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       # taz.de -- Romandebüt von Frank Spilker: „Ohne Selbstsicherheit geht nichts“
       
       > Der „Sterne“-Sänger Frank Spilker über sein Romandebüt: „Es interessiert
       > mich nicht, aber das kann ich nicht beweisen“ – und die Zukunft der
       > Musikindustrie.
       
   IMG Bild: „Nur mit Gehorsam kommt man nicht durch in der modernen Welt“: Frank Spilker über seinen Roman.
       
       sonntaz: Herr Spilker, „Es interessiert mich nicht, aber das kann ich nicht
       beweisen“ ist ein Buch darüber, wie man glorreich scheitert … 
       
       Frank Spilker: Das würde ich gleich mal revidieren. Ist es ein Buch
       darüber, wie man scheitert, oder ist es ein Buch über eine Krise? Die
       Erzählung könnte doch noch weitergehen. So ein Leben ist ja nicht zu Ende,
       nur weil man in den Schwarzwald reist und sich mit sich selbst beschäftigt.
       
       … so wie es Thomas Troppelmann in dem Roman tut, als seine Beziehung
       zerbricht und er auch ökonomisch in die Krise gerät. 
       
       Die Ausgangssituation finde ich sehr bezeichnend, sogar
       gesellschaftsrelevant. Vielen Leuten, die ich kenne, wurde der Boden unter
       den Füßen weggerissen. Die haben in den 1990ern noch gut verdient, kamen in
       den 2000ern noch gerade zurecht und mussten jetzt einsehen: „Okay, ich muss
       komplett was anderes machen.“ Und zwar mit unterschiedlichem Erfolg. Denn
       wenn einem die Lebensgrundlage fehlt, ohne dass man sich selbst verändert,
       rutscht man oft in eine Depression, weil man merkt, dass man keine Handhabe
       dagegen hat.
       
       Das ist beim Musikmachen ähnlich: Sobald man anfängt, darüber nachzudenken,
       ob man das eigentlich kann, sobald einem das Gefühl von Selbstsicherheit
       verloren geht, funktioniert’s nicht mehr. Troppelmann sagt im Buch, dass es
       irgendwann mal ganz gut lief, ohne dass er sich anstrengen musste. Ich
       stelle mir da den Hamburger Boom der 1990er vor oder die Technoszene in
       Berlin: Da kanntest du halt Westbam und konntest zehn Jahre von
       Flyerproduktion leben.
       
       Auch ohne den Boom miterlebt und Erfolg gehabt zu haben, kennt man das
       Gefühl, sich ständig selbst optimieren zu müssen. 
       
       Richtig. Aber vielleicht ist man etwas träger, wenn man älter ist. Wenn
       etwas ziemlich lange funktioniert hat, fällt es schwer, sich umzustellen.
       Ich finde die Reise von Troppelmann, dieses Sich-selbst-Infragestellen auch
       nicht nur negativ. Wenn man sich beraten lässt, wie man eine Krise
       bewältigt, wird einem oft Coaching nahegelegt, Selbstoptimierung.
       
       In diesem Zusammenhang fallen Troppelmann immer wieder Gedankenfetzen aus
       einem Ferienheim ein, in dem er als Kind war. 
       
       Dieses Erbe der bündischen Jugend habe ich selbst noch erlebt: Landleben
       ist gut, Lagerleben ist gut. Mit diesem Drill kämpft Troppelmann, der
       diesen Anspruch immer noch insgeheim an sich stellt und noch lernen muss:
       Sich selbst nicht die Schuld zu geben an der strukturellen Krise, das ist
       das Wichtige.
       
       Aber ist dieses Lagerleben mit all seinen Regeln und Strafen nicht das
       Gegenteil der Selbstoptimierung, die man sich ständig selbst auferlegt,
       weil man keine geregelte Arbeitszeiten mit Wochenende und Urlaubsgeld mehr
       hat? 
       
       So gesehen ja. Die Fremdoptimierung für ein Leben, das es so nicht gibt.
       Die moderne Welt stellt ganz andere Anforderungen an einen. Nur mit
       Gehorsam kommt man nicht durch.
       
       Was ist so schlimm an CVJM-Lagern? 
       
       Fast alle meine Bekannten können die gleichen Geschichten von
       Landverschickung erzählen. In den 1970ern hat man die Kindern da
       hingeschickt, um ihnen etwas Gutes tun. Und jetzt kommen diese ganzen
       Kindesmissbrauchsskandale heraus. Man liest von Leuten, die auf kleine
       Kinder stehen, sich gerne in solch ein Umfeld begeben um Machtgefühle zu
       genießen, über Jugendliche zu gebieten. So wie bei „Herr der Fliegen“. Wenn
       die Leute plötzlich oben sind, fangen sie an, andere zu terrorisieren. Sie
       sind dann quasi Alleinherrscher. In dem Buch gibt’s einen kurzen Absatz
       über Gehirnwäsche. Auch ich habe erlebt, dass Leute versucht haben, Kinder
       mit Gewalt zu ihrem Glauben zu bekehren.
       
       Hat anscheinend nicht geklappt. 
       
       Nur ganz kurz. Wie das halt ist mit Drill, das funktioniert nur, solange
       der Druck da ist. Sobald der Druck weg ist, löst sich der Haufen auf und
       spaziert wieder undiszipliniert durch die Gegend.
       
       Troppelmann ist inzwischen so undiszipliniert, dass er nicht mal mehr seine
       Post aufmacht. Da könnte man sich schon fragen, warum nicht. 
       
       Ich setze mal voraus, dass jeder das Gefühl kennt.
       
       Wenn ich anderen mitteile, dass ich seit drei Wochen meine Post nicht mehr
       aufmache, fragen die, ob ich bescheuert bin. Im Roman sind seine Kollegen
       aus dem Büro wütend auf ihn. Sie schmeißen sogar seinen Schreibtisch um. 
       
       Ich stelle mir vor, dass die alle die gleichen Schwierigkeiten haben, es
       aber gewohnt sind, dass Troppelmann das schon irgendwie managt. Als es
       nicht mehr so läuft, geben sie ihm die Schuld. Ein Phänomen, das man oft
       beobachtet. Im Roman benutze ich das Bild der Wasserknappheit, das zeigt,
       wie Menschen sich verändern, wenn die Lebensgrundlagen fehlen. Sobald die
       Ressourcen entzogen werden, wird das Umfeld brutaler. Letztens habe ich von
       einer Frau gehört, die sich einmal im Jahr einweisen lässt, quasi als Kur.
       Also das, was Troppelmann da macht, nur mit Psychopharmaka. Viele Menschen,
       die sich überfordert fühlen, nehmen Prozac oder andere Drogen.
       
       Viele glauben, eine Kur oder das Landleben verbessere die Situation. Das
       ist in dem Roman nicht so. 
       
       Nein, da glaube ich nicht dran. Aber indem man sich mit seiner Geschichte
       beschäftigt, wird einem klarer, wo man ansetzen muss, um sie zu bewältigen
       oder um in die Zukunft zu denken. Das ist die Entwicklung, die die
       Romanfigur macht.
       
       Geht ihre Entwicklung nicht eher weiter abwärts? 
       
       Es handelt sich eher um eine Konkursabwicklung. Ich habe da ganz konkrete
       Beispiele vor Augen und halte die Situation für sehr typisch für die
       letzten zehn Jahre. Es gibt tausend Fälle von Pleiten kleiner Firmen, die
       mal funktioniert haben, von Leuten, die sich darauf verlassen haben, da
       ihren Job zu haben. Das bringt natürlich auch alle persönlichen Beziehungen
       durcheinander. Ich kann nicht sagen, dass es da eine positive Entwicklung
       gibt. Jeder zieht seinen Kopf aus der Schlinge. Mich hat interessiert: Wie
       tut man das, ohne andere mit reinzuziehen oder die Schuld auf andere
       abzuladen? Dazu neigen ja die Leute, was ich anprangere.
       
       Konkurse gab es auch zuhauf im Musikbusiness. 
       
       Visionen wie die des Labels L’Age d’or sind gestorben. Solche Indielabels
       hatten ja durchaus eine Vision, an die man glauben konnte.
       
       Sind die Visionen wirklich gestorben? 
       
       Na ja, wenn die Musikbranche jeden Monat um etwa 20 Prozent schrumpft, wenn
       man in der Musik immer mehr Mainstream sein muss, um überhaupt eine
       Aufnahme finanzieren zu können, dann ist das ein Problem, denn dadurch gibt
       es viel weniger Vielfalt.
       
       Aber ist die Vielfalt nicht gerade durch das Internet und die digitalen
       Medien viel größer geworden, weil jeder mit seinen fünf Freunden sein
       eigenes Ding macht? 
       
       Ich wehre mich auch dagegen, in die Position zu rutschen: Früher war alles
       besser. Es gibt tolle technische Innovationen, und ich finde es gut, dass
       man Musik tauschen kann, aber es trifft halt vor allem die Kleinen, die
       hofften, wenigstens 2.000 Euro mit ihrem Album zu verdienen. Mit
       Internetveröffentlichungen verdient man gar nichts mehr. Was man bei
       Spotify bekommt, ist ja lächerlich – und trotzdem ist Spotify toll. Ich
       finde es super, dass Musik so direkt verfügbar ist und man sofort alles
       hören kann.
       
       Aber es gibt keine Lösung? 
       
       Die Lösung, die die Industrie dafür sieht, wäre so etwas wie Acta. Also
       härtere Sanktionen gegen illegales Tauschen, damit man später in der Lage
       ist, die Preise für den legalen Handel im Internet zu erhöhen und so die
       Preise insgesamt zu erhöhen. Darauf läuft es hinaus. Leider geht so ein
       großes Stück Freiheit dort verloren.
       
       Das hatte aber bislang auch keinen Erfolg. 
       
       Aber wenn Leute weniger ausgeben für Kultur, dann ist auch weniger Geld da
       für Kultur, das also woanders herkommen muss. Mein Ansatz wäre, gesetzliche
       Regelungen zu schaffen, dass die Internetprovider was abgeben müssen.
       
       Du meinst Google, YouTube und andere? 
       
       Ja, die zahlen ja fast nichts. Bei der Diskussion zwischen Gema und YouTube
       verhandelt ja die Gema für die Künstler, was in der Öffentlichkeit und bei
       Tauschbörsenliebhabern aber sehr einseitig gesehen wird: Man ärgert sich
       darüber, dass man Videos nicht sehen kann. Das ist natürlich ein
       unhaltbarer Zustand.
       
       Die Gema, das sind eigentlich die Guten, obwohl da natürlich viel falsch
       läuft? 
       
       Vielleicht läuft da einiges falsch, aber es muss unbedingt jemanden geben,
       der die Interessen der Autoren gegen diejenigen vertritt, die sich umsonst
       bei ihnen bedienen wollen.
       
       14 Apr 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Juliane Streich
       
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