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       # taz.de -- Bestattungsrituale in Indonesien: Blick ins Jenseits
       
       > Wer eine Todesfeier bei den Toraja in Indonesien besucht, sollte auf ein
       > Schlachtfest vorbereitet sein. Schwäche zeigen geht nicht.
       
   IMG Bild: Begräbnisstätte der Toraja auf Sulawesi.
       
       Buris macht dich fertig. Du schwitzt, hast nicht geschlafen, willst
       heimlich, die drückende Hitze auf der Haut, zurück ins Hotelzimmer, dich
       auf dieses frisch bezogene Bett legen, auf dem mehr Kissen liegen als du
       besitzt, und dem Ventilator über dir beim Kreisen zusehen.
       
       Du willst nicht darüber nachdenken, wie du hierher gekommen bist, sechzehn
       Stunden Flug, fünf Stunden Aufenthalt, zwei Stunden Flug und zwei Stunden
       Busfahrt an Tag 1, zwölf Stunden Busfahrt an Tag 2, die Magenschmerzen
       haben begonnen, da wusstest du noch gar nicht, wie indonesisches Essen
       schmeckt.
       
       Und jetzt ist es also heiß und Vormittag, dir latent übel – und dieser
       Buris, ein Reiseführer, so sympathisch, dass es kaum auszuhalten ist, sagt:
       „Alles rot, rot, rot. Überall Blut. Und Knochen, überall.“ Knochen überall,
       wiederholst du. „Das Tier wird an einem Bein angebunden“, sagt Buris, „dann
       holt der Büffeltöter langsam das Messer raus und öffnet ihm mit einem
       wuchtigen Schnitt die Kehle.“
       
       Buris führt den wuchtigen Schnitt in der Luft vor, fährt mit einer Hand am
       Hals von links nach rechts. „Sobald der Büffel blutet, kommen Männer mit
       Bambusrohren und sammeln das Blut. Es wird später mit seinem Fleisch oder
       mit Schwein gekocht.“ Du würgst. Buris grinst. „Ist wie bei euch in
       Deutschland die Blutwurst.“
       
       ## Alles rot, überall Blut
       
       Tanah Toraja auf Sulawesi, Indonesiens viertgrößte Insel, aber keine, bei
       der du ein Reizwort hörst, das gleich einen Film in deinem Kopf abspult –
       so wie Bali eines ist, das dich an Tempelfeste und Julia Roberts denken
       lässt, wie sie mit wehendem Haar und auf einem Fahrrad, der Selbstfindung
       wegen, für „Eat Pray Love“ ein paar Reisfelder entlangfährt.
       
       Das schöne Leben ist woanders, denkst du, Tanah Toraja ist ein
       Verwaltungsbezirk mit viel Dschungel und rund 600.000 Einwohnern, die am
       Kastendenken festhalten, obwohl die Feudalherren, denen der Großteil des
       Bodens gehört, etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen – und die
       Besitzlosen, dem Adel verpflichtete Tagelöhner, siebzig. Alles Leben dient
       hier dem Tod. Höhepunkt des Daseins: „Die Reise nach Puya“, sagt Buris,
       „ins Jenseits, ins Land der Seelen.“
       
       Du folgst Buris, noch schwitzend, aber weniger widerwillig jetzt – er hat
       gerade Land der Seelen gesagt und das ohne Pathos in der Stimme – wie er
       durch ein Dorf mit leeren Holzhütten läuft. Du willst schon gern wissen,
       wie Bestattungszeremonien die Hierarchie einer Gesellschaft bebildern
       können. „Vor wenigen Monaten hat hier eine Totenfeier stattgefunden.
       
       Ein Mann und eine Frau, gut betucht, 87 Wasserbüffel wurden für sie
       geschlachtet“, sagt Buris, und dass sich der Status einer Familie an der
       Zahl geschlachteter Büffel bemisst. „Einer kostet 60 bis 80 Millionen
       Rupiah, gut 6.000 Euro. Ein besonderer Büffel, ein weißer mit blauen Augen,
       kostet bis zu 40.000 Euro. Von den weißen wurden sieben getötet.“
       
       ## Büffel werden verehrt
       
       Du stellst dir Innereien, auf dem Boden liegend, und Wiesen hinabrollende
       Tierköpfe vor, murmelst, so einen Tod kann sich doch keiner leisten. Buris
       rückt seine Mütze zurecht, die Deutschlandflagge darauf, sagt, „doch, die
       Reichen. Aber selbst die kann ein Verstorbener in den Ruin treiben.“
       Zwanzig Kilometer weiter habe es kürzlich das größte Totenfest der Toraja
       gegeben, 200 tote Büffel, das Schulgebäude wurde abgerissen, weil man Platz
       brauchte, und danach wieder aufgebaut.
       
       „Büffel und Reis sind für die Toraja nicht Fleisch und Pflanze. Sie sind
       Väter der Menschen“, sagt Buris. „Sie werden verehrt und zweimal täglich
       gefüttert.“ „Arme Leute züchten Büffel, um ihre Schulden beim Adel zu
       bezahlen“, sagt Buris.
       
       Er zeigt auf die Hütten, ein solches Dorf heiße „Kete Kesu“, runder
       Feierort. Für jeden Toten werde es neu errichtet, manchmal jahrelang; die
       Feier selbst könne Monate dauern. „Es wird Buch geführt, wer kommt und wer
       was schenkt.“ Buris liebt solche Traditionsdetails.
       
       „Lässt sich jemand aus dem engen Familienkreis nicht blicken, wird er
       geächtet“, sagt er. „Die Gäste bringen Palmwein, Büffel oder Schweine,
       gehen in ihr nummeriertes Haus und legen dort Matten aus, essen und
       schlafen. Die Mittelklasse – Händler, Kleinbauern, Beamte – bleiben
       vielleicht fünf Tage, Leute der obersten Klasse auch mal zwei Wochen.“
       
       Buris läuft an Reisspeichern vorbei, sagt, ein Mensch gelte erst als tot,
       wenn der erste Büffel geopfert werde. „Vorher wird der Verstorbene
       mumifiziert, er liegt im Hinterzimmer des Wohnhauses eines Toraja, bis
       genug Geld für die Bestattung da ist.“
       
       ## Fahrt zu den hängenden Gräbern
       
       Du schweigst. „Die Angehörigen schlafen neben ihm, sie glauben, er lebt
       noch. Sie geben ihm Mahlzeiten.“ Buris redet. „Der Leichnam verwest.“ Er
       hört nicht auf. „Irgendwann stinkt er.“ Du fragst dich, womit du das
       verdient hast. Was ist mit dem Schnorchelparadies Manado, von dem Buris
       immer spricht, eine Flugstunde Richtung Norden, Sandstrände, Korallenriffe,
       wie wäre es damit, jetzt?
       
       Buris erhört deine Gedanken, zumindest glaubst du das, endlich, „gehen wir
       zurück in den Bus“, sagt er. „Wenig später liefert er, Schlagloch,
       Schlagloch, einen Indonesien-Crashkurs binnen Minuten. Du siehst Häuser auf
       Stelzen, in Schlamm gebadete Büffel, streunende Hühner und Macadamiabäume,
       die Straße scheint plötzlich eben und die Übelkeit fast verflogen.
       
       Du ahnst ja nicht, dass dir Buris heute noch mit der Taschenlampe in
       Familiengrüften leuchten und dich zu hängenden Gräbern führen wird, „oft an
       hohen Plätzen gelegen, damit sie nicht geplündert werden, den Verstorbenen
       werden Münzen und Schmuck mitgegeben“ – und oft nicht mehr hängend, sondern
       ob der Last abgestürzt, eine Kombination aus Sargtrümmern und Skelettteilen
       hinterlassend. Du ahnst auch nicht, dass es zum „Baby Grave“ geht, einem
       alten Baum, in den Löcher geschlagen und Kleinkinder gelegt werden, die
       verstorben sind, bevor sie Milchzähne bekommen haben.
       
       Jetzt spürst du erst den Fahrtwind, der durch den Fensterspalt kühlt, Buris
       sagt, „lasst uns etwas essen“, frittiertes Gemüse und Fisch, direkt an
       einem See, und du denkst: Urlaub, ach.
       
       27 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Annabelle Seubert
       
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