# taz.de -- Margot Käßmann auf dem Kirchentag: Seid Nervensägen!
> Margot Käßmann ist seit einigen Kirchentagen ein Promi mit Glamourappeal.
> Sie macht dem Publikum Beine und weiß, dass Frauen nerven müssen.
IMG Bild: Margot Käßmann plädierte in ihrer Bibelarbeit vehement gegen die Harmoniesucht und für Auseinandersetzungen
HAMBURG taz | In der Atmosphäre sei einer wie der andere. Nicht, dass im
trüben Hamburger Licht schon vor der Nacht alle Mäuse grau werden – aber
alles in allem, um bei der Wahrheit zu bleiben, gibt es doch Stars.
Prominente. Menschen, die stärkere, klarere Stimmen als andere haben.
Solche mit Glamourappeal – und so eine ist seit einigen Kirchentagen Margot
Käßmann.
Einstige Bischöfin von Hannover, Kirchentagsgeneralsekretärin Ende der
Neunziger, nunmehr die Beauftragte ihrer Glaubensgemeinschaft für den 500.
Geburtstag der Reformation 2017. Diese Frau macht dem Publikum Beine. Sorgt
dafür, dass schon eine Stunde vor ihrer Bibelarbeit auf dem Messegelände in
Hamburg vor den schweren Türen der Halle Menschen drängeln und um Einlass
nachsuchen.
Als die Tore geöffnet sind, laufen sie in die monströse Behausung – aber,
was soll man sagen, die Käßmann macht die Hütte zum Meer der Gewogenheit,
des Applauses, lässt alle miteinander baden im Einverständnis, im
Nachdenken. Und sie sorgt in einem Fall auch nach einer witzigen Bemerkung
für einen kollektiven Lacher. Da erzählt diese Königin des Kirchentages: es
gab mal einen Pastor, der hatte einen Garten mit Apfelbäumen.
Als es Erntezeit wurde, fand er viele Früchte geklaut. So stellte er ein
Schild in den Garten: Gott sieht alles. Woraufhin Käßmann die Pointe setzte
und sagte: Und Tags darauf fand der Pastor eine Erwiderung auf das
Warnschild: Ja, kann sein – aber er petzt nicht. Käßmann, und dies möchte
als Passage der Anerkennung und des Respekts gelesen werden, kann ein
Publikum ohne jeden falschen Ton einnehmen. Sie sprach in ihrer Bibelarbeit
(Lk 18, 1-8) von einem Richter, der von einer nervigen Frau um ein Urteil
gebeten wurde.
## Plädoyer gegen Harmoniesucht
Sie erläuterte dann: Frauen sind oft nervig, und sie müssen nerven, denn
das Mittel der Nerverei sei ein probates in Zeiten, in denen Frauen
seltener Gehör fanden (und finden) als Männer. Diese Protestantin plädierte
vehement für Streit, für Konflikte, für Auseinandersetzungen – und gegen
Harmoniesucht. Nicht wahr, so Käßmann, man hat das Einverständige,
Harmonische gern. Klar, sei auch verständlich. „Seid Nervensägen“ war ihr
die angemessenere Botschaft – nervt.
Exzentrisch, den Comment verletzen, sich gelegentlich auch im Ton
vergreifen. Und zugleich ließ sich durchschimmern, wie schwer es sei und
doch hin und wieder nötig, sich im Zaum zu halten. Da sei sie zur
Beauftragten des Lutherjubiläums bestellt worden; in der Gratulantenschar
habe sich auch ein Journalist befunden, wie sie im Augenwinkel, der
besonders hämisch über sie geschrieben habe.
Solle sie ihm die Hand geben? Immer wieder sagte sie sich: Auch das habe
Gott erlaubt – das Hämische. Selten so Souveränes erlebt: eine Protestantin
voller Sinnlichkeit auf intellektuellen Höhen – und mit starkem Talent zur
Selbstironisierung. Kein Wunder, dass sie immer populärer zu werden
scheint. Starke Performance, diese. Respekt!
2 May 2013
## AUTOREN
DIR Jan Feddersen
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