URI: 
       # taz.de -- Soziologe zu Uni-Vattenfall-Kooperation: „Generalverdacht ergibt keinen Sinn“
       
       > Der Soziologe Stefan Hornbostel hält Kooperationen zwischen Hochschulen
       > und Wirtschaft für sinnvoll. Er fordert aber die Einhaltung von
       > Standards.
       
   IMG Bild: Begehrte Kopfbedeckung.
       
       taz: Herr Hornbostel, ein Energiekonzern unterstützt eine Universität mit
       Geld. Ein Manager des Unternehmens macht dort seinen Doktor. Verdächtig? 
       
       Stefan Hornbostel: Das wäre zumindest eine Konstellation, in der eine
       Hochschule sensibilisiert sein muss. Es ergibt keinen Sinn, einen
       Generalverdacht gegen all diejenigen auszusprechen, die berufsbegleitend
       promovieren. Aber diese externen Doktoranden müssen natürlich wesentlich
       intensiver betreut werden.
       
       Die Geschichte geht weiter: Plötzlich werden Plagiatsvorwürfe gegen den
       Manager laut. Und die Uni prüft sie, sagen wir: wohlwollend. 
       
       Das geht nicht. Es dürfen keine wissenschaftlichen Standards verletzt
       werden, nur weil Finanzmittel fließen.
       
       Eine Recherche der taz zeigte, dass ein solches Szenario sich an der BTU
       Cottbus zutrug, an der ein Vattenfall-Manager mit einer fragwürdigen
       Doktorarbeit durchkam. Ein Einzelfall? 
       
       Ich glaube nicht. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass ein
       Prozent aller Dissertationen auf unlauterem Wege zustande kommt. Das sind
       einige hundert jedes Jahr. Und noch etwas fällt auf: Deutschland ist in
       Europa das Land mit dem höchsten Anteil von Promovierten in den
       Wirtschaftseliten. Der Doktortitel hat jenseits der Wissenschaft in
       bestimmten Bereichen eine hohe Attraktivität.
       
       Wie könnte man denn versuchen, den Titelhandel zu verhindern? 
       
       Die Universitäten müssen ihre Standards klar definieren und auf ihre
       Einhaltung achten. Und die Unternehmen sollten ihre Regularien für
       ethisches Verhalten und ihre Personalentwicklungsmodelle anpassen.
       
       Indem sie in ihren Leitlinien festschreiben: Unsere Manager dürfen nicht an
       Hochschulen promovieren, die aus unserem Hause Forschungsgelder erhalten? 
       
       Zum Beispiel.
       
       Was halten Sie von Industriepromotionen: Unternehmen betreiben mit einer
       Hochschule gemeinsam zum Beispiel ein Labor, in dem Firmenmitarbeiter ihren
       Doktor machen. 
       
       Auch da sollte man das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. In Bereichen
       wie den Ingenieurwissenschaften gehört es dazu, dass ein Doktorand von der
       Anwendung seiner Erkenntnisse im Betrieb eine Ahnung hat. Es ist plausibel,
       eine Verbindung zwischen der Praxis und der Wissenschaft herzustellen. Das
       bedeutet aber für eine Universität: Sie muss in einer solchen Kooperation
       sehr klar auf ihre Standards achten und für Interessenskonflikte
       sensibilisiert sein. Die Hauptverantwortung für die Begleitung des
       Doktoranden muss bei den Betreuern an der Universität bleiben.
       
       In der Wirtschaft braucht man den Doktor, die Unis brauchen Geld. Fazit:
       Nie war es leichter, einen Titel zu kaufen. 
       
       Das würde ich so nicht unterschreiben. Aber ich sehe durchaus die Gefahr,
       dass wir auf eine Situation zusteuern, wie wir sie vor 150 Jahren hatten.
       Mitte des 19. Jahrhunderts gab es einen Skandal nach dem anderen und auch
       eine heftige Diskussion innerhalb der Universitäten über die sogenannte
       Promotion in absentia. Dabei musste der Kandidat nicht einmal zur Prüfung
       erscheinen. Wichtig war nur, dass er die Promotionsgebühr bezahlt hat. Die
       Hochschulen unterboten sich regelrecht im Preis, um viele Doktoranden zu
       bekommen. Es hat lange gedauert, bis es einheitliche Regeln gab, die unter
       anderem Promotionsgebühren untersagten. Heute benötigen wir in anderer
       Hinsicht eine Verbesserung in der Qualitätssicherung des Promotionswesens.
       
       Bildungsministerin Johanna Wanka will einheitliche Standards bei
       Plagiatsprüfungen. Was halten Sie von einer zentralen Stelle, die
       verdächtige Dissertationen unabhängig überprüft? 
       
       Der Vorstoß ist prinzipiell richtig. Wir brauchen mehr Standards in der
       Promotion. Es wird derzeit noch nicht einmal registriert, wer promoviert
       und unter welchen Bedingungen. Wir wissen nicht, wie viele Doktoranden wir
       in Deutschland haben. Teilweise wissen es nicht einmal die einzelnen
       Universitäten selbst. Hier mehr Transparenz zu schaffen, ist ein erster
       Schritt. Ob es aber eine zentrale Stelle zur Überprüfung verdächtiger
       Dissertationen geben muss, da bin ich skeptisch.
       
       Warum? 
       
       Das wäre eine Art Forschungsstaatspolizei, die sich nicht unbedingt mit der
       Wissenschaftsfreiheit verträgt. Abgesehen von schlagzeilenträchtigen
       Plagiatsfällen liegt eben vieles im Graubereich. Was ist in einer
       empirischen Studie eine zulässige Datenbereinigung, was eine Verfälschung
       der Ergebnisse? Über so etwas muss sich innerhalb der Wissenschaftsgemeinde
       ein Konsens bilden.
       
       24 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Kramer
       
       ## TAGS
       
   DIR Hochschulwatch
   DIR Bildung
   DIR Vattenfall
   DIR Plagiat
   DIR Universität
   DIR Vattenfall
   DIR Hochschulwatch
   DIR Hochschule
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Umgang mit Plagiatsvorwürfen: Externe Kritik unerwünscht
       
       Die Deutsche Forschungsgemeinschaft will nicht, dass Plagiatsvorwürfe
       öffentlich gemacht werden. Tippgeber mögen sich erst an Universitäten
       wenden.
       
   DIR ENERGIE: Der Kampf um die Kohle
       
       Bei Cottbus will Vattenfall den Abbau von Braunkohle massiv erweitern. 800
       Menschen sollen deswegen umgesiedelt werden. Demos pro und contra Kohle.
       
   DIR Kommentar Fremdfinanzierung der Unis: Diktatur der Unanständigkeiten
       
       Wer die akademische Freiheit verteidigen will, muss sie attackieren. Das
       betrifft vor allem die Nebentätigkeiten von Professoren.
       
   DIR Politik will Plagiatsfall aufklären: Dr. Vattenfall im Landtag
       
       War die Uni Cottbus bei der Doktortitel-Vergabe besonders großzügig, weil
       sie Geld von Vattenfall erhält? Die Brandenburgische Politik sucht
       Antworten.
       
   DIR Plagiierender Vattenfall-Manager: Der neue Titelhandel
       
       Das Promotionswesen hat systematische Schwachstellen. Wenn Geld ins Spiel
       kommt, werden sie besonders gut sichtbar.
       
   DIR Freiheit der Wissenschaft: Doktor Vattenfall
       
       Ein Vattenfall-Manager schreibt für seinen Doktor ab. Die Promotion darf er
       behalten. Der Konzern sponsert die Brandenburgische Technische Universität.