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       # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Grüner Showdown
       
       > Ist Harald Welzer ein Fantast, Herr Fücks? Ein Besuch in der
       > Heinrich-Böll-Stiftung, im obersten Stockwerk des grünen Denkens.
       
   IMG Bild: Da wächst was
       
       Das Ziel des grünen Projekts ist eine neue Produktionsweise und nicht der
       neue Mensch“, sagt Ralf Fücks. Um Gottes Willen: Ist das mit den linken
       Grünen abgesprochen? Er lächelt behutsam.
       
       Fücks, 61, Bildungsaufsteiger, ist Vorstand im wichtigsten Grünen
       Thinktank, der Böll-Stiftung. Da sitzt er im obersten Stock, und de facto
       gibt es auch kaum noch grüne Intellektuelle über ihm. Außer im Himmel.
       
       In den 70ern war er Kommunist wie Kretschmann und Trittin. Gerade hat er
       das Buch „Intelligent wachsen“ (Hanser) herausgebracht. Darin definiert er
       den Ökokapitalismus als Zukunft der Welt. Und kanzelt die seit Kurzem Fahrt
       aufnehmende Postwachstumsdiskussion ab.
       
       „Der Ruf nach ’Wohlstand ohne Wachstum‘ erinnere an die Selbstbescheidung
       eines alternden Lebemannes, der nach einer Zeit der Ausschweifungen die
       Tugend von ’Maß und Mitte‘ entdeckt“, schreibt er. Damit man spekulieren
       kann, welchen „alternden Lebemann“ er genau meint, nennt er wenige Zeilen
       später Harald Welzer einen „neuen Herold der Abkehr vom Wachstum“.
       
       ## Bruch mit der Wachstumslogik
       
       Der Sozialpsychologe und Klimakulturforscher Welzer vollzieht in seinem
       neuen Buch „Selbst denken“ den Bruch mit der grünen Wachstumslogik. Für ihn
       ist das eine „alchimistische Perspektive“. Er propagiert Widerstand gegen
       illusionistische Politik und Nutzen eigener Handlungsspielräume.
       
       Für Fücks ist das offenbar apolitische Weltfremdheit in einer historischen
       Situation, in der Milliarden endlich auch am Wohlstand teilhaben wollen und
       das als sozialen Fortschritt verstehen. Die eine Frage lautet also: „Ist
       Harald Welzer für Sie ein Fantast, Herr Fücks?“
       
       Er blickt ins Weite. Er blickt gern ins Weite. Dann seufzt er. „Ich würde
       sagen, er trifft ziemlich gut den Zeitgeist in Teilen der Mittelschicht. Da
       sind idealistische Motive im Spiel. Aber der Ausstieg aus der industriellen
       Moderne ist weder generalisierbar noch wirklich ernst gemeint.“
       
       Nullwachstum könne keine Antwort sein, weder auf Europas Finanzkrise noch
       auf die globale Situation, sondern nur grünes Wachstum auf der Basis
       erneuerbarer Energien. Er propagiert eine Effizienzrevolution, die zur
       Entkopplung von Wohlstand und Ressourcenverbrauch führt. Sein Schlachtruf
       sei nicht „weniger“, sondern „besser“.
       
       Man kann beide Bücher gegeneinander lesen, man kann sie aber auch
       miteinander lesen. Vor allem sollte man sie lesen. Welzer geht es um eine
       kritische Elite, Fücks – auch – um politische Hegemonie. Im Grunde
       transformiert er die Ökobewegung zu einer Wirtschaftsbewegung. Mit Moral,
       klar, aber „ohne moralinsaure Bußpredigten“.
       
       Ökokapitalismus ist sehr wahrscheinlich der Schlüssel für künftige
       Hegemonie, Fritz Kuhn hat damit Stuttgart gewonnen, und ohne moderne
       Industriepolitik kann der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann in
       Baden-Württemberg nicht aus einer historischen Besonderheit einen
       Normalzustand machen.
       
       ## Ein subtiler Coup
       
       Der subtilste Coup des Ralf Fücks besteht aber darin, dass er die
       Schnösel-Rolle neu besetzt: Scheinheilige Schnösel sind nicht mehr
       Ordentlichverdiener mit Solaranlage, Hybridauto und zwei bis drei
       Urlaubsflügen pro Jahr. Also die wachsende Gruppe der nachdenklich
       gewordenen Grünenwähler, auf die die SPD zwecks Selbsterhaltung immer
       draufhaut. Scheinheilige Schnösel sind ab sofort die „scheinradikalen“
       Postwachstumslinken, die die global-soziale Dimension des wirtschaftlichen
       Wachstums ignorieren.
       
       Nur: Was sollen Postwachstumsinteressierte wählen?
       
       20 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Unfried
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