reicht es den bibelfesten Jungs
       und Mädels: mit erhobenen Fäusten und dem Refrain „We won't take it
       anymore“ schlagen sie ihre Peiniger in die Flucht. Emanzipation auf
       evangelisch.
       
       Dazwischen sieht und hört der Zuschauer eine krude Mischung aus
       Musikmarktkritik und dem Wunsch nach mehr Verständlichkeit von Bibelversen.
       Was an der Losung „Wer das Geringe verschmäht, dem wird das Große nicht
       zuteil“ so kompliziert ist, wissen wohl nur die Macher des Musicals. Einer
       der Protagonisten schreit jedenfalls nach jeder Bibelstelle „Häää???“
       
       Trotzdem: Die beiden Frontmänner – der eine Marke Hipster, der andere vom
       Typ Boygroup – ernten Beifall vom Publikum. Vor dem Bürgerhaus sitzt nach
       der Aufführung eine Gruppe Pfadfinder am See, sie stimmen andächtig
       „Kumbaya My Lord“ an. Das Klischee vom latent uncoolen Evangelen – es ist
       keines. Aber dafür sind alle furchtbar nett zueinander.
       
       2 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Aykanat
       
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