URI: 
       # taz.de -- Das neue Album von The Knife: Es geht auch ohne Erlösung
       
       > Brettharte Askese: Das Geschwisterduo The Knife kommt mit neuem Album auf
       > Tour. Es ist spröde – ein anstrengendes Stück Gegenwartsmusik.
       
   IMG Bild: Ist das noch Zukunftsmusik? The Knife machen jetzt mal Gegenwartssound.
       
       Das begleitende Tamtam zur Albumtaufe klang etwas musterschülerhaft. Der
       Spex zählten die schwedischen Geschwister Karin Dreijer Andersson und Olof
       Dreijer akribisch die Bausteine des Grundstudiums Gender Theory auf, durch
       dessen Lektürelisten sich beide zur Vorbereitung gebissen haben.
       
       Dabei seien sie nicht nur auf den Titel ihres neuen Studioalbums „Shaking
       The Habitual“ gestoßen – ein Foucault-Zitat natürlich –, sondern auch auf
       Stoff für die Texte ihres bislang sperrigsten Werks, der dann doch zu
       erstaunlich lockeren Zeilen geronnen ist: „Let’s talk about gender, baby“
       etwa.
       
       Auch im Webauftritt mit Politcomics auf Brülltürkis sowie im Video „Full of
       Fire“, gedreht von der feministischen Pornoregisseurin Marit Östberg,
       präsentieren The Knife sich an vorderster, durchaus glamouröser Front einer
       politisch (korrekt) denkenden Avantgarde. Schon frühere Inkarnationen der
       Dreijers in Affenkostümen, mit Vogelmasken signalisierten: „Wir vermarkten
       uns nach unseren Regeln.“ Im Video zum Clubhit „Pass this on“ (2006) sang
       eine schöne androgyne, wie aus beiden Musikern zusammengemorphte Gestalt
       vor den Insassen einer psychiatrischen Anstalt.
       
       Mit ihrem Soloprojekt Fever Ray verzerrte Karin Dreijer Andersson ein
       gruselschönes Album lang ihre Stimme von weiblich nach männlich nach
       außerirdisch und wieder zurück. Allerdings war das Politische diffuser,
       auch schon mal übersehbarer Bestandteil einer inszenierten Aura der
       Weirdness. Das Gewohnte und schon gar das Gewöhnliche durcheinanderwirbeln,
       sogar zum Tanzen bringen: Diese bei Foucault dem Künstler zugedachte
       Aufgabe haben The Knife mit „Shaking the Habitual“ auf sich selbst bezogen.
       
       ## Glamouröse Avantgarde
       
       Ihre Musik knüpft zwar an die Vorliebe für komplexe rhythmische Strukturen
       an, beeinflusst von Minimal-Techno sowie, well, Krautrock. Wo es allerdings
       früher auch poppig zuging, wo hymnische Melodien die elektronischen
       Labyrinthe fluteten und Karin Dreijers eindringlich kindliche, oft
       synthetisch überformte Stimme Tränen- und Jubelmeere ausgoss, bleibt ihr
       jüngstes Werk komplett spröde. Keine emotionalen Entlastungsmomente: Das
       macht das Hören zunächst zu einem trockenen Stück – ja, Arbeit.
       
       Verblüffenderweise geht es auch ohne Erlösung. Fast jeder der Tracks aus
       „Shaking the Habitual“ baut auf einem anderen bestechenden Beat auf,
       minimalistisch und doch verspielt, bretthart, aber voller Überraschungen.
       Ganze Spektren metallischer Klänge von nadelspitz bis hangarhallig werden
       durchschritten, darüber pfeift, trommelt und rasselt es wie in der
       musikalischen Früherziehung. Blockflöten drehen durch, Mädchenchöre
       schrillen, eine Sitar stammelt sich minutenlang warm, Gläser splittern und
       Sägen jaulen. Dass es dabei um ungleiche Wohlstandsverteilung geht oder um
       Herrschaftsfragen zwischen mehr als nur zwei Geschlechtern, rückt
       angesichts derart herausgeforderter Hörgewohnheiten ziemlich in den
       Hintergrund.
       
       Und wenn Karin Dreijer gegen Ende in dem Song „Raging Lung“ zum Abgesang
       auf „Western Standards“ ansetzt und sich doch zum vorsichtigen Ansatz einer
       gebrochenen Hymne aufschwingt, hat einen The Knife längst in der Tasche.
       
       Ist das noch Zukunftsmusik? Kaum ein Retroschatten fällt auf das radikal
       künstliche Projekt der Dreijers, bei denen bislang auch die Konzerte wie
       eine Mischung aus Schamanenkult und Alienhochamt aussahen. Und doch, gerade
       wegen der Konzentration auf „enge“ Gefühle wie Zorn, Frust, Ärger, wegen
       des protestantisch-asketischen Verzichts auf das schwelgerische Ausmalen
       positiver Utopien, ist „Shaking the Habitual“ mehr als das, nämlich reine
       Gegenwartsmusik. Anstrengend, unerlöst, und ziemlich packend.
       
       ## The Knife: „Shaking the Habitual“ (Rabid/Cooperative Music); live: 26.
       April Bremen, 27. April Hamburg, 1. Mai München, 2. Mai Köln, 11. Mai
       Berlin
       
       26 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Behrendt
       
       ## TAGS
       
   DIR Norwegen
   DIR Montreal
   DIR Theater
   DIR Neues Album
   DIR Thatcher
   DIR Die Sterne
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Debütalbum von Popduo Smerz: Klirrend kühl
       
       „Believer“, das Debütalbum des norwegischen Elektronikduos Smerz, wirft mit
       ungewöhnlichen Mischungen die Imaginationsmaschine an.
       
   DIR Kanadisches Avantgarde-Label: Ein Herz für musikalische Bastarde
       
       Das kanadische Label Constellation Records ist eng mit Montreal verbunden.
       Aber Macher und Künstler setzen auf Alternativstrukturen statt Heimatliebe.
       
   DIR Musiker über Kleistvertonung: „Wir haben Holz gehackt“
       
       Musiker Lars Rudolph über Stoßgebete, psychedelische Erfahrungen mit
       Kleists Novelle „Die heilige Cäcilie“ und das Stigma des Rhythmus.
       
   DIR Album und Theatermusik von CocoRosie: Teufelsinsel und Nimmerland
       
       Das US-Duo CocoRosie ist zurück mit seinem grandiosen Album „Tales of a
       GrassWidow“ und dem Soundtrack für „Peter Pan“ am Berliner Ensemble.
       
   DIR Blow-Monkeys-Sänger über Thatcher: „Sie ermunterte zur Gier“
       
       Mit souligen Popsongs schmähte Dr. Robert in den 80ern Maggie Thatcher.
       Ihren Tod feiert er nicht. Aber versöhnliche Abschiedsworte gibt's von ihm
       auch nicht.
       
   DIR Romandebüt von Frank Spilker: „Ohne Selbstsicherheit geht nichts“
       
       Der „Sterne“-Sänger Frank Spilker über sein Romandebüt: „Es interessiert
       mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ – und die Zukunft der
       Musikindustrie.