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       # taz.de -- Gewalt gegen Kinder: Schläge in Gottes Namen
       
       > In evangelisch-freikirchlichen Familien werden Kinder häufig geprügelt.
       > Außerhalb dieser Gruppe geht Gewalt gegen Kinder deutlich zurück.
       
   IMG Bild: „Die Rute ist per Definition eine elterliche Pflicht. Gott hat ihren Gebrauch angeordnet“, so freikirchliche US-Ratgeber.
       
       HAMBURG taz | Je religiöser evangelisch-freikirchliche Eltern sind, desto
       häufiger und massiver schlagen sie ihre Kinder. Das ist das Ergebnis einer
       Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), die
       deren Leiter Christian Pfeiffer am Dienstag auf dem Deutschen
       Präventionstag in Bielefeld vorstellte.
       
       Die Grundlage für Pfeiffers Analyse bilden zwei Befragungen: Eine mit knapp
       45.000 Schülern aus der neunten Jahrgangsstufe sowie eine mit etwa 11.500
       Erwachsenen über Missbrauch und innerfamiliäre Gewalterfahrungen.
       
       Insgesamt belegt die Studie, dass in den vergangenen zwanzig Jahren
       elterliche Gewalt in Familien – egal ob konfessionslos, evangelisch oder
       katholisch – deutlich abgenommen hat. Besonders Mädchen würden davon
       profitieren. Mehr als die Hälfte der deutschen Elternhäuser erzieht seinen
       Nachwuchs inzwischen komplett gewaltfrei. Vor zwanzig Jahren galt das
       gerade mal für jede vierte Familie oder alleinigen Sorgeberechtigten.
       
       Ein anderes Bild zeigt sich bei evangelisch-freikirchlichen
       Glaubensangehörigen. Hier werden Kinder weitaus häufiger Opfer häuslicher
       Misshandlungen. Bei den stärker religiös orientierten Familien leiden gut
       ein Viertel der Kinder unter massiver und jedes zweite Kind unter leichter
       Gewalt. Gewaltfreie Erziehung findet sich dagegen nicht einmal in jeder 4.
       Familie.
       
       ## „Christliche Tradition des erzieherisch motivierten Schlagens“
       
       „Die Befunde zu den evangelisch-freikirchlichen Familien fallen völlig aus
       dem Rahmen. Hier gilt: Je stärker die Eltern in ihrem Glauben verankert
       sind, umso mehr prügeln sie“, fasst Pfeiffer die Studienergebnisse
       zusammen. Es gebe „eine christliche Tradition des erzieherisch motivierten
       Schlagens“, die noch nicht überwunden sei. Dabei haben seit Ende der
       1990er-Jahre Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Wenn Eltern
       schlagen, kann dies als Körperverletzung geahndet werden.
       
       Ihre Ergebnisse sprechen laut den Autoren der Studie dafür, dass „in einem
       beachtlichen Teil“ der Freikirchen „Eltern dazu aufgerufen werden, in der
       Erziehung ihrer Kinder Schläge gezielt einzusetzen“. Eine besondere Rolle
       bei der Legitimation elterlicher Gewalt spielen offensichtlich religiöse
       Erziehungsratgeber – meistens US-Importe. Sie variieren Bibelzitate wie
       „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn, wer ihn aber lieb hat, der
       züchtigt ihn.“
       
       In dem Ratgeber „Eltern – Hirten der Herzen“ etwa schreibt der
       amerikanische Autor Tedd Tripp: „Die Rute ist per Definition eine
       elterliche Pflicht. Gott hat ihren Gebrauch angeordnet“. Laut einer
       aktuellen Schweizer Studie zu evangelischen Erziehungsratgebern leitet
       Tripp sogar zur „systematischen, körperlichen Züchtigung schon von
       Kleinstkindern an“.
       
       Das 1995 erschiene Buch ist seit Jahren auf dem deutschen Markt erhältlich,
       erscheint aber zum 30. April auf dem Indizes jugendgefährdender Schriften.
       Ab dann darf es zumindest Kindern und Jugendlichen nicht mehr zugänglich
       gemacht werden. Erwachsene können es allerdings auf Anfrage weiterhin
       erwerben.
       
       Wissenschaftler Christian Pfeiffer ist jedenfalls überzeugt davon, dass
       eine solche Indizierung eine Debatte erzeugen werde. „Es verändert die
       Atmosphäre in diesen Gemeinden, sie können sich nicht länger darum herum
       mogeln, dass es ein Diskussionsthema gibt.“ Pfeiffer hofft, dass den
       freikirchlichen Gemeinden durch eine mediale Diskussion klar werde, dass
       ihre Prügel-Appelle strafbar sind.
       
       24 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marco Carini
       
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