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       # taz.de -- Debatte „Alternative für Deutschland“: Die deutsche Tea Party
       
       > Die neue Partei ist nicht rechtspopulistisch, sondern fordert die
       > Unterwerfung aller Lebensbereiche unter die Marktideologie. Der Staat ist
       > ihr Feindbild.
       
   IMG Bild: Das soll die Alternative sein: Einfache Fragen, einfache Antworten
       
       Es war nur noch eine Frage der Zeit, dass auch das deutsche Parteiensystem
       durch eine bürgerliche Protestpartei rechts von der Union erweitert würde.
       Jetzt, mit der Alternative für Deutschland, scheint sie da zu sein. Es ist
       ebenfalls keine große Überraschung, dass die AfD in ersten Stellungnahmen
       von progressiven Geistern wegen ihrer – zweifelsohne vorhandenen –
       rechtspopulistischen Tendenzen gebrandmarkt wird.
       
       Doch diese Kritik greift zu kurz, orientiert sie sich doch an der
       klassischen Gesäßgeografie, dem Rechts-links-Schema. Wer die AfD auf ihren
       Rechtspopulismus reduziert, verkennt die eigentliche ideologische Gefahr,
       die von dieser Partei ausgeht.
       
       Es gibt zahlreiche politische Bewegungen, die sich nur sehr unzureichend
       anhand des Rechts-links-Schemas charakterisieren lassen. Ist etwa die
       US-amerikanische Tea-Party-Bewegung nach deutscher Definition eine rechte
       Bewegung? In vielen Punkten ist sie dies, in anderen jedoch nicht.
       
       Rechte und rechtsextreme Parteien wünschen sich für gewöhnlich einen
       starken Staat. Die Tea-Party-Bewegung will jedoch den Staat auf einige
       wenige Kernkompetenzen reduzieren und sieht in staatlichen Systemen wie der
       gesetzlichen Kranken- oder der Rentenversicherung bereits eine Vorstufe zum
       Sozialismus. All dies passt nicht zum Programm einer klassisch rechten
       Partei. Das erzkonservative bis reaktionäre Weltbild in
       gesellschaftspolitischen Fragen passt wiederum nahtlos in die politische
       Rechte nach deutscher Definition. Will man die Ideologie der
       Tea-Party-Bewegung in einen Begriff fassen, so käme unter Rückgriff auf den
       Theoretiker Lew Rockwell wohl am ehesten das Wort „Paläolibertarismus“
       infrage.
       
       ## Bei Weitem marktradikaler als die FDP
       
       Diese Position übertrifft in Sachen Marktradikalität die FDP bei Weitem und
       kann als Marktfundamentalismus bezeichnet werden kann. Sie basiert auf den
       theoretischen Werken von Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek
       (der sogenannten Österreichischen Schule) und den philosophischen Schriften
       von Ayn Rand.
       
       Der Paläolibertarismus fordert die Unterwerfung aller Lebensbereiche unter
       die Marktideologie. Soziale Autoritäten wie Familie und die Kirche sollen
       dabei das Individuum vor dem Staat schützen, der für Paläolibertäre das
       Feindbild ist.
       
       Die EU-Gegnerschaft der AfD reiht sich nahtlos in das weltanschauliche
       Gedankengebäude der Marktfundamentalisten ein. Wer den Staat auf ein
       Minimum reduzieren will, lehnt natürlich auch jede Form einer starken
       Zentralregierung ab. Die Tea Party hetzt mit Vorliebe gegen die
       Zentralregierung in Washington. Das Washington der AfD ist Brüssel. Obama
       wird von der Tea Party gerne als kommunistischer Diktator im Stil von
       Stalin dargestellt. Für die AfD stellt ein gemeinsames Europa eine „EUdSSR“
       dar.
       
       ## Ein dünner Thesenzettel
       
       Wenn man die Rückkehr zur D-Mark einmal beiseite lässt, stößt man in den
       Programmentwürfen der AfD sehr schnell auf zahlreiche Forderungen aus der
       paläolibertären Ecke. Dies betrifft beispielsweise die Forderungen nach
       einer drastischen Senkung des Spitzensteuersatzes auf 25 Prozent und nach
       einer Liberalisierung des Arbeitsmarkts und steckt auch in der
       Formulierung, Bildung solle als „Kernaufgabe der Familie“ gefördert werden,
       während Kitas und Schulen dies lediglich „sinnvoll ergänzen sollten“. Da
       das offizielle Programm der AfD bis dato kaum mehr als ein dünner
       Thesenzettel ist, dürfen wir uns diesbezüglich noch auf einige
       Überraschungen gefasst machen.
       
       Der AfD-Vordenker Peter Oberender (Universität Bayreuth) plädiert zum
       Beispiel dafür, dass Hartz-IV-Empfänger zur Verbesserung ihrer Finanzen ihr
       Organe verkaufen dürfen sollten, während das AfD-Vorstandsmitglied Roland
       Vaubel, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Mannheim, den
       „untersten Klassen“ das passive Wahlrecht entziehen will. Und dies ist nur
       die Spitze des Eisbergs einer langen Liste von Unglaublichkeiten aus dem
       Umfeld der AfD.
       
       In Deutschland führte diese Form des Extremismus zumindest in der
       Öffentlichkeit lange ein Schattendasein. In akademischen Kreisen ist der
       Paläolibertarismus jedoch vor allem bei Ökonomen durchaus verbreitet. Über
       Thinktanks wie das Friedrich-August-von-Hayek-Institut und die Mont Pelerin
       Society versuchen die Vertreter dieser Ideologie seit Längerem, ihren
       Einfluss auf die Politik, die Medien und die Gesellschaft geltend zu
       machen. Die Liste der Gründungsmitglieder und Unterstützer der AfD
       beinhaltet zahlreiche Mitglieder dieser Thinktanks.
       
       ## Linke AfD-Fans
       
       Es ist erstaunlich, dass eine Partei mit einer derartigen Ideologie auch
       jenseits der traditionell marktradikalen Kreise Zustimmung findet. Eine
       Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov für die Zeit ergab, dass
       sich neben der Wählerschaft der FDP offenbar ausgerechnet die Klientel der
       Linken am ehesten vorstellen kann, ihr Kreuz bei der AfD zu machen. Es ist
       zu vermuten, dass einem Großteil dieser Wähler die Ideologie der AfD fremd
       ist.
       
       Das ist auch nicht verwunderlich. Schließlich versteht die AfD es sehr gut,
       sich als Einthemenpartei darzustellen. Hinter der Forderung nach Rückkehr
       zur „guten alten Mark“ lassen sich Positionen, die in Deutschland
       glücklicherweise nicht sonderlich populär sind, gut verstecken. Wer jedoch
       die Eurokrise auf das bloße Vorhandensein des Euros zurückführt und in dem
       Ende der Gemeinschaftswährung die alleinige Lösung aller Probleme sieht,
       argumentiert unlauter. Die Ursache ist schon ein wenig komplexer und ist
       weitaus stärker in marktkonformer Politik begründet.
       
       Und wer sich erhofft hat, dass linke Antworten gestärkt werden angesichts
       des offensichtlichen Versagens neoliberaler Politik, könnte sich getäuscht
       haben. Shootingstar der politischen Landschaft ist derzeit eine im
       schlimmsten Sinne marktradikale Partei, die den Ausweg aus der Krise über
       eine Schwächung des Sozialstaates und eine Stärkung der Marktkräfte
       erreichen will. Eine neue Ultra-FDP ist jedoch das Letzte, was unsere
       Gesellschaft in der jetzigen Situation braucht.
       
       25 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Berger
       
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