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       # taz.de -- Kalifornischer Weirdo Sun Araw: Fernreise für den Kopf
       
       > Sun Araw schafft faszinierende Experimente aus einem begrenzten
       > Klangspektrum. Dabei offenbart der kalifornische Musiker einen filmischen
       > Ansatz.
       
   IMG Bild: Minimales Instrumentarium, maximale Wirkung: Sun Araw.
       
       „Wenn das Auge das Universum ist, sind, optisch gesehen, die Sterne seine
       Nervenenden“, hat der Filmemacher Stan Brakhage einmal gesagt und damit
       ausgesprochen, was das menschliche Sichtfeld im Blick haben kann: Eine
       Perspektive, die bis ins All reicht und darüber hinaus. Überflüssig zu
       sagen, dass ein Teil dieses Universums aus Klangpartikeln besteht, die von
       den Ohren wahrgenommen werden.
       
       Brakhage gilt als zentrale Figur im Universum des kalifornischen Musikers
       Sun Araw alias Cameron Stallones. Das erstaunt nur auf den ersten Blick.
       Stallones hat lange Jahre in einem der besten Filmarchive der Welt, im
       Academy Film-Archiv in Los Angeles, gearbeitet und dabei auch Filme von
       Brakhage gesichtet. Für seine eigene Musik wendet er Brakhages Prinzip, mit
       einem tiefen Kamerafokus lange Einstellungen zu machen, mit Gewinn an.
       
       Damit unternimmt Sun Araw die faszinierendsten Klangreisen zu den Gestaden
       des Outerspace, die sich dieser Tage buchen lassen. Konzentrierte
       Exkursionen mit Gitarre, Orgel, Synthesizer und Percussion sind das. Sie
       erschaffen ein Blubbern im vulkanischen Schlamm mit Spurenelementen aus Dub
       und Blues. Enorm kratzig und mit einem gerüttelten Maß Heavyness.
       
       Aber: Sun Araw bringt all das zum Schwingen, ohne auch nur eine Sekunde in
       rockistische Muster zu verfallen. Weil er mit einem begrenzten Arsenal an
       Mitmusikern und Instrumenten agiert, bringt er hinter diesem
       minimalistischen Sound auch die Leere in ihrer beängstigenden Dimension
       hervor. Und gleichzeitig setzt er ihr etwas Gewaltiges entgegen: ein
       hypnotisches Mantra aus repetitiven Riffs, dem Aufpoppen immer neuer
       Echoschleifen, Gesangsfetzen und der Komplettverschleierung jedweder
       Melodie.
       
       ## Heavy und sexy
       
       Das Operieren mit einem begrenzten Klangspektrum birgt seine Vorteile. In
       besonderem Maße, weil es auf die Texturen ankommt, auf den psychedelischen
       Nachklang, auf die exakte Wahl der Instrumente. Eine Fender-Gitarre, ein
       paar Effektgeräte und eine alte Farfisa-Orgel genügen Sun Araw. „Ich öffne
       damit Türen, schaffe einen Raum und verweile dort eine Zeit lang“, erzählt
       Stallones. „So gelange ich in einen Geisteszustand, den ich als
       hedonistisch und intuitiv bezeichnen würde.“
       
       Anders als die Bösewichte des Drone Metal ist Sun Araw dazu imstande,
       störrisch auf Repetition zu beharren und dabei auch noch sexy zu klingen.
       „Im Kern geht es mir um das auch in der Natur vorhandene Prinzip des
       Fraktalen, um selbstähnliche Gebilde, die ich aus meinen Tonfolgen
       konstruiere. Wenn man das gleiche Riff mit Bestimmtheit wiederholt, findet
       sich darin alles Nötige. Zuerst habe ich entdeckt, wie befreiend das wirkt.
       Inzwischen spiele ich mit den melodischen Partikeln, drehe sie um, stelle
       sie auf den Kopf, variiere sie. Ich beobachte, was mit ihnen geschieht. So
       halte ich der Welt einen Spiegel vor.“
       
       ## Spirituell auf Jamaika
       
       „Travelling without moving“ – Sun Araw geht also auf
       bewusstseinserweiternde Fernreise durch den eigenen Kopf. Und manchmal
       trifft er unterwegs auf Gleichgesinnte. Vergangenes Jahr hat er etwa das
       Album „Icon give thank“ und den Dokumentarfilm „Icon Eye“ veröffentlicht,
       zusammen mit der jamaikanischen Dubreggaeband The Congos. Damit landeten
       sie völlig überraschend in den US-Charts. Musik und Film sind auf Jamaika
       entstanden.
       
       „Wir mussten erst mal lernen, eine gemeinsame Sprache zu finden, uns
       musikalisch anzunähern“, erinnert sich Stallones. „Ich liebe Reggae und
       Dub, aber ich bin ein Weißer aus L. A., ich hatte keine Ahnung von Jamaika.
       Genauso wenig, wie die jamaikanischen Musiker von mir wussten. Alle
       Vorsicht ging nur über Bord, weil wir auf einem gemeinsamen spirituellen
       Nenner kamen. Das hat mich in meiner Meinung bekräftigt, dass
       Naturprinzipien, die das Universum lenken, dazu da sind, damit sich fremde
       Menschen einander annähern können.“
       
       Man merkt bei Sun Arraw gar nicht, wie die Zeit vergeht, wie man nach acht
       Minuten in Trance plötzlich durch einen kleinen Schlenker aus einem
       Gitarrenriff wachgeküsst wird. Eine erhebende Erfahrung. „Man muss sich das
       vorstellen wie ein Objekt in der Mitte einer Filmszene. Meine Musik ist wie
       die Kamera, sie bewegt sich in einem langen Take um das Objekt herum und
       versucht, alles davon abzubilden und dadurch etwas zu offenbaren. Durch den
       Wechsel der Perspektive verändert sich auch das Objekt.“
       
       ## Sun Araw DJ-Set: 2. Mai, Monarch, Berlin (Eintritt frei)
       
       ## Live: 3. Mai, West Germany, Berlin
       
       2 May 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julian Weber
   DIR Julian Weber
       
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