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       # taz.de -- Neues Buch von Alice Schwarzer: Ausrufezeichen! 12 Zentimeter hoch!
       
       > Alice Schwarzer hat ein Buch zum Thema sexuelle Belästigung im Beruf
       > herausgegeben. Im Ergebnis dient „Es reicht!“ vor allem der
       > Dramatisierung.
       
   IMG Bild: Alice Schwarzer: Ein Sammelband, der vor Dramatik vibriert.
       
       Aufschrei – obwohl das ein dramatisches Schlagwort ist, bestach der
       Aufschrei der Frauen gegen Sexismus und sexuelle Belästigung auf Twitter
       vor allem durch Lakonie. Auch die Stern-Journalistin Laura Himmelreich, die
       das Ganze mit einem Porträt von FDP-Spitzenkandidat Rainer Brüderle
       ausgelöst hatte, hatte seinen vorsintflutlichen Sexismus schlicht
       beschrieben.
       
       Und diese Lakonie stand der Debatte gut zu Gesicht. Umso merkwürdiger und
       hysterischer wirkten diejenigen, die den Protest relativieren wollten – man
       erinnere sich an Schleswig Holsteins FDP-Chef Wolfgang Kubicki, der meinte,
       er könne nun keine Journalistinnen mehr im Auto mitnehmen. Oder
       Ex-Stern-Journalistin Wibke Bruhns, die es für normal hielt, dass Männer
       sich wie „Bullen“ verhalten. Das wirkt befremdlicher als die schlichten
       Erzählungen der Frauen auf Twitter.
       
       Umso bedauerlicher ist es, wenn die Lakonie nun weitgehend verschwindet,
       wenn es ums Dokumentieren geht. Alice Schwarzer hat einen Sammelband
       herausgebracht, der vor Dramatik vibriert: „Es reicht! Gegen Sexismus im
       Beruf“ nennt sich der schmale Band, mit einem 12 Zentimeter hohen
       Ausrufezeichen auf dem Titel. Und auch wenn es verdienstvoll ist, etwas
       feministisches Geschichtswissen zum Thema sexuelle Belästigung und Sexismus
       zur Verfügung zu stellen, handelt es sich im Stil um die Veremmaisierung
       einer Debatte.
       
       Fast alle Texte stammen aus der Emma, und Alice Schwarzers Tremolo ist
       nicht zu überlesen. So dehnt sie im Vorwort den Begriff der sexuellen
       Belästigung aus bis zur Vergewaltigung. Und hat der Herrenwitz nicht auch
       etwas mit Prostitution zu tun?
       
       ## Eine kleine Geschichte der sexuellen Belästigung
       
       Sieht man davon ab, ist zumindest für Nicht-Emma-LeserInnen eine kleine
       Geschichte der sexuellen Belästigung entstanden. Von den ersten
       Veröffentlichungen in den Siebzigern über Gesetzesinitiativen wie das
       Beschäftigtenschutzgesetz, das in Deutschland ausgerechnet von
       Frauenministerin Angela Merkel eingeführt wurde, damals, als sie noch
       Frauenpolitik machte. Bis hin zu einem Interview mit Aufschrei-Initiatorin
       Anne Wizorek.
       
       Interessant auch die Studien: 2004 gaben 60 Prozent von über 10.000
       befragten Frauen an, Opfer sexueller Belästigungen geworden zu sein.
       Ungefähr der Hälfte dieser Frauen war gar nicht klar, dass die abfälligen
       Anspielungen auf ihren Körper oder ihre Sexualität, die sie verunsicherten,
       unter diese Kategorie fallen.
       
       Nach den vielen Männern, die behaupten, sexuelle Belästigung sei lediglich
       ein Ausdruck ihrer „Lebensfreude“, ist der Befund einer
       nordrhein-westfälischen Untersuchung bei der Polizei von 1998 überraschend:
       Dort ordneten die Männer mehr Verhaltensweisen als sexuelle Belästigung ein
       als Frauen. 49 Prozent der Männer erklärten anzügliche Witze zur
       Belästigung, von den Frauen waren es nur 28 Prozent.
       
       Pornografische Bilder fanden 74 Prozent der Männer belästigend, und nur 62
       Prozent der Frauen. „Frauen haben offensichtlich die Erfahrung gemacht,
       dass sie angepasst bessere Integrationschancen haben“, so Autorin Waltraud
       Müller-Franke. Genau dieses Verhalten begünstige allerdings sexuelle
       Belästigung.
       
       ## Die Emma-Correctness hat zugeschlagen
       
       Der Band versammelt weitere Berichte von Zimmermädchen, Studentinnen,
       Soldatinnen, Gewerkschafterinnen und ein Plädoyer für Political Correctness
       von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen. Ein Text der
       Emma-Nachwuchsredakteurin Alexandra Eul fällt auf: Sie ist reumütig von
       Miniröcken und Highheels übergegangen zu blickdichten Strumpfhosen und
       flachen Schuhen. Und meint allen Ernstes, dass schön zurechtgemachte Frauen
       im Beruf das Signal aussenden, sie seien nicht ernst zu nehmen. Da hat eine
       Emma-Correctness zugeschlagen, die im Rest der Welt keine mehr versteht.
       
       Interessant dagegen ist der Blick des schwedischen Journalisten Mikael
       Krogerus auf die deutschen Verhältnisse: „Wenn ich von Alltagssexismus
       spreche, dann meine ich damit, dass die Meinungsbildungskultur von einer
       Weltmännischkeit dominiert wird, die niemals zögert, niemals Fehler
       eingesteht, nie zweifelt, niemals anderen recht gibt. Ich meine diese
       überhebliche Selbstgenügsamkeit der Männer, in der keine Frauen vorkommen,
       es sei denn sie sind Kanzlerin oder Opfer.“
       
       Ein Mensch wie Brüderle, so meint er, sei in Schweden, wo das
       Männlichkeitsbild auch einen nachdenklichen „Antimann“ wie Olof Palme
       zulässt, schlicht nicht denkbar. Da ist er wieder, der unaufgeregte Stil,
       der die Debatte bisher auszeichnete. Er überlebt sogar eine
       Emma-Publikation.
       
       ## ■ Alice Schwarzer (Hg.): „Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf“.
       Kiepenheuer & Witsch, Köln 2013, 176 Seiten, 8,99 Euro
       
       23 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heide Oestreich
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